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Haiti: Leben in Zeltstädten und Müllbergen

 
Meldung vom 22.04.2010

Hundert Tage nach dem Erdbeben steht Haiti vor der gewaltigen Herausforderung des Wiederaufbaus – noch immer werden Leichen aus dem Schutt geborgen. Und schon ein kleiner Funke kann einen lebensgefährlichen Brand auslösen in der Stadt der Plastikplanen. Deshalb wird die kleine Senella Simeon im Feldlazarett des Roten Kreuzes von Carrefour bei Port-au-Prince behandelt. Von Kopf bis Fuß ist sie eingepackt in Verbände. Das Haus der Familie stürzte ein, danach ging ihr Zelt in Flammen auf, das sie nachts mit einer Kerze beleuchteten.

Die junge Mama Josena Bien-Aime kam mit der Großmutter, dem Säugling und anderen Kindern in einem Zelt auf der Straße unter. Abends fiel kürzlich eine Kerze um, das einzige Licht, die einjährige Senella konnte nur als Letzte dem Feuer entkommen. Die Flammen und schmelzender Kunststoff verbrannten Arme, Beine, Kopf. Jetzt wird sie in einem weißen Zelt von Ärzten behandelt und von der Oma mit Brei gefüttert. Sie wartet auf eine Reise zu Spezialisten in die USA.

Das Rote Kreuz organisiert seit der Katastrophe, die 230.000 Tote forderte, die größte Hilfsaktion seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Behelfsklinik in einem Stadion wurde zur modernsten Krankenstation der Umgebung umfunktioniert. Sie stellt eine Insel in den Trümmern dar, mit Operationszelt und Röntgenapparat, geführt von Deutschen, Finnen, Schweden, Peruanern. Viele Patienten wollen gar nicht mehr entlassen werden, so sauber und ordentlich wie hier finden sie es an den Müllhaufen draußen kaum. Oft sehe man sich gezwungen, die Leute nach der Behandlung freundlich hinauszuwerfen, sagt Chirurg und Manager Johannes Schad. Bald soll das Krankenhaus unter Dächer umziehen, denn schon wird das nächste Unheil erwartet, obwohl die sogenannte Notfallphase nach drei Monaten vorbei ist.

Am Himmel türmen sich graue Wolken zwischen den spärlich bewachsenen Bergen. Das kündigt eine verhängnisvolle Kombination an. Am Sonntag regnete es vier Stunden lang, das Wasser stand schnell bis zu den Knöcheln. Wenn in Kürze die Regenzeit mit ihren Sintfluten zum Tragen kommt, dann wird der Lehm zu Schlamm, und Kloaken schwellen zu stinkenden Strömen. Danach muss man mit der Hurrikan-Saison rechnen, sie ist die nächste Etappe des haitianischen Horrorkalenders. Kaum vorstellbar, was das für all die Obdachlosen bedeutet. In Port-au-Prince drängen sich Hunderttausende auf Plätzen wie dem Champs Mars am eingestürzten Präsidentenpalast.

Der universitätslose Student Eugene Damis hat sich mit Eltern und acht Geschwistern ebenfalls in ein Zelt geflüchtet. Und wenn es regnet, dann sucht er Unterschlupf in einem kaputten Auto. Viele Wohnungen wären zwar theoretisch bewohnbar, aber vor Mauern schrecken die Menschen derzeit zurück. Zumal Experten und Staatschef René Préval weitere Erschütterungen prognostiziert haben. Außerdem hat selbst Préval seinen Regierungssitz in einem Zelt eingenommen. Den wenigsten Landsleuten ist klar, ob nun er oder die UN oder die USA das Sagen haben. Den notdürftig reparierten Flughafen kontrollieren wieder die Hausherren, doch das Volk ist verwirrt.

„Nou Bouke“, ist auf Mauern zu lesen, wir sind müde. „Je croix en Dieu“, ich glaube an Gott, steht auf bunten Sammeltaxen. Bislang sind keine Unruhen ausgebrochen und im zerstörten Zentrum kann man nur wenige Polizisten und UN-Blauhelme erkennen. „Manchmal denkt man, gleich bricht das Chaos aus“, sagt Katharina Ehrmann vom Roten Kreuz, „und manchmal denkt man, dass der Wiederaufbau die Chance für Haiti ist.“ Wie viele Ausländer ist sie angetan von der Freundlichkeit und Widerstandskraft der Haitianer. Es wird gelacht, Frauen ziehen sich trotz aller Engpässe oft bunte, schöne Kleidung an. „Ich weiß nicht, wie wir leben“, meint Eugene Damis. Aber es geht weiter.

Scharen von Einheimischen tragen gelbe T-Shirts und zerschlagen für Mindestlöhne kaputte Gebäude in Einzelteile. „Cash for work“ heißt das, zumindest der Abbau hat angefangen. Der Schuttberg wächst, wenn auch ohne erkennbares System. Die meisten Ruinen sind unverändert. Der Abfall verbreitet unterdessen üblen Geruch, mehr als der Tod. Im Geröll werden noch viele Leichen vermutet, trotz der überfüllten Friedhöfe und Massengräber.

Jeder hat den Tod von Verwandten und Freunden zu beklagen. Die Frau eines haitianischen Rotkreuzfahrers brachte ihr Kind am 12. Januar zur Welt, kurz danach stürzte das Hospital ein. Das Baby starb drei Tage später. Die kleine Senella Simeon aus der Klinik von Carrefour dagegen blieb am Leben. Sie soll nach bürokratischem Kampf jetzt zur plastischen Chirurgie nach Boston ausgeflogen werden.


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Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Süddeutsche Zeitung“, sueddeutsche.de

Schlagwörter: Haiti, Regenzeit, Zeltstädte, Müll, Schuttberg, Wiederaufbau, Behelfsklinik, Hurrikan, Ruinen, Trümmer, Brand