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Indien: Missbrauch einer guten Idee – die Mikrokredit-Krise

Meldung vom 29.11.2010

In Indien herrscht Bestürzung: Wucherer treiben Tausende Inder in den Selbstmord. Ursache ist Profitgier im Umgang mit einem Konzept, dass eigentlich den Armen zu einem Neustart ins Leben verhelfen sollte. Zugrunde liegt die große Idee, für die Muhammad Yunus sogar den Nobelpreis erhielt. Mittellose Menschen sollten sich mit Minikrediten zu Unternehmern entwickeln. Doch jetzt droht dem Modell in Indien das Aus. Denn viele Arme verwenden das Geld nicht für rentable Projekte – sie bestreiten damit ihr nacktes Überleben. Kreditgeber nutzen dies aus.

Schauplatz des Desasters ist der südostindische Bundesstaat Andhra Pradesh, eine dicht besiedelte Region. Etwa 80 Millionen Menschen wohnen hier. Die meisten Bewohner sind Kleinbauern oder Landarbeiter. Die Landwirtschaft sichert hier noch nicht einmal das tägliche Überleben.

Deshalb nehmen viele Menschen hier einen Kleinstkredit auf. Durchschnittlich beträgt dieser 200 Dollar. Davon erstehen sie eine Kuh, deren Milch sie verkaufen, ein Mobiltelefon, das sie vermieten, oder eine Fahrradrikscha, mit der sie Passagiere herumfahren. Andere eröffnen einen Kiosk, ein kleines Lebensmittelgeschäft oder eine Werkstatt. Die Kredite sollen für die Armen eine Starthilfe in ein besseres Leben ermöglichen.

Andhra Pradesh gilt als der größte Markt für Mikrokredite weltweit. Nach Pharma, Biotechnologie und Software eröffnen deshalb immer mehr Geldinstitute ihre Filialen dort. Sie verleihen kleine Summen an Menschen, die mangels Sicherheiten bei herkömmlichen Banken nicht kreditwürdig sind.

Die Idee für diese Art des Geldverleihs kam dem Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus. Bei einer Exkursion wurde er auf Korbflechterinnen aufmerksam, die einen Hungerlohn erhielten. Eine Frau gab an, sie würde sich gerne selbständig machen, benötige dafür aber umgerechnet knapp 30 Dollar. Yunus reagierte betroffen: Diese kleine Summe war alles, was die Frau von einer besseren Zukunft trennte?

Damit war die Idee des Mikrokredits geboren. Yunus borgte den Frauen aus seiner eigenen Tasche das Geld. Er organisierte mehrere Projekte zur Existenzgründung von armen Menschen, 1983 gründete er schließlich die Grameen Bank (Ländliche Bank). Daraus entstand bald ein Mikrofinanzinstitut, das inzwischen in mehr als 80.000 Dörfern in Bangladesch operiert und zehn Milliarden Dollar verliehen hat – von denen knapp neun Milliarden bereits wieder zurückgezahlt sind.

Diese extrem niedrige Ausfallquote hebt Yunus besonders hervor. Und er weist darauf hin, dass die Bank nicht profitorientiert arbeitet, sondern sich einem sozialen Zweck verschrieben hat. Die Kreditnehmer stellen zugleich Anteilseigner dar, von dem Gewinn profitieren allein sie selbst. Zu der Kundschaft zählen größtenteils Frauen. Die Grameen Bank und ihr Urheber erhielten vor vier Jahren den Friedensnobelpreis.

Seither wurde diese Idee tausendfach nachgeahmt, nicht nur in Südasien, sondern auch in Afrika, Osteuropa, Lateinamerika. Große Geldhäuser wie die Deutsche Bank und die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau drängten sich in das Geschäft mit den Minikrediten. Aber nicht nur Idealisten bemächtigten sich der Idee von Yunus. Erst im August ging der indische Branchenprimus, SKS Microfinance, in Mumbai damit an die Börse. Aus dem Non-Profit-Gedanken von Yunus entwickelte sich ein milliardenschweres Geschäft, das zunehmend außer Kontrolle geriet.

Doch im Sommer 2010 erreichten die ersten Katastrophenmeldungen die Öffentlichkeit. Immer wieder wurde über Selbstmorde von Kreditnehmern in den indischen Zeitungen berichtet. Dabei spielten Zinsen für die Mikrokredite eine Rolle, die in extreme Höhen geschossen waren. Skrupellose Schuldeneintreiber hatten die Menschen zur Zahlung ihrer Raten unter Druck gesetzt. Innerhalb von sechs Wochen wurden allein in Andhra Pradesh 30 Suizidfälle festgestellt. Aufgeschreckt versuchte die Regierung des Bundesstaates, die Branche mit Auflagen zu regulieren. Mitte Oktober wurde eine Höchstgrenze für den Zinssatz angeordnet, seit einer Woche besteht außerdem ein Rettungsfonds für angeschlagene Mikrokreditbanken.

Der Grund für die Krise liegt auf der Hand: Das System hatte sich verselbständigt. Manche Mikrofinanzinstitute erheben einen Zinssatz von bis zu 60 Prozent. Und da das Angebot von Mikrokrediten sich dermaßen erweitert hat, finanzierten viele Kunden ihren Kredit mit einem weiteren Darlehen. Auch wurde keine Kontrolle darüber ausgeübt, ob das geliehene Geld tatsächlich für den eigentlichen Zweck, nämlich als Startkapital für ein Unternehmen, eingesetzt wurde.

Immer mehr Menschen gebrauchten die Kredite, um Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen. Eine Überschuldung war die Folge. Muhammad Yunus definiert diese fatale Entwicklung als einen „Missbrauch der ursprünglichen Idee“. Die Institute seien bestrebt, mit Mikrokrediten Gewinne zu machen, anstatt in „soziales Unternehmertum“ zu investieren. Regierungen müssten deshalb Regeln und Grenzen für die Branche festsetzen.

Grundsätzlich sei das System Mikrokredite aber nach wie vor ein Weg, um Menschen aus der Armut zu helfen. Die Motivation der Kreditgeber müsste aber sein, Menschen zu helfen, nicht Gewinn zu machen. Die Regierung greift inzwischen verstärkt ein. Die Polizei nahm kürzlich Geldeintreiber mehrerer Kreditunternehmen fest, weil sich die Schuldner über deren brutales Vorgehen beschwert hatten.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Indien, Mikrokredit, Mikrokredit-Krise, Muhammad Yunus, Friedensnobelpreis, Suizid, Selbstmord, Wucherer, Profitgier, Banken, Kreditvergabe, Zinsen, Zinssatz, Raten, Grameen Bank, Schulden, Schuldner, Andhra Pradesh, Überschuldung, Rettungsfonds