Kenia: Die Demokratie beginnt mit Toiletten

Meldung vom 28.07.2011

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Demokratie, politischer Unabhängigkeit und Toiletten? Und ob! In der kenianischen Hauptstadt Nairobi errichtet der Unternehmer David Kuria „Ikotoilets“ – gepflegte, denkmalartige Toiletten-Gebäude, die sich zu Zentren weit über die natürlichen Geschäfte hinaus entwickeln.

Es war ein großes Ereignis – 2010 besuchten über eine Million Nutzer die „Toilettenmonumente“ in Kenias Hauptstadt Nairobi. Sozialunternehmer David Kuria hat diese öffentlichen Toiletten geplant und gebaut. Seine „Toilet Monuments“ haben sich als die meistbesuchten Begegnungsstätten der kenianischen Hauptstadt entpuppt. Doch Kuria hat noch mehr im Sinn: Seine Monumente erheben den Anspruch, zu der Demokratisierung der Politik beizutragen.

Sanitärversorgung, meint Kuria, sich auf Gandhi beziehend, ist wichtiger als Unabhängigkeit.
Kenia errang 1963 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Aber allein die Befreiung von Fremdherrschaft reicht nicht aus. Man muss ein demokratisches System anstelle der Kolonialherrschaft schaffen. Unabhängigkeit ohne angemessene Ernährung, Wasserversorgung und Wohnung ist kein zukunftsfähiges Modell. Und dazu gehört auch ein geschützter Raum für die Notdurft.

Aber welche Unabhängigkeitsbewegung engagiert sich schon für Toiletten? Wir schwingen lieber pathetische Reden über die Unabhängigkeit als konkret über Toiletten zu reden, selbst dann, wenn sie sich – wie die öffentlichen Toiletten in Kenia – in unwürdigem Zustand befinden. Dennoch ist Unabhängigkeit ohne die Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht aufrecht zu erhalten.

Kurias Idee setzt genau hier an: Seit 2007 errichtet der Architekt mit seinem Unternehmen Ecotact Bedürfnisanstalten. Es entstehen saubere Toiletten für Frauen und Männer, eine Dusche, eine Behindertentoilette, mit Waschbecken und Seife – und gleichzeitig heben sich die Gebäude in leuchtendem Rot positiv von dem Stadtbild ab. Kurias monumentale „Ikotoilets“ findet man an zentralen Plätzen Nairobis.

Unter ihrem Dach befinden sich gleichzeitig Schuhputzservice, Getränke und „Airtime“ für Mobiltelefone. Das Ganze nennt sich dann „Toilet Mall“. Kurias Toiletten, lobt ein Souvenirverkäufer in Nairobis Central Park, sind ein echtes Geschäft und ziehen daher weitere Unternehmen an.

Die „Ikotoilets“ werden ununterbrochen von Putzmännern und Putzfrauen gereinigt. Denn der Fortbestand von Kurias Toiletten-Monumenten wird daran bemessen, ob ausreichend Sauberkeit und Sicherheit die Zahlungswilligkeit der Nutzer erhält. Fünf Shilling (etwa vier Euro-Cent) muss man für einen Besuch bezahlen.

In fünf Jahren muss Ecotact die Baukosten – rund 18.000 Euro pro Monument – für die Toiletten wieder erwirtschaftet haben und gleichzeitig die laufenden Kosten tragen. Kuria hat mit der Stadt Nairobi ein öffentlich-privates Abkommen geschlossen.

Auf dem Markt von Dagoreti berichtet eine Verkäuferin, dass sie bisher an Markttagen möglichst nichts gegessen und getrunken habe, um einem Toilettenbesuch zu entgehen. Die alte öffentliche Toilette auf dem Markt sei in einem katastrophalen Zustand. Als sie das neue „Ikotoilet“ zum ersten Mal sah, habe sie sich zunächst gefragt, ob hier ein Hotel oder eine Bank entstehen werden.

Kurias Vorzeigeobjekt, eine „Ikotoilet“ mit Säulen, wurde gegenüber dem Hilton-Hotelturm in Nairobis Central Business District errichtet. Sie ist im Gegensatz zum gegenüberliegenden Edel-Hotel fast allen Kenianern zugänglich. Fünf Shilling sind ein Preis, den viele Kenianer gerne für saubere und sichere Toiletten investieren und dafür sogar dankbar sind. „Fantastische Arbeit, ich bin stolz darauf, Kenianerin zu sein“, hat eine Frau in eines der Gästebücher der Toilette notiert. In der Stadt Nanyuki sollte eine „Ikotoilet“ stillgelegt werden. Daraufhin forderten Demonstranten die Wiedereröffnung der Toilette.

Fünf Shilling sind andererseits für die Bewohner der Slums von Nairobi sehr viel Geld. Neben den schmutzigen, dicht aneinandergebauten Hütten des Slums von Mathare ist die „Ikotoilet“ ein farbiger Fremdkörper. Doch genau hier, wo die Not am Größten ist, gelingt das Geschäftsmodell nicht. Die Slumbewohner können sich den Luxus nicht leisten. Dementsprechend konnte für die „Ikotoilet“ in Mathare kein Vertrag ausgehandelt werden und sie wurde nicht an ein Kanalisationssystem angeschlossen. Nairobis Wasserversorgungsgesellschaft hat im August 2010 sogar die Wasserhähne aus der Toilette reißen lassen – wegen eines Streits über die Wasserentnahme.

Unabhängigkeit hat den gleichen Stellenwert wie Toiletten: Es geht um sich gegenseitig potenzierende Freiheiten. Der Schriftsteller Ngugi Wa Thiong'o ist auf die verschiedenen Schwierigkeiten der kenianischen Unabhängigkeitsbewegung eingegangen. Er setzt sich für Freiheit von Fremdherrschaft, aber auch für Sicherheit, Familie, Arbeit und Kollaboration ein. Dafür wurde er von der kenianischen Regierung 1977 ins Gefängnis gesteckt. In seiner Zelle schrieb er einen Roman – auf Toilettenpapier.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de