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Afghanistan: In Kabul funktioniert die Müllabfuhr

Meldung vom 10.01.2012

Von Frieden kann in Afghanistan zwar nicht die Rede sein, aber doch gibt es kleine Anzeichen von Verbesserungen. In Kabul funktioniert die Müllabfuhr, im von Krisen geschüttelten Kunduz wagen sich die Mädchen wieder zur Schule. Ist das genug der Normalität, um Afghanistan in die Selbstverantwortung zu entlassen? Fünf Jahre nach seinem letzten Besuch reist der Autor Navid Kermani durch ein Land, das kaum einen anderen Zustand als den Krieg kannte – und sich derzeit die bange Frage stellt, was jetzt wohl kommt.

In Kabul stehen überall Mauern vor den Mauern jener Gebäude, in denen der Staat, das Kapital oder das Ausland residieren, davor eine dritte Wand aus Betonsäcken und Wärter mit Maschinengewehren. Nach einer ersten Begutachtung wird man vor eine Eisentür geleitet und durch ein Sichtgitter ein weiteres Mal kontrolliert. Öffnet sich die Tür, tritt man in eine Schleuse, in der die Tasche ausgeleert, der Ausweis kontrolliert und der Körper abgetastet wird.

Schließlich klopft ein Angestellter, der als Einziger kein Maschinengewehr trägt, gegen eine weitere Eisentür. Wieder öffnet sich ein Schiebefenster, ein kurzer Blick, dann darf man endlich eintreten und steht vor der ursprünglichen Mauer des Gebäudes. Sicherheitskontrollen sind zur Gewohnheit geworden in den gehobenen Hotels und Restaurants, den Banken und Shopping-Malls in Kabul.

Dieser Ablauf in drei Etappen ist inzwischen wahrscheinlich die Norm, nur dass zusätzlich vor Botschaften oder Ministerien bereits die Zufahrtsstraßen blockiert sind. Entsprechend machen die Hotels und Restaurants auch nicht durch Schilder oder Leuchtreklamen auf sich aufmerksam. Man kann sie von außen nur an einem Vordach aus Eisen und dem Stacheldraht über dem äußeren Sandwall erkennen.

Ist das Leben in Afghanistan also noch gefährlicher geworden? Die gewöhnlichen Menschen, die nicht für den Staat, das Kapital oder das Ausland arbeiten und die in Kabul daraufhin befragt werden, verneinen das. Die Lage sei zwar nicht gut, meinen sie, aber sie habe sich verbessert. Zwar weiß man nicht, ob man diese Aussagen ganz ernst nehmen darf, denn in Afghanistan verletzt es das Gebot der Höflichkeit, sich gegenüber Gästen oder sogar Ausländern zu beklagen, andererseits hat vor fünf Jahren kein Fahrer, Händler oder Bekannter das Wort Verbesserung in seinem Munde geführt.

Einige Fortschritte sind auf Anhieb sichtbar: Im Stadtzentrum gibt es weniger plakative Armut. Man sieht keine bettelnden Frauen in Burka mehr alle paar Meter, keine Banden von Kindern, die Klebstoff inhalieren, um sich zu berauschen, dafür gibt es aber unzählige Kebabstände und weitaus mehr Geschäfte. Dass es überhaupt so etwas wie ein Stadtleben gibt, ist schon ein kleines Wunder. Eine Müllabfuhr gehört da zu den ganz großen Errungenschaften und zwei, drei Parkanlagen, in denen sich die Afghanen erholen können.

Doch die größte Überraschung entdeckt man am Abend – es gibt Strom. Straßenlaternen wurden zwar noch nicht aufgestellt, so dass Kabul weiter nachts im Dunkeln liegt, aber in manchen Geschäften verbreiten nackte weiße Leuchten ein kühles Licht, und in den Fenstern der Wohnhäuser sind die Lichtschimmer von Energiesparlampen zu erkennen.

Licht in Kabul ist eine wahre Innovation! Vor fünf Jahren gab es in Kabul täglich drei Stunden Strom, und den auch nur tagsüber. Fünf Jahre Wiederaufbau waren damals bereits verstrichen, prächtige Geberkonferenzen fanden statt und Hilfszusagen wurden gemacht in einem Umfang, dass kein Afghane mehr unter der Armutsgrenze hätte leben müssen.

Heute nimmt Afghanistan im Human Development Index immer noch den Rang 172 von 182 erfassten Staaten ein. Und doch gibt es kaum ein sichtbareres Merkmal für den Fortschritt als eine durchgängige Stromversorgung für eine Millionenstadt wie Kabul. Inzwischen hat der Staat afghanische Soldaten und Polizisten an jeder Ecke positioniert, so dass ein Mindestmaß an Ordnung vorhanden ist. Die Kriminalität sei praktisch besiegt, meinen die Kabuler, was übersetzt heißt, dass man sich nachts in den eigenen vier Wänden nicht mehr mit der Bewachung der Fenster und Türen abwechseln muss.

Die westliche Militärmacht hat sich aus dem Kabuler Alltag entfernt. Man sieht keine rasenden Panzerkolonnen mehr, und an den Checkpoints arbeiten nunmehr afghanische Sicherheitskräfte, die anders als die NATO-Soldaten in ihren Schutzanzügen nicht wie Astronauten aussehen. Statt Springerstiefeln schiebt der afghanische Rekrut auch schon mal in Turnschuhen Wache.

Die Kabuler sind einerseits erleichtert, dass der Eindruck der Besatzung weicht, und fürchten zugleich, was die Zukunft bringt, wenn die ausländischen Soldaten das Land 2014 wirklich verließen. Dabei verwenden sie auffällig oft den Konjunktiv. Schon ihre Verwandten, die 30 Kilometer entfernt wohnen, können dann nicht mehr besucht werden, – das wäre zu riskant.

Auch für die Berichterstattung zieht das ernste Folgen nach sich: Weite Teile des zerklüfteten Landes sind dann praktisch nicht mehr zugänglich, nicht für Afghanen und schon gar nicht für ausländische Besucher. Der Blick auf das Land und die Lebensumstände der Afghanen wäre damit sehr eingeschränkt. Noch lässt sich nicht abschätzen, wie die Sicherheitssituation nach 2014 sein wird, doch Strom, Licht und Müllabfuhr sind die ersten Zeichen des Friedens.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Zeit Online“, zeit.de

Schlagwörter: Afghanistan, Kabul, Strom, Müllabfuhr, Stadtleben, Geschäfte, Licht, Normalität, Sicherheit, Kriminalität, Besatzung, Abzug, 2014