Afghanistan: Kanzlerin auf Blitzbesuch

 
Meldung vom 13.03.2012

Bundeskanzlerin Merkel stattet der Bundeswehr in Afghanistan einen Blitzbesuch ab. „Einerseits Fortschritt, andererseits Dinge, die Sorgen machen“ – so lautet die bemühte Stellungnahme von Bundeskanzlerin Merkel zur Situation in Afghanistan. Bei ihrem Bundeswehr-Besuch wurde sie auch um ihre Reaktion zu dem Massaker eines US-Soldaten an afghanischen Zivilisten gebeten.

Das Entsetzen in Afghanistan über das Massaker an afghanischen Zivilisten in Kandahar durch einen US-Soldaten hält in ganz Afghanistan an. „Wie kann es sein, dass ein Ungläubiger in die Häuser der Muslime läuft und Kinder und Frauen massakriert? Ich bin sehr traurig. Ich bin bereit, auf die Seite der Taliban zu wechseln und gegen diese Ausländer zu kämpfen“, meint ein Mann aus Kandahar – auch wenn nicht jeder Afghane zu so einer extremen Reaktion fähig wäre.

So sehr betrifft und bewegt der Amoklauf des US-Soldaten vom Sonntag die Afghanen und die ausländischen Truppen gleichermaßen, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch im Norden des Landes immer wieder um ihre Stellungnahme gebeten wurde. In einem Telefonat direkt aus dem Feldlager Mazar-i-Sharif teilte Merkel dem afghanischen Präsidenten ihr Mitgefühl mit.

Die Kanzlerin wurde auch mit der Frage konfrontiert, ob nicht durch Ausrutscher wie der vom Sonntag in wenigen Stunden all das wieder zerstört werde, was man mühsam über Jahre versucht hatte aufzubauen. „Es wäre nicht der Wahrheit entsprechend gesagt, wenn man sich nicht auch Sorgen machen müsste,“ gab Merkel darauf zu. „Aber ich glaube, wenn man die Dinge hier abwägt, dann sieht man einerseits Fortschritt und andererseits Dinge, die weiterhin Sorgen machen.“

Eins steht fest: Die Mordserie vom Sonntag dient in erster Linie den Taliban. Die Extremisten haben den Amoklauf bereits für ihre Propaganda genutzt und Vergeltungsangriffe angedroht.

Das afghanische Parlament machte nun unmissverständlich klar, dass Weiteres nicht hingenommen wird. Die Toleranz-Grenze der Afghanen sei erreicht, kommentierten die Politiker in einer gemeinsamen Erklärung.

Bei dem Amokläufer soll es sich US-Medien zufolge um einen Mann Ende 30 handeln, einen Vater zweier Kinder, der schon zwei Irak-Einsätze hinter sich hatte. Doch viele Fragen sind noch ungeklärt. Welches Motiv hatte der Attentäter? Oder hat er einfach nur rot gesehen? Und: Wie konnte er ungehindert mitten in der Nacht das mit Stacheldraht und Wachtposten abgesicherte Camp verlassen?

Auch stellt sich die Frage nach den Verhältnissen in dem US-Stützpunkt, auf dem der mutmaßliche Täter stationiert gewesen sein soll. Der Amokläufer von Kandahar war offenbar Teil der Joint Base Lewis-McChord im US-Bundesstaat Washington. Der Militärstützpunkt ist mit 100.000 Soldaten und Zivilangestellten einer der größten der USA – und wegen seiner Missstände in Verruf geraten. Das Soldatenmagazin Stars and Stripes bewertete die US-Kaserne als die mit den größten Problemen. Ein Jahr darauf titelte das Magazin mit einem Bericht über die Basis: „Ein Stützpunkt am Abgrund“.

Vier von dort nach Afghanistan entsandte Soldaten wurden wegen Mordes verurteilt, weil sie 2010 drei Afghanen erschossen und ihnen Finger abgetrennt sowie Zähne als Trophäen ausgeschlagen hatten. Zudem gibt es dort viele Suizide. 2011 nahmen sich dort trotz ausgeweiteter Beratungsangebote zwölf Soldaten das Leben. Im Jahr zuvor waren es neun.

Doch zu bedenken ist auch, dass die ausländischen Soldaten unter sehr hohem Druck in Afghanistan stehen. Dass es nicht früher schon zu Amokläufen gekommen ist, ist unter den herrschenden Bedingungen ein kleines Wunder. In den vergangenen Wochen und Monaten haben die ISAF-Soldaten gute Gründe gehabt, ihren einheimischen Kameraden zu misstrauen. Immer wieder werden Soldaten der Internationalen Schutztruppe Ziele von Angriffen aus den eigenen Reihen. Allein seit den Koranverbrennungen vor drei Wochen haben Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte sechs amerikanische Soldaten getötet. Unter ihnen waren zwei Offiziere, die mitten in einem Hochsicherheitstrakt im Innenministerium umgebracht wurden.

„Partnering“, so heißt das Konzept der ISAF, bei dem die einheimischen Sicherheitskräfte ausgebildet werden und im Einsatz Seite an Seite mit den Ausländern stehen. Manche ISAF-Soldaten sind inzwischen stark verunsichert. Wer weiß schon, ob nicht auch in der eigenen Partnering-Gruppe ein Afghane ist, der plötzlich die Waffe gegen seinen Ausbilder zieht?

Dabei gibt es keine Alternative zum Partnering, wenn die einheimischen Soldaten und Polizisten Ende 2014 die Verantwortung für die Sicherheit im ganzen Land übernehmen sollen. Und nur dann ist den ausländischen Kampftruppen der Abzug gewiss. Merkel verdeutlichte am Montag erneut, dass sie an dem Abzugstermin 2014 festhalten will – bei allen Schwierigkeiten, die sich gerade auch wieder in den letzten Tagen gezeigt haben.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de