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Afghanistan: Die erste Chefin von Dschalalabad

Meldung vom 07.10.2011

Trotz der lähmender Zukunftssorgen und obwohl gerade wieder ermittelt wurde, dass Afghanistan das für Frauen gefährlichste Land der Welt darstellt, gibt es Zeichen der Hoffnung. Selbst im schwer umkämpften Osten Afghanistans, einer Region, in der die Taliban noch das Sagen haben, lässt sich ein Aufbruch beobachten. Eine neue Fabrik ermöglicht Frauen zu arbeiten und lässt Männer umdenken – das zeigt die Initiative von Marsia Sarmina.

Der helle, weiß gekachelte Raum steht in starkem Kontrast zur Außenwelt. Die Frauen sind in perlweiße Gewänder und Kopftücher gekleidet, die sie hinter die Schulter fallen lassen, wenn sie die Früchte in die Verkaufsschalen sortieren oder Gemüse waschen.

Aber noch unwirklicher als dieser Anblick ist die Tatsache, dass in diesem Teil Afghanistan tatsächlich Frauen auf eigene Initiative hin und ungehindert arbeiten dürfen. Doch dass ihr Chef ebenfalls eine Frau ist, das kommt in dieser Gegend einem Wunder gleich. Denn die Gefahr war sehr groß, dass dieser Ort in Schutt und Asche gelegt worden wäre. Die Männer der Region begegneten dem neuen Unternehmen mit heftiger Abwehr, was vor fünf Jahren bei der Gründung zu erwarten war.

„Als wir anfingen, haben einige Leute zur Zerstörung des Geländes aufgerufen. Sie behaupteten, Ausländer hätten hier ein Bordell eröffnet“, blickt Marsia Sarmina zurück. Sie ist die Gründerin dieser Fabrik für Nahrungsmittelverarbeitung, zehn Kilometer südlich der Stadt Dschalalabad. Die neue Fabrik, die Sarmina hier aufgebaut hat, trägt einen idealistischen Namen: „Neue Idee“.

Gleich zu Beginn hatten die Leute skeptisch reagiert: Das Ganze sei ein außerordentlich mutiger, um nicht zu sagen, gefährlicher Einfall. Hier im Osten des Landes sind die Menschen besonders den Traditionen verhaftet, hier spielen sich die meisten Kämpfe ab und hier ist noch immer das größte Einzugsgebiet der Taliban. Auf Alkoholkonsum und Ehebruch stehen brutale Strafen von Auspeitschungen bis zu jahrelanger Haft.

Die Unterstützung der amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation USAid war Sarmina von Anfang an sicher, doch viel komplizierter war es, die feindselig gestimmten Dorfältesten zu überzeugen. „Als wir die Fabrik eröffneten, wollte keine einzige Frau bei uns anfangen – nicht einmal diejenigen, die völlig mittellos waren“, berichtet Sarmina.

Das Projekt provozierte Proteste und Demonstrationen, die Frauen wurden als Huren beschimpft. Da entschied sich Sarmina, mit den Stammesältesten in Verhandlung zu treten und auf ihr Verständnis zu bauen. „Es hat zwei Monate gedauert, bis wir sie von unseren guten Absichten für die Frauen überzeugt hatten und sie verstanden, dass sie überwachen dürfen, was dort passiert.“

Als die Stammeshäupter zugestimmt hatten, machte sich Sarmina daran, den Ehemännern gut zuzureden. Auch heute noch ist die Entschlossenheit und Beredsamkeit zu spüren, mit der sie die Frauen der Dörfer Sultan Por und Nazar Abad motivierte, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.

„Eine Zeit lang wollten die Ehemänner sie nicht arbeiten gehen lassen. Als wir deren Zustimmung hatten, entfiel wieder den Frauen der Mut. Aber ich kannte ihre Lage und habe gesagt: „Ihr solltet euch schämen, betteln zu gehen und eure Kinder hungern zu lassen!“ Kurz darauf trafen die ersten drei Frauen für die „Neue Idee“ ein. Die Belegschaft nahm schnell um 15 weitere zu, sie erhalten neun Dollar für acht Stunden Arbeit. Das ist ein sehr gutes Gehalt für die Gegend.

„Mein Ehemann hat bei einem Unfall vor sechs Jahren beide Hände verloren, und kann nicht mehr arbeiten“, erzählt Bano, die fünf Kinder zu Hause ernähren muss. Die Arbeit in der Fabrik sei ein Segen für sie. Das Obst und Gemüse muss drei- bis viermal gewaschen werden, bevor es von Hand sortiert, eingepackt und in die Kühlräume verstaut wird. Die Hygienestandards sind hoch. Täglich werden hier bis zu sechs Tonnen Nahrungsmittel verpackt, die bis nach Indien, Dubai und Deutschland ausgeführt werden.

Aber das größte Wunder, das hier stattgefunden hat, ist die langsame Veränderung der Einstellungen. Heute sind die Menschen hier nicht mehr feindlich gesinnt, sondern stolz, sagt Hajatullah, das Oberhaupt des Dorfes Sultan Por. „Am Anfang waren wir sehr gegen diese Anlage. Aber dann haben wir gesehen, dass sie den Frauen ein Auskommen ermöglicht und dass sie dabei auch die Bauern hier unterstützten. Jetzt freuen wir uns, dass die Sache läuft.“

Für Sarmina war der Weg zu ihrem eigenen Unternehmen auch mit einem persönlichen Aufbruch verbunden. Anders als die meisten Mädchen aus der Gegend hatte sie das Glück, eine Schule besuchen zu dürfen, bis sie elf Jahre alt war. Dann erlernte sie den Beruf der Stickerin und verzierte Frauenkleider.

Aber je älter sie wurde, desto mehr strebte sie nach mehr und wollte sich für ihren Platz in der Gesellschaft und für das Schicksal anderer Frauen engagieren: „Ich habe dann zwei Jahre lang für eine Hilfsorganisation gearbeitet. Wir haben Kurse in den Dörfern veranstaltet, zur Vorbeugung von Gewalt gegen Frauen. Das war mir wichtig. Ich will meinen Landsleuten helfen. Wir sind doch gefangen in dieser Armut.“

Vor einem Jahr hat Sarmina geheiratet, und ihr Mann gibt ihr Rückendeckung. „Sie ist eine sehr kluge und fleißige Frau“, bestätigt ihr Gatte Haschmatullah, ein großer Mann mit einem entsprechend großen Vollbart. „Und sie arbeitet ständig daran, andere zu motivieren“, setzt er hinzu.

Derzeit bemüht sich Sarmina, zu Hause einen weiteren Schritt vorwärts zu wagen, und dafür muss sie all ihre Beredungskünste anwenden: Ihr Mann weigert sich, sie zu einer Fortbildung in die USA zu lassen. Und sie will einen Führerschein haben. Für eine Frau in diesem Teil Afghanistans ist das ein Skandal. Auch Haschmatullah weist dieses Vorhaben zurück. Sarmina führt zwar ein erfolgreiches Unternehmen. Aber bis ihr Mann sie ans Steuer lässt, muss im Osten Afghanistans noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Welt Online“, welt.de

Schlagwörter: Afghanistan, Frauen, Unternehmen, Dschalalabad, Taliban, Dorfälteste, Einstellungen, Überzeugungsarbeit, Chefin, Arbeit, Frauenrechte, Fabrik, Gender