Sudan: Der Süden fiebert der Unabhängigkeit entgegen

Meldung vom 21.12.2010

Die südsudanesische Stadt Juba ist voller Menschen. Vor dem Referendum zur Unabhängigkeit am 9. Januar 2011 tummeln sich hier Heimkehrer, Profiteure und Gelegenheitsjobber. Der eine hat alles aufgegeben, der andere setzt alles aufs Spiel.

Über dem zentralen Kreisverkehr im Stadtzentrum erhebt sich eine Digitaluhr aus dem Verkehrschaos. „Countdown bis zum Unabhängigkeitsreferendum“ ist über der Digitalanzeige zu lesen, doch die Zahlen darunter stehen still. Zum wiederholten Mal ist das heillos überlastete Stromnetz zusammengebrochen.

Dennoch glaubt in Südsudans Hauptstadt fast jeder, dass die Zeit der Einheit von Afrikas flächengrößtem Land, dem Sudan, vorbei ist. Am 9. Januar geben die Südsudanesen ihre Stimme dazu ab, ob sich der Süden von der Zentralregierung im nördlichen Khartum unabhängig machen soll.

Am letzten Tag der Registrierung für das Referendum hat sich Tito Marou geduldig in die Warteschlange eingereiht. Der Chemiestudent ist extra mit dem Nachtbus aus der Hauptstadt des Nachbarlandes Uganda gekommen. Der 26-Jährige hält seinen sudanischen Reisepass hoch, unterzeichnet auf der Wählerkarte und taucht seinen Zeigefinger in das Tintenfass – eine Maßnahme, die sicherstellen soll, dass Menschen ohne Personalausweis sich nicht doppelt registrieren lassen.

Marou hofft, dass das Referendum ohne Gewaltausbrüche verläuft und der Norden das Ergebnis annimmt. „Dann kommen wir zurück aus den Nachbarländern, um mit unserem gelernten Wissen zur Entwicklung unserer Heimat beizutragen“, betont er.

Die Unabhängigkeit hat erste Priorität im politischen Programm des Südsudans. Plakate und Aufkleber werben an Häuserwänden, Mauern und Werbeanzeigetafeln für die Teilung. Die größte Werbetafel entlang der Hauptstraße im Stadtzentrum bildet Präsident Salva Kiir ab: „Der letzte Marsch in die Freiheit“ kann man da in knallgrünen Buchstaben entziffern. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg gegen die Regierungstruppen sagt der Chef der regierenden SPLM (Sudan Peoples' Liberation Movement) nun eine neue, glorreiche Zukunft des „Neuen Sudans“ voraus.

In den vergangenen Wochen haben sich über 50.000 Südsudanesen in die versprochene Freiheit aufgemacht, so lauten die Zahlen des humanitären Koordinationsbüros der UN (Ocha). Die meisten von ihnen wohnten jahrzehntelang in Sudans Hauptstadt Khartum. Insgesamt 150.000 Rückkehrer aus dem Norden erwartet die UN-Agentur bis zum Frühjahr.

Heimkehrer Angelo Loki hat es sich auf einem gusseisernen Bettgestell ohne Matratze im Schatten eines Mangobaums am Hafen bequem gemacht. Neben ihm stapeln sich seine Habseligkeiten: Koffer, Kochutensilien und ein Garderobenständer, woran seine Regenjacke hängt.

Der Südsudanese ist am Hafen von Juba gestrandet. Drei Wochen reiste er von Khartum aus mit dem Boot auf dem Nil nach Juba. Fast sein ganzes Vermögen von umgerechnet rund 20 Euro hat er für die Heimkehr ausgegeben. Südsudans Regierung hat den Heimkehrern Busse und Lastwagen in Aussicht gestellt, die sie am Hafen in Juba abholen und in ihre abgelegenen Heimatdörfer auf dem Land transferieren. Auf die wartet Loki bereits seit zwei Tagen.

Der gelernte Mechaniker war 37 Jahre in Khartum ansässig, mit einer Nordsudanesin verheiratet und hat vier Kinder mit ihr. „Das Leben war okay, ich hatte einen guten Job“, sagt er. Dennoch: „Die Situation im Norden wird für uns Südler immer schwieriger.“ Arbeit würde immer weniger an Leute aus dem Süden erteilt, die Feindseligkeit auf beiden Seiten wächst. Vor wenigen Monaten traf er die Entscheidung, alles zurückzulassen und in sein Heimatdorf Kapoita im Süden zurückzukehren. „Ich liebe mein Land so sehr, ich will dabei sein, wenn wir unabhängig werden“, erklärt er und ein Strahlen erscheint auf seinem Gesicht. „Nach so langer Zeit habe ich Juba fast nicht wiedererkannt – es hat sich so viel verändert!“

Tatsächlich hat sich Juba verwandelt. Einst bestand es nur aus runden Lehmhütten mit Strohdächern und Containern, in denen die Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen lebten. Jetzt ist es eine zunehmend florierende Stadt. Der internationale Flughafen bekommt bald einen neuen Terminal. Die wichtigsten Verbindungsstraßen zwischen dem Flughafen, der Innenstadt und dem Regierungsviertel sind frisch asphaltiert.

Dennoch hängt der Infrastrukturausbau eher zusammen mit den Bedürfnissen der Internationalen Gemeinschaft. Die geteerte Straße verliert sich ein Dutzend Meter hinter der US-Repräsentanz. Danach versandet die Straße in ein Grabensystem aus Fahrrinnen und einem Abflusskanal.

Mit dem einst vom Norden stark vernachlässigten Süden geht es aufwärts, weil dort Erdöl-Quellen liegen. Der Süden darf laut Friedensabkommen zu 50 Prozent von den Erdöl-Einnahmen profitieren. Mit dem Aufschwung wächst auch die Korruption. Die Neubaugebiete am Rande der Stadt spiegeln das wieder: Minister und Armeeoffiziere bauen dort gewaltige Villen, die sie zu Preisen zwischen 2.000 und 15.000 US-Dollar an Mitarbeiter internationaler Organisationen vermieten.

Juba ist eine Stadt der Extreme: Zerfallene Ruinen aus Kolonialzeiten stehen neben runden Lehmhütten mit Strohdächern und imposanten Neubauten, in deren Gärten die Stromgeneratoren tuckern. Die Stromversorgung für die gesamte Stadt ist jeden Tag unzureichend, aber es gibt ein teures Sushi-Restaurant für die Elite.

Geschäftsleute lassen sich zunehmend im Südsudan nieder, auch wenn ein hohes Risiko dabei besteht. Hier zu handeln, „das ist wie im Wilden Westen“, sagt Rashid Manafa, Vorsitzender des Verbands ugandischer Händler, die im Südsudan ihre Waren feil bieten. Bestechungsgelder an Straßensperren müsse man einkalkulieren. Südsudans Polizei habe Lastwagenladungen voller Güter konfisziert. Die Händler haben ihre Ware nie wieder gesehen.

Viele sind über die politische Unsicherheit beunruhigt. Manche entscheiden sich, bis nach dem Referendum mit dem Handel abzuwarten. „Wenn alles friedlich bleibt, komme ich zurück – sonst versuche ich mein Glück woanders“, sagt der Händler Saleh. Zurzeit horten Restaurantbesitzer und Hotelmanager Lebensmittel und Bier, damit sie über Weihnachten ihre Gäste versorgen können. Daher schießen in Juba derzeit die Preise extrem in die Höhe. Und niemand weiß, ob sich die Lage nach dem Referendum im Januar wieder entspannen wird.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de