Kenia: Sechs hochrangige Politiker vor Gericht in Den Haag

 
Meldung vom 08.04.2011

Über Jahre hat die Polit-Elite in Kenia sich erfolgreich gegen einen Prozess wegen Anstiftung zum Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen sechs Mächtige im Land zur Wehr gesetzt. Das gelang bisher durch Taktiererei, Verzögerung und Verschleierung. Doch nun müssen sich die Männer vor dem Internationalen Strafgerichtshof rechtfertigen.

Eine bühnenreife Inszenierung mit Tränen, Unschuldserklärungen, Anschuldigungen gegen den Westen spielte sich vor ihrem Abflug nach Europa ab: Mit großem Medienrummel ließen sich Anfang der Woche sechs prominente Kenianer verabschieden, die sich an diesem Donnerstag und Freitag vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) zu verantworten haben. Die Anklage lautet Anstiftung zum Mord, Vertreibung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Noch nie wurde ein Kenianer vor das Gericht in den Niederlanden zitiert.

Seit ICC-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo Mitte Dezember die Namen der sechs Beschuldigten offenlegte, ist die Politik in Kenia gelähmt. Die Umsetzung der neuen Verfassung ist ins Stocken geraten, die Medien wälzen seit Wochen nur noch dieses eine Thema, und die zwei prominentesten Angeklagten, Anführer der Volksgruppen der Kikuyu und der Kalenjin, reisen seit Wochen durchs Land, um die Menschen auf ihre Seite zu bringen und gegen den ICC zu wettern.

Nachdem Präsident Mwai Kibaki Ende 2007 den Wahlsieg vorschnell für sich beansprucht hatte, waren im ganzen Land blutige ethnische Auseinandersetzungen ausgebrochen. Fälschungen und Falschauszählungen wurden festgestellt, und die Volksgruppen der Luo und Kalenjiin wollten sich mit ihrem Kandidaten Raila Odinga den vermeintlichen Sieg nicht einfach von den ohnehin dominanten Kikuyu abspenstig machen lassen. Mindestens 1.400 Menschen wurden in den Kämpfen getötet, Zehntausende wurden verletzt, 650.000 vertrieben. Keiner der Anstifter dieser Unruhen musste sich bisher verantworten.

Es ist ein hochrangiges Sextett, das Chefankläger Luis Moreno-Ocampo in dieser Woche vor den Gerichtshof beordert hat. Unter ihnen befinden sich der amtierende Finanzminister und Sohn des Staatsgründers, Uhuru Kenyatta, die rechte Hand und wichtigster Ratgeber von Präsident Kibaki, Francis Muthaura, und zwei Minister, William Ruto (Bildung) und Henry Kosgey (Industrie und Handel). Wegen zahlreicher Skandale und der nachfolgenden Untersuchungen müssen sie derzeit ihre politische Tätigkeit unterbrechen. Außerdem hat sich der damalige Polizeichef zu verantworten, dessen Leute viele Zivilisten ermordet haben sollen. Auf der Liste der Bösewichte steht auch ein Radiomoderator, der die Menschen zur Gewalt gegen die Kikuyu aufgehetzt haben soll. „Ocampo Six“ nennt man sie in Kenia der Einfachheit halber.

Kenyatta und Muthaura, beide Kikuyu, sollen damals die berüchtigte „Mungiki“-Sekte zu Mordtaten an den Kalenjin aufgewiegelt und finanziell unterstützt haben. Die Ex-Minister Ruto und Kosgey sollen ebenfalls Morde sowie die Vertreibung und Verfolgung von Kikuyu veranlasst haben. Muthaura war vor wenigen Wochen versehentlich entschlüpft, dass er die Polizei seinerzeit instruiert habe, nicht gegen die Mungiki einzuschreiten. Zudem behauptete er laut einem Tonbandmitschnitt: „Es passiert nichts in dieser Regierung, das ich nicht weiß.“

Die Vorwürfe gegen die Sechs sind schwerwiegend. Es gibt für die strategische Planung der Unruhen Zeugen zuhauf. Fast zweieinhalb Jahre ist das nun her, und selten hat eine politische Führungsspitze so viele peinliche Maßnahmen unternommen, um die Sache zu vertuschen, wie seither die Regierungselite Kenias. Friedensstifter Kofi Annan, der eine reibungslose Klärung der Vorgänge von den Politikern Kenias forderte, wurde solange hingehalten und getäuscht, bis er entnervt den Umschlag mit den Namen der mutmaßlichen Missetäter einfach nach Den Haag schickte. Ocampo wurde solange mit der Zusage hingehalten, es werde ein Tribunal in Kenia extra für die Untersuchung dieser Vorgänge gebildet, bis auch er die Geduld verlor.

Blutige Auseinandersetzungen vor und während Wahlen gehören in Kenia fast schon zur Gewohnheit, immer wieder wurde, in wechselnden Konstellationen, die ethnische Karte ausgespielt. Kein Politiker musste sich jemals dafür verantworten. „Impunity“– Straffreiheit, so lautet das Zauberwort.

Dabei stimmten 85 Prozent der Bevölkerung bei einer Umfrage im vorigen Dezember dafür, die Drahtzieher in Den Haag abzuurteilen. Den eigenen Gerichten schenken sie dabei kaum Vertrauen und die meisten befürchten eine neue Gewaltorgie im kommenden Jahr, wenn hier nicht Gerechtigkeit einzieht.

Am meisten zu leiden haben jedoch die Opfer von damals. Zehntausende Vertriebene wohnen noch immer in Zeltstädten, eine Rückkehr in die frühere Heimat ist unmöglich. Ein Großteil des Geldes, das die Regierung für die Vertriebenen bestimmt hatte, ist in dunklen Kanälen versickert, ohne die eigentlichen Empfänger je erreicht zu haben.


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Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de