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Indien: Kinder schuften für deutsche Grabsteine

 
Meldung vom 16.02.2010

Ein Drittel der deutschen Grabsteine wird aus Indien eingeführt. Dort mühen sich Kinder unter elenden Bedingungen in den Steinbrüchen ab. Deutscher Marktführer verteidigt sich gegen den Vorwurf, mit in Kinderarbeit gefertigten Produkten zu handeln. Ein Siegel soll demnächst den fairen Handel in der Branche gewährleisten.

Drei Jungen um die 12 Jahre stemmen einen großen Presslufthammer. Die heftigen Vibrationen lassen ihre ganzen Körper erzittern. Ohrenbetäubender Lärm breitet sich zwischen den Wänden des Steinbruchs aus. Staub legt sich auf die Augen und erfüllt die Lunge. Die sengende Hitze ist unerträglich. Wir befinden uns mit Benjamin Pütter, Kinderrechtsexperte von Misereor, im südindischen Bundestaat Tamil Nadu. Unter der falschen Identität von Steinhändlern überprüfen wir die Arbeitsbedingungen in Exportsteinbrüchen zwischen den aufstrebenden Städten Chennai und Bangalore.

Indischer Granit ist gerade im Trend. Deutschland bestellt knapp 50.000 Tonnen pro Jahr, Tendenz steigend. Verwendet wird der Granit meist für Grabsteine, edle Fassaden und Innenverkleidungen. „Was immer bestritten wurde“, erklärt Pütter, „hier ist der Beweis: schwerste Kinderarbeit in Exportsteinbrüchen. Wer unter diesen Bedingungen schuftet, hat eine Lebenserwartung von ungefähr 35 Jahren.“

Immerhin, in diesem Steinbruch erhalten die Kinder umgerechnet einen Lohn von rund 80 Cent pro Tag. In manch anderem Steinbruch, besonders in denen, die für den indischen Markt produzieren, wird ihnen häufig gar nichts ausgezahlt. Ihre Eltern haben sich Geld vom Besitzer geliehen – zu hohen Zinsen. Die Schulden wachsen immer weiter an, der Lohn der gesamten Familie wird niemals genügen, um sie abzubezahlen. Stattdessen werden die Kinder gezwungen, umsonst zu arbeiten. „So funktioniert Schuldknechtschaft. Eine Form der modernen Sklaverei“, berichtet Pütter.

In ganz Indien gibt es tausende teils riesige Steinbrüche, die für den ausländischen oder den heimischen Markt herstellen. Ganze Dörfer, meist befinden sie sich direkt neben den Abbaustätten, sind abhängig von den Steinbruchbesitzern.

38 Personen sind in dem Steinbruch beschäftigt, den wir mit Pütter besuchen. Nur 16 davon sind Erwachsene. Der Besitzer zeigt uns stolz seine großen Granitblöcke, Rohmaterial für Grabsteine. „Unsere Hauptabsatzmärkte sind Deutschland und Italien“, sagt er und ergänzt, einer seiner Abnehmer sei auch die „Firma Enterprising Enterprises.“ Die meißelt daraus Grabsteine und bietet sie auf dem Weltmarkt an.

„Wir kaufen 99,9 Prozent unserer indischen Grabsteine von Enterprising Enterprises“, bestätigt uns der Einkaufsleiter der deutschen Grabsteinfirma Habu. Das Unternehmen hat den deutschen Markt mit indischen Grabsteinen regelrecht überschwemmt und ist damit, nach eigenen Angaben, zum Marktführer avanciert. Inzwischen kommen rund ein Drittel aller Steine auf deutschen Gräbern aus Indien. Das macht einen Gesamtwert von rund 30 Millionen Euro. Die Ware aus Indien ist unschlagbar preiswert.

Und wie lautet die Stellungnahme der Firma zur Kinderarbeit? Die Maschinen und Werkzeuge seien viel zu schwer und kompliziert zu bedienen, meint der Einkaufsleiter. „Deshalb gibt es in der Granitbranche keine Kinderarbeit.“ Konfrontiert mit unseren Fotos und Videos von Kindern, die sich in Lumpen und Gummilatschen im Dreck und Staub der Steinbrüche abmühen, reagiert er ehrlich schockiert. „Ein Kontrollsystem gibt es nicht, Habu schickt keine Leute durch die Steinbrüche.“

Genau das will die indische Gewerkschaft der Steinbrucharbeiter gemeinsam mit deutschen Steinmetzen jetzt ändern. „Wir sagen Ja zu Steinen aus Indien – aber ohne Kindersklaven und ohne Schuldknechtschaft“, erklärt der Freiburger Steinmetz Michael Storr, einer der Initiatoren. Was in der Teppichindustrie vorbildlich eingeführt wurde, nämlich das erfolgreiche Siegel „Rugmark“, wollen sie nun auch auf Steine ausweiten. Das „Signum“, ein in den Stein gemeißeltes Zeichen, soll die faire Produktion auszeichnen.

Auf dem Markt existiert es bereits; Storr will gemeinsam mit indischen und deutschen Hilfsorganisationen ein unabhängiges Kontrollsystem ins Leben rufen, um Kinder- und Sklavenarbeit in den Exportsteinbrüchen entgegenzuwirken. Zudem soll ein Viertel des Gewinns Indien zugute kommen: für Schulen und Ausbildungsprojekte und die Basisbewegung der Steinbrucharbeiter, die ein Genossenschaftsmodell aufbauen will.

Tatsächlich sind allein in der Gegend zwischen Chennai und Bangalore schon über 30 „befreite“ Steinbrüche entstanden, in denen die Arbeiter Bruchkonzession und Verwaltung von den Regierungen auferlegt bekamen. Bislang mangelt es ihnen jedoch an der teuren Technik, um für den Export zu herzustellen. „Wenn große Firmen wie Habu mitmachen würden, dann wäre das natürlich ein großer Schritt nach vorne“, betont Benjamin Pütter.

Bis jetzt allerdings unternimmt das Unternehmen Schritte in die entgegen gesetzte Richtung: Es leugnet jede Kinderarbeit in den Steinbrüchen ihrer Zulieferer, gegen eine Fernsehdokumentation will es notfalls mit rechtlichen Schritte angehen. Und Benjamin Pütter wartet bis heute auf eine Stellungnahme des Habu-Einkaufsleiters.


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Kinderarbeit: Bericht aus Brüssel




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de

Schlagwörter: Indien, Kinderarbeit, Steinbruch, Grabstein, Handel, Schuldknechtschaft, Sklaverei, Absatzmarkt, Habu, Enterprising Enterprises, Kontrollsystem, fairer Handel, Granit, Produktion, Chennai, Bangalore