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Afghanistan: Milizen kämpfen auf eigene Faust gegen die Taliban

Meldung vom 16.11.2009

In der Gegend um Kunduz gruppieren sich immer mehr bewaffnete Milizen, die selbständig gegen die Taliban vorgehen. Die lokalen Behörden ziehen an einem Strang mit den von Kriegsveteranen geführten Gangs, die dort operieren, wo die Polizei nicht hinreicht. Doch der Bundeswehr ist es unbehaglich angesichts der Guerilla.

Eigentlich hatte Gachi Nabi mit seinem Leben als Kommandeur abgeschlossen. „Die Militärjacke hing seit Jahren nur noch im Schrank“, berichtet der Turkmene und klopft den Staub aus dem Kragen des tarngrünen Parkas, „auch meine Kalaschnikow war schon ziemlich verstaubt“. Vor sieben Jahren, die Taliban waren von den US-Soldaten zum Rückzug gezwungen worden, war Gachi aus Kunduz weggezogen. Statt wie früher als Anführer einer Mudschahidin-Gruppe gegen die Taliban zu kämpfen, eröffnete er ein Fischrestaurant. „Wir machten gutes Geld, rund 300 Dollar pro Tag blieben in der Kasse, das Leben war besser als im Krieg.“

Seit einigen Wochen aber betätigt sich Gachi wieder als Kommandeur. Gemeinsam mit rund 60 Kämpfern, meist junge Leute aus der Gegend, geht er auf Wachpatrouillen durch den Distrikt Qalayzal im Norden der Provinz Kunduz, und das jeden Tag und jede Nacht. Was anfänglich wie eine Art Nachbarschaftshilfe erschien, ist eine schwer aufgerüstete und selbst nach afghanischem Recht ungesetzliche Miliz, die sich vor den Parlamentswahlen am 20. August formiert hat. Einwohner aus der Region, berichtet der 49-jährige Anführer, hätten ihn angerufen. Sie eröffneten ihm Horrorgeschichten von den Taliban. Sie bedrängten ihn, er solle helfen, die Taliban in die Flucht zu schlagen.

Also kehrte Gachi Nabi zurück nach Qalayzal, einige Tage vor der Wahl. Mit den Ältesten aus der Region ging er von Dorf zu Dorf und sammelte seine Kämpfer. „Mit einer Waffe umgehen kann fast jeder“, beschreibt er die Bildung seiner Miliz, „und eine AK-47 haben auch die meisten irgendwo noch im Haus, es ging also recht schnell.“ In der nächsten Nacht hätten sie an mehreren Straßenecken einfach Position bezogen, bis die Taliban kamen und gegen sie gekämpft. Verluste seien auf beiden Seiten entstanden, aus seiner Miliz wurden gleich in der ersten Nacht fünf Männer getötet. Am Ende habe er mit seiner Miliz den Sieg errungen, sagt er, die Taliban hätten sich zurückgezogen.

Was die afghanische Regierung offiziell als zeitweilige Aktion zur Sicherung der Präsidentenwahl duldete, ist längst außer Kontrolle geraten. Eigentlich sollten die vielen lokalen Milizen überall im Land, auch die von Nabi, nur dem Personalmangel bei Polizei und Armee während des Urnengangs entgegenwirken und Straßen und Wahllokale bewachen. Doch nun haben sich die Milizen zu einem festen Bestandteil des Sicherheitsaufbaus in der Provinz Kunduz etabliert.

Die Behörden sind froh über die Arbeit der Milizen. Nacheinander erkundigt sich der Geheimdienstchef, was sie noch benötigen. Die Antwort fällt stets gleich aus, Waffen, Funkgeräte, Autos. Ob sie Informationen über Taliban-Führer haben? Nacheinander treten die Männer vor, einigen steht das jahrelange Mudschahidin-Dasein im Gesicht geschrieben, und nennen die Namen von Taliban-Führern und berichten auch, wo sie sich versteckt haben könnten.

Der Bundeswehr bereitet die vermeintliche Erfolgsgeschichte der Privatarmeen im Kampf gegen die Taliban Kopfzerbrechen. Offiziere gehen von einer Zahl von 200 bis 400 wiederbewaffneten und offen mit ihren Gewehren patrouillierenden Gruppen rund um Kunduz aus, genaue Zahlen sind im deutschen Camp allerdings nicht bekannt. Ab und an sind Spähtrupps der Deutschen schon in gefährliche Situationen mit den Milizen geraten. „Aus der Ferne sehen wir nur, dass da bewaffnete Männer stehen“, meint ein Offizier, „doch wie sollen wir sie von den Taliban oder anderen Kriminellen unterscheiden oder wissen, ob sie uns angreifen?“

Die Diskussion um die Milizen währt genauso lang wie schon der Krieg in Afghanistan. Immer wieder entwickelte sich der Plan, die Guerilla-Gruppen im Land für die eigenen Zwecke einzusetzen. Diese Idee wird sicher auch wieder in der neuen Strategie der USA für den Kampf am Hindukusch berücksichtigt. Die Erfahrungen mit dem Konzept sind wechselhaft, die USA erzielten manchmal Erfolge, manchmal ging es richtig daneben und der einstige Verbündete entwickelte sich zum Feind. Es wird berichtet, dass die USA, die im Kunduz mittlerweile ein großes Camp unterhalten, indirekt die Bewaffnung von Milizen unterstützen, wie so oft ohne die Bundeswehr davon zu informieren.

Die Zukunft dieser Milizen erscheint den Deutschen in fragwürdigem Licht. Noch kämpften die Milizen gegen die Taliban. Was aber geschieht, fragen sich Offiziere, wenn sich die Gruppen – gut gerüstet, bewaffnet und kampferprobt – verselbständigen und ihre eigenen Ziele verfolgen? Schnell könnten die einstigen Helfer sich gegen die schwache Staatsmacht wenden.

Skeptiker bewerten die Formierung der Privatarmeen schon heute negativ und sehen darin die Gefahr des erneuten Auseinanderfallens Afghanistans. Die einzelnen Clans, so lautet die Kritik, stecken mit den Milizen schon jetzt ihre Machtbereiche ab. Gachi Nabi erklärt jedoch, diese Diskussion sei ihm fremd. Dann schwingen sich seine Männer wieder auf den weißen Toyota Pick-up, nehmen ihre Waffen zur Hand und binden sich Tücher gegen den Sand ums Gesicht. Nur die Sonnenbrillen, die die Männer so gerne tragen, unterscheiden sie jetzt optisch noch von Taliban-Kämpfern.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Afghanistan, Milizen, Kunduz, Bundeswehr, Behörden, Kriegsveteranen, Guerilla, Mudschahidin, Kämpfer, Polizei, Armee, Personalmangel, Taliban, Privatarmee, Bewaffnung, Aufrüstung, Waffen