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Mexiko: Endstation Friedhof – Die Jugend im Sog der Drogenmafia

Meldung vom 05.07.2011

Im Norden Mexikos haben Jugendliche keinerlei Zukunftsperspektiven. Weder wird ihnen eine Chance auf Ausbildung noch auf Arbeit geboten. Nur die Drogenbarone schenken ihnen eine Zukunft – eine mörderische. Die Karriere endet häufig schon früh auf dem Friedhof.

Noch aus dem Jenseits macht Rafael Tamayo einen düsteren Eindruck. Die Baseball-Mütze hat er tief in die Stirn gezogen, der Blick ist aggressiv, der rechte Arm ist in Reichweite des leeren Pistolenfutterals. Furchtlos und brutal soll er in Erinnerung bleiben, deshalb hat die Familie sein Abbild lebensgroß auf ein Transparent gezogen und an seine letzte Ruhestätte geheftet. „Du bist jetzt unser Engel, der über uns wacht und uns beschützt“, kann man über dem Foto auf dem Friedhof im mexikanischen Culiacán lesen.

Was dort nicht angegeben wird, aber trotzdem jeder weiß: Rafael war bei den Drogenkartellen angestellt. Er war ein Auftragsmörder der „Narcos“, ein „Pistolero“, dessen Arbeit darin bestand, die Rivalen der Mafia zu ermorden. Einmal kam der Mörder der anderen Seite ihm zuvor. Rafael Tamayo starb im Alter von 20 Jahren.

Von ähnlich kurzen Killer-Karrieren zeugen hier unzählige Gräber.
Fotos von düster dreinblickenden Kindergesichtern bereiten dem Besucher Unbehagen, manche versteckt hinter riesigen dunklen Sonnenbrillen, andere mit schweren Kreuzen oder Rosenkränzen um den Hals. Einige wurden 19, andere 22, kaum einer älter als 25. „Ich musste zu früh gehen, aber ich werde euch nie verlassen“, heißt es neben einem Bild.

Jardínes del Humaya, so heißt der Friedhof, Humaya-Gärten. Der friedliche Name täuscht. Kaum einer der Toten hier ist auf natürliche Weise gestorben. Der Friedhof ist die Endstation der „Narcos“, nicht nur der Auftragsmörder wie Rafael Tamayo, sondern auch der Auftraggeber. Drogenbarone wie Arturo Beltrán Leyva und Nacho Coronel haben im Leben erbittert gegeneinander gekämpft, beide wurden von Mexikos Sicherheitskräften erschossen. In den Humaya-Gärten sind sie endlich beisammen. Und liegen Gruft an Gruft.

Nirgendwo ist der Reichtum der Kartelle offensichtlicher als hier. Der Friedhof ist keine simple Gräberstätte, sondern eine Art Palaststätte des Todes. Hier werden die Toten nicht einfach in die Erde hinabgelassen und die Gräber mit einem Kreuz versehen, hier werden sie präsentiert, mit Protz und Prunk, in zweistöckigen Mausoleen aus Marmor, in Krypten mit Kuppeln, in maßlos kitschigen Monumenten. Manche Ruhestätten haben das Ausmaß einer Villa, sind ausgestattet mit Klimaanlage und Fernseher. An der Tür einer Gruft ist eine Stromrechnung über 32.000 Pesos geklemmt, knapp 1.900 Euro. Für zwei Monate.

Totengräber und Maurer arbeiten in den Jardínes del Humaya Seite an Seite. Es wird begraben und ausgebaut, gestorben und gezimmert. 40.000 Menschen sind dem mexikanischen Drogenkrieg in gut vier Jahren zum Opfer gefallen, täglich werden Dutzende hinzugefügt. Besonders viele verzeichnet der Bundesstaat Sinaloa im rauen Nordwesten Mexikos, wo der Kampf um Schmuggelwege und Reviere für das Rauschgift besonders erbittert geführt wird. In Sinaloa steht der Tod immer auf der Tagesordnung. Vor allem bei der Jugend.

