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Haiti: Auf sich selbst zurückgeworfen – Kriminalität und Chaos

Meldung vom 08.10.2010

Alarmierende Zustände herrschen in den Zeltlagern Haitis. Tag für Tag nehmen Kriminalität, Drogenkonsum und Vergewaltigungen zu. Von einem Wiederaufbau kann keine Rede sein. Hilfsorganisationen kommen kaum zum Zuge. Auch neun Monate nach dem schweren Beben in Haiti leben die Menschen unter chaotischen Bedingungen. Nun werden schwere Vorwürfe gegen die Vereinten Nationen erhoben.

Langsam geht eine Frau mit weißer Bluse und buntem Rock auf die Kathedrale zu. Sie tritt ein, kniet nieder und betet. Die Kathedrale von Jacmel, ein weißgelbes koloniales architektonisches Schmuckstück, ist – umringt von Trümmern – wie durch ein Wunder stehen geblieben. Sie erscheint wie ein Mahnmal, das im Jüngsten Gericht verschont geblieben ist. Mitgenommen, mit bröckelnder Fassade, schiefem Turm und Rissen im Gemäuer. Die Zeiger auf dem Ziffernblatt der Turmuhr sind stehengeblieben um 17.35 Uhr – fast genau zu der schicksalsträchtigen Stunde des Erdbebens.

Die Dämmerung bricht ein, die Händler auf dem Markt vor der Kathedrale verstauen eilig ihre Waren auf die Schubkarren – ein paar Zwiebeln, ein Sack Kohle, ein Korb Orangen, ein frisch geschlachtetes Schwein. Sie machen sich davon, bevor es zu dunkel in den Gassen wird und sie Gefahr laufen, in einen offenen Kanaldeckel zu stürzen. Jacmel konnte in der Mitte des 19. Jahrhunderts als erste Stadt der Karibik mit Telefonen, Elektrizität und Trinkwasseranschlüssen aufwarten. Wenig später brannte die Innenstadt ab, die danach wieder aufgebaut wurde. Heute wird der Strom auf ein paar Stunden am Tag rationiert, das ohnehin schon spärliche öffentliche Beleuchtungssystem ist nach dem Beben völlig ausgefallen.

„A démolir“ – abbruchreif, haben die Beamten des Bauministeriums auf viele Häuser gesprüht. In der Innenstadt sind nur noch wenige Gebäude bewohnbar. Die Fragen sind bisher ungeklärt: Soll man abreißen und neu bauen, obwohl die Häuser einst unter Denkmalschutz standen? Soll man sie für viel Geld restaurieren? Ein Dilemma, für das die haitianischen Politiker und die internationale Gemeinschaft derzeit keinerlei gedanklichen Freiraum haben. 1,3 Millionen Menschen verloren ihr Heim, Schulen, Krankenhäuser, Gerichte und Polizeistationen wurden pulverisiert. Das Beben hat den ohnehin schon schwachen Staat vollends zu Boden gestoßen – da kann man auf historische Gebäude keine Rücksicht mehr nehmen.

Der Geschichte wird wenig Wert beigemessen in einem Land, in dem zwei Drittel der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann und drei Viertel unter dem Existenzminimum leben. Ein uruguayischer Blauhelmsoldat schiebt auf einem mit Trümmern übersäten Platz Wache. Als er Ausländer erblickt, freut er sich sichtlich. Abwechslung ist für ihn hier eine Seltenheit, dafür hat er aber eine Menge Arbeit. „Viel Drogenhandel“, berichtet er und fügt fast verständnisvoll hinzu: „Von irgendetwas müssen die Menschen ja leben.“

Doch das Vertrauen der Haitianer in die UN und die haitianische Polizei ist bescheiden. Die Polizei gilt als korrupt und uneffektiv. Die UN-Vertreter auf Haiti hält man für unerfahren und überfordert. Oft scheitert deren Aktivität schon bei der Kommunikation: Selten begleiten Übersetzer die UN-Mitarbeiter, bemängelt die Hilfsorganisation Refugees International in einem aktuellen Bericht. Zudem werden dem Bericht zufolge viele der schätzungsweise mehr als 1.000 Zeltlager von kriminellen Banden beherrscht, aus Massenvergewaltigungen und Frauen, die sich für Lebensmittel prostituieren, besteht der haitianische Alltag.

Draußen ist inzwischen die Nacht eingebrochen, der Mond wirft ein fahles Licht. Über den leeren Marktplatz laufen Ratten. Um sich vorwärts zu bewegen, muss man über Müllhaufen steigen. Die Müllabfuhr war schon vor dem Erdbeben nicht mit den Abfall klar gekommen. In der Trockenzeit verbrennen die Anwohner die stinkenden Berge, wenn sie ein zu großes Ausmaß angenommen haben. Jetzt, in der Regenzeit, schwemmt manchmal ein Tropengewitter die Abfälle die abschüssige Straße hinunter ins Meer.

Die UN haben in den Zeltlagern für Solarbeleuchtung gesorgt, internationale Hilfsorganisationen haben Chemieklos und Wassertanks errichtet und die Zeltplanen gespendet, deren übergroße Aufdrucke die Barmherzigkeit der Geber bezeugen. Ab und zu schaut ein Arzt vorbei und bietet kostenlos eine Sprechstunde an – das ist mehr medizinische Versorgung, als die meisten Haitianer vor dem Beben erwarten konnten. Die Projektpartner von Gebende Hände vor Ort erreichen trotz der erschwerten Umstände viel. Haitianern, die alles verloren haben, wird mit Speisungsprogrammen, medizinischer Versorung in der Klinik und Schulungsangeboten geholfen. 

In den UN-Camps haben sich einige ihr Zelt in den vergangenen neun Monaten mit Wellblechdächern stabilisiert oder einen kleinen Vorbau errichtet, der als Marktstand dient. In einigen Monaten hat sich das Lager sicherlich den üblichen Slums angeglichen. Eine Bewohnerin des Zeltlagers ist Kiricarme Joassaint. Sie musste das Jurastudium abbrechen, da Haiti über keine Universität mehr verfügt, und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. „Wir haben hier doch keine Demokratie, die Menschen lassen sich ihre Stimme für einen US-Dollar abkaufen“, beschwert sie sich. Auch ihre Meinung zum Wiederaufbau ist ernüchternd: „Den machen die Regierung und die internationale Gemeinschaft unter sich aus, wir Haitianer werden nicht gefragt und nicht mal informiert.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Welt Online“, welt.de

Schlagwörter: Haiti, Wiederaufbau, Zelte, Zeltlager, Hilfsorganisationen, Slums, Trümmer, Chaos, Kriminalität, Abbruch, UN, Vereinte Nationen, Blauhelm-Soldaten, Vergewaltigung, Drogen, Strom, Licht, Wassertanks, Chemieklos, Abfall