Flüchtlinge: Verelendung als Strategie

 
Meldung vom 10.05.2011

Die Flüchtlingssituation hat sich in den letzten Wochen durch den Aufruhr in den arabischen Ländern zugespitzt. Besonders Italien ist die erste Anlaufstation der Flüchtlinge. Doch die Situation dort treibt sie weiter in andere europäische Länder in der Hoffnung auf eine menschenwürdigere Zuflucht. Nun will Deutschland Flüchtlinge aus Afrika nach Italien zurückschicken, wo sie einst die Europäische Union erreichten.

Doch Gerichte nehmen diese Menschen nun vor der Abschiebung in Schutz – weil Italien sie im Elend versinken lässt. Der Weg von Mustafa Harun nach Deutschland begann auf den Straßen von Mogadischu. Der Journalist filmte, wie Kämpfer der islamistischen Al-Schabab-Miliz ein Mädchen vergewaltigten und schwer verwundeten. Der Bericht sollte eine seiner letzten Arbeiten werden. Die Islamisten erlauben keine Kritik. Sie hätten ihm den Tod angedroht, berichtet Harun. Er ergreift die Flucht und erreicht per Boot Italien.

Doch der ersehnte Kontinent erweist sich als ein Alptraum: Nach ein paar Wochen in einem Aufnahmelager fertigen ihn die italienischen Beamten mit einer vorübergehenden Aufenthaltsgenehmigung ab und schicken ihn fort. Von da an soll er alleine klar kommen, schläft auf der Straße oder in leeren Häusern, Geld vom Staat erhält er keines. Ein Jahr später gelangt der 26-Jährige über die Niederlande nach Deutschland. Die deutschen Behörden haben für Harun nur eine Musterlösung: Er muss zurück nach Italien so wie Tausende weitere Asylsuchende, die über andere EU-Länder einreisen. So schreiben es die Gesetze vor.

Aber so einfach ist die Lage nicht mehr: Mittlerweile haben ein gutes Dutzend Verwaltungsgerichte solche Abschiebungen nach Italien durchkreuzt, jede Woche werden derzeit neue Entscheidungen gefällt. Die Begründung: Rom gebe die Flüchtlinge dem Elend preis. Die „Mindestnormen“ der EU würden „in Italien in großen Teilen nicht erfüllt“, stellte zum Beispiel das Verwaltungsgericht Gießen fest, als es im März Haruns Abschiebungsprozess stoppte.

Mit solchen Urteilen hatte es auch im Fall Griechenlands angefangen, dem deutsche Gerichte ebenfalls eine Verletzung der Mindestnormen vorwarfen. Nachdem sich schließlich das Bundesverfassungsgericht mit den Abschiebungen dorthin auseinandersetzte, kam das Bundesinnenministerium im Januar nicht umhin, für ein Jahr darauf zu verzichten.

Seither dürfen Flüchtlinge, die über Griechenland nach Deutschland entkommen konnten, zumindest für ihr Asylverfahren im Land bleiben, seit Januar 2011 ging es dabei um bereits 2.000 Menschen. Nun kämpfen Anwälte von Flüchtlingen auch für die Klienten, die über Italien hierher kommen. Es laufe „auf ein zweites Griechenland hinaus“, bestätigt der damalige Klagevertreter vor dem Verfassungsgericht, der Anwalt Reinhard Marx.

Doch das ist noch umstritten. Deutschland halte an den Abschiebungen nach Italien fest, widersprach das Bundesinnenministerium. Nach Ansicht des Hauses werden „in Italien die Regelungen des EU-Asylrechts eingehalten“. Damit sind die Flüchtlinge erneut der Willkür der der EU-Staaten ausgesetzt.

Die Regierung in Rom versucht seit Jahren, eine Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten zu erreichen – oder die Menschen wenigstens zum Weiterziehen zu nötigen; zuletzt bei Hunderten Flüchtlingen aus Tunesien. „Die italienischen Behörden legen es regelrecht darauf an, die Menschen durch eine Verelendungsstrategie in andere Länder Europas zu drängen“, kritisiert Dominik Bender, der Anwalt des Somaliers Harun.

Bender hat kürzlich einen Bericht über die erbärmliche Lage vieler Flüchtlinge in Italien herausgegeben. Demnach hausen Tausende Flüchtlinge auf Italiens Straßen, in Hüttendörfern oder besetzten Häusern. Ohne festen Wohnsitz aber können sie keine Krankenversicherung erringen, und Sozialhilfe wie in Deutschland gibt es in Italien nicht.

Mustafa Harun wünscht sich sehr, in Deutschland bleiben zu können. Sollten die Gerichte letztlich doch seiner Abschiebung stattgeben, so kehre er auf keinen Fall nach Italien zurück, sagt er. „Da ist sogar Somalia tausendmal besser.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Süddeutsche Zeitung“, sueddeutsche.de