Wer in den Humaya-Gärten wagt, eine Frage zu den Opfern zu stellen, wird mit Kopfschütteln und Schulterzucken von den Friedhofs-Angestellten bedacht. Außerdem sind ihm böse Blicke von Angehörigen sicher. In einer Ecke holt ein junger Mann sein Mobiltelefon heraus. Dann taucht aus dem Nichts eine Polizeistreife auf, hält neben den fremden Besuchern an, fährt ostentativ und bedrohlich nebenher. Polizisten begutachten sie durch geschlossene Fenster. Nirgendwo ist die Macht der Kartelle offensichtlicher als hier.

„Narco“ bedeutet im Spanischen alles, was mit Drogen zu tun hat. Es ist die Abkürzung für das Wort Narcotráfico, Drogenhandel. Als „Narco“ wird jeder bezeichnet, der irgendwie in die Geschäfte der Kartelle verwickelt ist: als Schmuggler, Killer, Informanten, Dealer. Aber auch Journalisten oder Musiker und vor allem bestochene Polizisten, Politiker, Richter reihen sich dort ein. Und wie der „Narco“ die mexikanischen Institutionen infiltriert hat, hat er sich längst auch die Jugend einverleibt. In einem Land, in dem es kaum vernünftige Jobs für die junge Generation gibt, ist das Drogenbusiness für viele ein legitimer Ausweg.

Die Biografien der großen „Narcos“ kennt in Sinaloa jedes Kind. Es sind Historien von Emporkömmlingen: Aus armen Söhnen von Hanf- und Mohnbauern aus dem Hochland entwickelten sich millionenschwere Schmuggler von Heroin, Marihuana und kolumbianischem Kokain. Berühmt, gefürchtet und auch bewundert. Denn um sie entspinnen sich auch Legenden von Wohltätern, die Schulen und Krankenhäuser bauen, Stipendien auszahlen und nach Naturkatastrophen schneller Hilfspakete an die Bevölkerung liefern als der Staat.

Daraus lässt sich erklären, warum immer mehr junge Leute ein „Narco“ sein wollen. Élmer Mendoza, ein bekannter mexikanischer Schriftsteller, ist in Sorge: „Zu meiner Zeit wollten auch ein paar Schulkameraden Narcos werden“, meint der 61-Jährige. „Aber heute ist es das Berufsziel einer ganzen Generation.“

Mendoza lebte in Culiacán. Seine Krimis spielen im örtlichen Drogenmilieu, auch in Deutschland werden sie gerne gelesen. „Wem sollen die Jugendlichen auch nacheifern?“, gibt er zu bedenken. „Es gibt hier keine Vorbilder.“ Politiker sind korrupt, Sportler und Musiker sind narzistisch. Selbst die Kirche hat sich mancherorts mit der Mafia eingelassen. „Wir haben die Jugend verloren“, warnt Mendoza.

„Ni-Nis“ – Weder-Nochs – werden die rund sieben Millionen Jugendlichen in Mexiko bezeichnet, die weder in Arbeit noch in Ausbildung sind und in kein gesellschaftliches Raster passen. Für das Organisierte Verbrechen sind sie ein gefundenes Fressen. Denn als „Outlaw“ (Gesetzloser) kann man schnell aufsteigen, auch wenn es nur wenigen gelingt, bis ganz nach oben zu kommen.

Viele Nachwuchs-„Narcos“ stehen auf der Gehaltsliste der Mafias. Manche Namen darauf lauten beispielsweise „Asesinos Artistas“ – Mord-Künstler. Es sind Jugendliche mit vielen Tätowierungen und wenig Gewissen, denen eine „Narco“-Karriere allemal einträglicher erscheint als ein Leben als Straßenverkäufer, Saisonarbeiter oder Migrant in den USA. Und das, obwohl die Jungen wissen, dass sie vermutlich keine große Lebenserwartung haben. Aber als Gegenleistung lockt ein Adrenalin-getränktes Leben auf der Überholspur: Geld, schnelle Autos, Frauen – und vor allem eine Identität und ein Zugehörigkeitsgefühl.

In Mexiko feiert man auf dem Friedhof mit seinen toten Angehörigen. Die Verbundenheit geht auch über den Tod hinaus. Besonders hier im Norden, wo Sterben zum Tagesgeschäft gehört.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Frankfurter Rundschau“, FR-online.de

Schlagwörter: Mexiko, Friedhof, Drogenkartelle, Mafia, Killer, Auftragsmörder, Drogenkriminalität, Gräber, Mausoleen, Jugendliche, Jugend, Zukunftsperspektive