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Haiti: Herrliche Strände – keine Touristen

Meldung vom 12.03.2012

Unternimmt man eine Reise nach Haiti, kommt man in ein getroffenes Land. Es gibt herrliche Strände, kaum einer weiß das – aber kaum Touristen. Und die meisten, die auf dem Kreuzschiff einen Abstecher nach Haiti machen, sind sich wohl nicht einmal bewusst, dass sie in Haiti baden.

Dabei hat auch Haiti karibisches Flair zu bieten: Man kann an einem karibischen Sommerabend unter einem üppigen Blätterdach von Mangobäumen und Bananenstauden sitzen und eine köstlich gewürzte Seebrasse genießen. Aber das ist nur die eine Seite.

Auf Haiti existieren zwei Parallelwelten, die nur eine kleine Schnittmenge bilden, seit dem Erdbeben 2010 umso weniger. In der einen bewegt man sich in robusten Geländewagen fort, in der anderen in buntbemalten Sammeltaxis, auf denen „Jesus ist mein Herr“ oder andere christliche Slogans stehen. In der einen bezahlt man mit US-Dollar, in der anderen hat man nur haitianische Gourdes im Portemonnaie. In der einen werden Hotelzimmer für 130 Dollar die Nacht mit Flachbildschirm und fließendem Wasser angeboten, es gibt Supermärkte, in denen ein Liter Vollmilch fast drei Dollar kostet und sechs Rollen dreilagiges Toilettenpapier 14. In der anderen setzen sich Frauen und Männer noch in der Dunkelheit auf ein Fleckchen Bürgersteig, um dort den Tag über Käufer für ein paar Kochbananen zu finden. Oder ein Sammelsurium aus Fahrradketten, gebrauchten Reifen oder T-Shirts, die als Kleiderspende aus dem Ausland kamen, wird feil geboten.

Es ist widersinnig: Haiti liegt auf der gleichen Insel wie die Dominikanische Republik. Aber während die Strände im östlichen Teil von Hispaniola jedes Jahr von mehr als drei Millionen Touristen bevölkert werden, würde kaum jemand auf die Idee kommen, seinen Urlaub in Haiti zu verbringen. Die 1.700 Kilometer Karibikküste sind relativ unbekannt und auch der Stolz der Menschen auf ihre Vorfahren, die sich aus der Sklaverei befreiten und 1804 den ersten unabhängigen schwarzen Staat gründeten, wird im Ausland kaum wahrgenommen.

Besser kennt man sich stattdessen mit den Horrorgeschichten von Diktator „Papa Doc“ und „Baby Doc“, vom Armenpriester-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, von Todesschwadronen und Militärinterventionen, von Armut, Korruption, Kriminalität und Naturkatastrophen aus.

Jedes Jahr kommt aber sogar gut eine Million Touristen an die haitianische Küste. Aber die meisten von ihnen ahnen wohl nicht einmal, dass sie in Haiti baden. Sie schippern mit einem Kreuzfahrtschiff der Royal Caribbean Cruises herbei, das sie für ein paar Stunden in einem streng abgeriegelten Gebiet um den Hafen Labadee ganz im Norden der Insel baden lässt. Sechs Dollar zahlt die Kreuzfahrtgesellschaft dem haitianischen Staat pro Besucher.

„Das Land ist verhext“, stellt Louis mit so viel Ernst fest, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt, und hält eine kleine Stoffpuppe hoch. Voodoo? Der Kult wird in Haiti oft angewandt, obwohl sich fast alle Katholiken nennen. „Keine Angst, die hat keine Wirkung, aber die Ausländer nehmen so etwas gerne als Souvenir mit nach Hause.“

Louis ist Künstler und hat für seine Ware einen guten Platz ergattert, an der einzigen Straße, die sich steil hinauf in das Reichenviertel Pétionville von Port-au-Prince windet. Hier passieren sie alle seinen Stand, die Diplomaten, die Katastrophenhelfer, die Geschäftsleute. Auch die Journalisten, die die Müllberge zählen und die Zeltstädte, die darüber schreiben, ob sich viel oder wenig verbessert hat, um sich dann wieder hinter die Schatten spendenden Mauern ihrer Herbergen zu verschanzen.

