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Afghanistan: Der lange Weg zu einer afghanischen Justiz

Meldung vom 11.03.2011

Von echter Rechtsstaatlichkeit ist Afghanistan noch sehr weit entfernt. Trotzdem kämpfen afghanische Juristen für eine funktionierende Justiz – und sehen Fortschritte.

Als die westlichen Truppen 2001 das Taliban-Regime in Afghanistan wegfegten, da sollte an dessen Stelle ein demokratischer Staat entstehen mit einer gewählten Regierung, einem Parlament und Gesetzen, die für alle gelten. Seitdem sind zehn Jahre vergangen. Von einem Rechtssystem, wie man es sich 2001 erträumt hat, sei Afghanistan noch immer weit entfernt, sagt Afzal Nooristani, Anwalt in Kabul und Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation Legal Aid Association: „Wir haben noch immer viele Richter, die ihre Ausbildung an den Madaris (Plural von Madrasa, Anm. d. R.), den Religionsschulen, bekommen haben. Sie sind sehr konservativ. Wir hoffen auf die nächste Generation. Auf junge Richter, die eine juristische Ausbildung haben.“

Gesetze im Einklang mit der Scharia

Nooristani ist gemeinsam mit anderen Rechtsexperten auf einer Reise durch Europa, wo sie verschiedene Institutionen besuchen. Mit dabei ist auch die Abgeordnete Golalei Safi Nur. Sie sitzt seit 2005 im afghanischen Parlament. Jedes Gesetz, das vom Parlament verabschiedet wird, erklärt sie, müsse laut Verfassung im Einklang mit dem islamischen Recht, der Scharia, stehen – ein Umstand, für den Afghanistan oft kritisiert wird. „Die europäischen Medien müssen auch verstehen, dass die Gesetze in Afghanistan von den Afghanen gemacht werden“, entgegnet sie den Kritikern. „Ein Gesetz, das von der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, ist auch kein demokratisches Gesetz.“

Viele Gerichte urteilten allerdings nicht nach diesen Gesetzen, sondern nach ganz eigenen Vorstellungen, beklagt der Anwalt Afzal Nooristani. Häufig würden Angeklagte wegen Vergehen angeklagt, die es gar nicht gibt. So komme es immer wieder zu Fällen, in denen Verdächtige, denen kein Verbrechen nachgewiesen werden kann, wegen eines so genannten „Verbrechens gegen die Moral“ verurteilt würden, ein Straftatbestand, den es weder im staatlichen Recht noch in der islamischen Scharia gibt. Dennoch gebe es auch Fortschritte, sagt Nooristani: „Als ich meinen ersten Fall übernahm, wollten mich die Richter gar nicht ins Gericht lassen, um meinen Mandanten zu verteidigen. Inzwischen melden sich die Gerichte bei uns, um einen Anwalt anzufordern, wenn sie wieder jemanden verhaftet haben, der kein Geld hat.“

Wer Geld und Macht hat, erscheint nicht vor Gericht

15.000 Menschen sitzen derzeit in afghanischen Gefängnissen. Dabei gibt es im ganzen Land nur rund 1.000 zugelassene Anwälte, und nur die wenigsten vertreten Mandanten auch in Strafsachen. Vor Gericht verließen sich viele dann auch lieber nicht auf einen Anwalt, sondern versuchten es auf ihre Art. „Ich habe viele Drohungen erhalten, besonders von den Verwandten der Angeklagten“, erzählt Hayatullah Ahadyar, Richter an Afghanistans Gerichtshof für Drogendelikte. Auf Drogendelikte stehen in Afghanistan drakonische Strafen. Der Besitz von Heroin kann bis zu zwanzig Jahre Gefängnis bedeuten. Da reagierten viele Familien äußerst nervös.

Und dann ist da natürlich noch die Korruption. Nicht alle, aber viele Richter in Afghanistan seien bestechlich, sagt der Anwalt Afzal Nooristani. „Die großen Kriminellen, die kommen sowieso nicht vor ein Gericht. Sie entgehen ihrer Strafe einfach durch Bestechung. Viele, die verhaftet werden, sind dagegen arm.“ Am häufigsten, sagt er, habe er mit kleinen Delikten wie Diebstahl zu tun.

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Nicola Reyk

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Welle.




Quelle:  „Deutsche Welle“, dw-world.de

Schlagwörter: Afghanistan, Justiz, Gesetze, Korruption, Richter, Scharia, Sharia, Gericht, Anwalt, Delikte, Diebstahl, Rechtsstaat, Kriminalität, Demokratie, Religionsschule