Afghanistan: Kampf um schlummernde Bodenschätze

Meldung vom 24.04.2012

Der afghanische Erzabbau könnte die Entwicklung des Landes sprunghaft vorwärts bringen. Unter den Bergen des Hindukusch ruhen Bodenschätze im Wert von bis zu eine Billion Dollar. Doch die zerstrittenen Stämme lähmen sich gegenseitig.

Es ist schon 15 Jahre her, dass sie im Dorf von Ziarat Gull im Hindukusch an der Grenze zu Pakistan die große Entdeckung gemacht haben. Trotzdem hat er den Tag noch genau im Gedächtnis. „Wir brachen normales Gestein aus den Bergen für den Häuserbau. Und plötzlich fanden wir diesen kostbaren Stein“, erzählt der hochgewachsene Gull mit dem von Entbehrung gezeichneten Gesicht und schaut hinüber zu den trockenen Bergen, deren monotones Braun nur an wenigen Stellen vom Grün kleiner Pinien belebt wird.

Eine kleine Probe des schwarzen glänzenden Gesteins wurde damals von Hand zu Hand gereicht bis in die Büros der Minen- und Industrieverwaltung der Provinz Khost. Die Beamten waren außer sich vor Freude, denn der Stein entpuppte sich als Chromeisen. Das Erz ist weltweit gefragt und wird für die Härtung von Stahl verwendet, wichtig etwa im Maschinen- und Flugzeugbau. Doch zu Boeing und Airbus ist das Chrom aus Khost nie durchgedrungen.

„Nach der Bestimmung des Steins hat die Regierung sofort versucht, das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen“, berichtet Gull. „Aber die Stämme hier in der Gegend haben das verhindert. Von Anfang an gab es deswegen Kämpfe zwischen den Tanai von hier und den Wazir in Pakistan. Jetzt gibt es überall Sicherheitskontrollen. Die Stämme blockieren sich gegenseitig beim Abbau der Erze.“

Die US-Regierung schätzt den Wert der Rohstoffvorkommen in Afghanistan auf über eine Billion Dollar. Die afghanische Regierung will die Vorkommen von Kupfer, Gold und anderen Erzen in großem Stil fördern und ist guter Hoffnung, das Land damit von ausländischen Geldern abzunabeln.

In 20 Jahren soll die Förderung von Rohstoffen die Hälfte der afghanischen Wirtschaftsleistung ausmachen. Firmen aus dem rohstoffhungrigen China aber auch aus Indien, Pakistan und den USA stehen schon in der Warteschlange und harren ungeduldig auf eine Verbesserung der Sicherheitslage, um endlich investieren zu können.

Doch das Beispiel des Chromeisens von Khost – einer Unruheprovinz, die Kabul nur schwer in den Griff kriegt – zeigt, wie kompliziert das ist. Denn bisher haben die Vorkommen, die die Bewohner mit primitiven Werkzeugen zu Tage bringen und über die Grenze nach Pakistan schmuggeln, keine Arbeitsplätze geschaffen und eine moderne Infrastruktur bewirkt. Stattdessen kommt es immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen den paschtunischen Clans diesseits und jenseits der Grenze.

Was auf den ersten Blick als Angriff der Taliban auf NATO-Truppen bewertet wurde, offenbart sich bei genauerem Hinschauen in Khost oft genug als bewaffnete Auseinandersetzung um wertvolles Gestein. Gabriel Schultz, früher Leutnant der 101. US-Luftlandedivision, denkt an seine Zeit in Khost 2008 bis 2009 zurück, wo er schon in seiner ersten Woche zwischen die verschiedensten Fronten geriet. „Seitdem habe ich mich immer gefragt: Wer schießt hier eigentlich auf wen?“, meinte Schultz kopfschüttelnd. „Die Unterscheidung zwischen Aufständischen und frustrierten Dorfbewohnern ist schwer.“

Nach dem für 2014 geplanten Abzug der NATO-Truppen hat die afghanische Regierung noch weniger militärisches Durchsetzungsvermögen, um die für den Abbau der Rohstoffe nötige Sicherheit zu etablieren. Dabei müsste Kabul den Abbau mit Projekten für die lokale Bevölkerung einhergehen lassen, um deren Unterstützung zu gewährleisten, meinen Beobachter. Die Verträge der Regierung mit ausländischen Investoren haben dies auch so festgelegt. Doch wegen der ineffizienten und korrupten Verwaltung werden die Festlegungen zugunsten der einheimischen Bevölkerung nicht in die Tat umgesetzt.

In den Provinzen Afghanistans kann die Regierung in Kabul nur wenig Rückhalt erwarten. „Die Zentralregierung zielt auf die reichen unberührten Vorkommen, um das Land zu entwickeln und sicherer zu machen. Aber dabei kommt sie unweigerlich in Konflikt mit einem Stammessystem, das nichts als althergebrachten Landbesitz und die Bedürfnisse der Leute kennt“, so der Ex-Offizier Schultz.

Beamte der Provinzverwaltung von Khost bekräftigen, dass sie ihr Möglichstes täten. Die staatlichen Sicherheitskräfte bemühen sich, mit den Räten der Stämme an einem Strang zu ziehen. Doch angesichts der tief verwurzelten Korruption verpuffen viele Aktionen der Regierung. „Als ich im Amt war, haben viele Rivalen versucht, wegen der Bestechungsgelder der Schmuggler meinen Platz einzunehmen“, erklärt Nasar Scharif Odschat, ein ehemaliger Gebietschef in Khost.

So versetzen sich die Stämme und die Regierung gegenseitig in eine Patt-Situation. Im Wissen um den Schatz unter ihren Bergen ist die Bevölkerung zunehmend unzufrieden und resigniert. „Weder dürfen wir die Sache selbst in die Hand nehmen und von den wertvollen Steinen profitieren, noch unternimmt die Regierung irgendwas, um die Vorkommen abzubauen“, beschwert sich Ghafor Arghawan, ein anderer Dorfbewohner in Khost. Die Geschichte von dem schwarzen Stein, den Ziarat Gull damals fand, ist längst kein Trost mehr. Das Gegenteil ist der Fall.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Welt Online“, welt.de