Nur die politischen Gäste stoppen nie bei Louis. Sie flitzen vom Flughafen im Konvoi mit bewaffneten Blauhelmsoldaten an ihren Bestimmungsort. Schnell lassen sie sich vor der Gedenktafel für die Opfer des Bebens fotografieren. „Passant, halt inne und beuge dein Haupt“, ist dort zu lesen.

Noch ist auf Haiti alles im Argen. Der Präsidentenpalast wirkt mit seiner verrutschten Kuppel und den abgesackten Mauern immer noch so, als sei er vor einer höheren Macht auf die Knie gefallen. Aber seit ein paar Monaten verfügt Haiti über einen neuen Präsidenten. Am Straßenrand hängen viele Werbeplakate von Michel Martelly mit dem Versprechen, kostenlose Schulbildung für alle haitianischen Kinder zu erreichen. Martelly war vor seiner politischen Blitz-Karriere Schlagersänger.

Wenn in der Zeitung steht, Martelly habe an einer wichtigen Konferenz über die Zukunft des Tourismus teilgenommen, dann wurde er dabei ertappt, wie er ein bisschen Kompa trällerte, die haitianische Mixtur aus französischen, spanischen und afrikanischen Rhythmen mit kreolischen Gesängen. Deshalb ist es naheliegend, auch seine Idee mit dem Aufbau einer Armee für umgerechnet 73 Millionen Euro nicht besonders ernst zu nehmen. Außerdem munkelt man, dass eigentlich die USA hinter den Kulissen die Regierung steuern.

Richard Morse ist wütend darüber. Haiti sei „wie ein Straßenkind, das jeder missbrauchen darf“, poltert er mit sonorem Bass. Der Zwei-Meter-Hühne mit dem Haarzopf ist ein Cousin des Präsidenten und ebenfalls Musiker; aber durch eine Reihe von Umständen, von denen er selbst nicht sagen könnte, ob sie eher positiv oder negativ waren, seit 25 Jahren auch Direktor des Hotels „Oloffson“. Das ist jenes historische Haus, in dem schon Graham Greene übernachtete. Seit das „Oloffson“ dem Erdbeben praktisch getrotzt hat, und kein einziger Stein beschädigt wurde, sind die Einheimischen restlos davon überzeugt, dass auf ihm ein besonderer Zauber liegt. Dort versammeln sich bei gelegentlich stattfindenden Jazz-Konzerten alle Ausländer der Hilfsorganisationen, der GIZ und der winzigen haitianischen Oberschicht.

Das alles sind schlechte Voraussetzungen für große Tourismusveranstalter. Hinzu kommt noch, dass das Auswärtige Amt und andere EU-Länder sowie die Vereinigten Staaten an ihren Reisewarnungen für Haiti festhalten.

Daniel Fouchard, Generaldirektor im Tourismusministerium, will die Hoffnung aber nicht aufgeben. In seinem Büro in Port-au-Prince baut er sich vor einer Landkarte auf und spricht mit glühendem Eifer von dem neuen internationalen Flughafen in Cap Haïtien an der Nordküste, der schon nächstes Jahr in Betrieb sein soll. Im Südwesten, in Les Cayes, sei ein weiterer eingeplant. „Wir brauchen nur noch die finanziellen Mittel“, meint der Generaldirektor im Tourismusministerium, als wäre das das geringfügigste Problem. Aber vielleicht muss man in Haiti Utopien anhängen, um den Glauben an die eigene Kraft zum Neubeginn nicht zu verlieren. Dass schwarze Sklaven die französischen Kolonialherren entmachten würden, war schließlich auch lange Zeit unvorstellbar.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, faz.net

Schlagwörter: Haiti, Reise, Toursimus, Erdbeben, Trümmer, Strände, Karibik, Dominikanische Republik, Michel Martelly, Utopie, Flughafen, Kreuzsschiff, Daniel Fouchard, Reisewarnungen, Neubeginn