Afghanistan: Hotelgäste 12 Stunden in der Gewalt von Taliban

 
Meldung vom 26.06.2012

In Afghanistan gibt es wenige Inseln des Friedens, vor allem nach westlichen Maßstäben. Und die wenigen, die es gibt, werden bevorzugt zum Angriffsziel der Taliban. Es war ein Ort der Erholung. Genau deshalb wurde der Kargha-See bei Kabul zum Schlachtfeld des Terrors. Zwölf Stunden lang hielten die Taliban ein Hotel am See in ihrer Gewalt und verwickelten sich in ein Schussgefecht mit Sicherheitskräften, mindestens 24 Menschen wurden erschossen. Die Extremisten nennen ihren Terrorakt die Strafe für „unislamisches Verhalten“.

Die Hotelgäste hatten sich auf einer ausgelassenen Feier amüsiert. Jetzt wollten sie nach Hause, nach Kabul aufbrechen, ein paar Kilometer östlich vom Kargha-See. Sie machten oft donnerstags einen Ausflug an den See, um zu picknicken, die Landschaft zu genießen und die Woche ausklingen zu lassen. Freitag ist Feiertag in Afghanistan.

An diesem Donnerstag mündete der Ausflug in ein Drama: Kurz vor Mitternacht stoppte ein Minibus vor dem direkt am Wasser gelegenen Spozhmai-Hotel. Fünf Männer sprangen aus dem Wagen, sie trugen Sprengstoffwesten und Maschinenpistolen und schossen sofort um sich. Ein paar Hotelgäste reagierten sofort und sprangen aus einem Fenster in den See. Alle anderen wurden in eine qualvolle Tortur hineingezogen, die zwölf Stunden dauern sollte. Etwa 400 Menschen waren zum Zeitpunkt des Angriffs in dem Hotel.

Stundenlang hagelten Schüsse, in der Nacht ebbte das für eine Stunde ab, bevor die Kämpfe erneut aufflammten, berichten Augenzeugen. Afghanische Polizei, die Armee sowie NATO-Truppen rückten an, um die Geiseln zu befreien. Man habe sich nur langsam vorarbeiten können, um das Risiko an Opfern unter den Geiseln gering zu halten. In der Dunkelheit habe man deshalb nicht geschossen. Das Kommando oblag den Afghanen, betonte ein NATO-Sprecher in Kabul, die Alliierten seien lediglich zur Unterstützung dazugekommen. Rückenstärkung bekamen die Sicherheitskräfte auch per Hubschrauber. Rund 40 Menschen konnten im Laufe der Nacht der Gewalt der Terroristen entkommen.

Am Freitagmittag erklärte die Polizei den Fall für abgeschlossen. Mindestens 15 Hotelgäste, drei Wachleute, ein Polizist und die Angreifer fielen der Aktion zum Opfer, teilte der Kabuler Polizeichef mit. Die Zahl der Toten könne noch zunehmen, da unklar sei, ob sich weitere Leichen im See befänden, sagte ein Polizist vor Ort.

Der Angriff ist ein Rückschlag bei allen Bemühungen des Westens und der afghanischen Regierung, in irgendeiner Form Beziehung zu den Taliban aufzunehmen. Die Extremisten begründeten ihr Attentat damit, dass dieses Hotel den „Sittenverfall“ unterstützt. Man habe die Herberge als Ziel gewählt, weil man dort „unislamisches Verhalten“ wahrgenommen habe, behauptete Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. Es würden dort „wilde Partys“ gefeiert, die „inakzeptabel“ seien. Das Hotel werde von reichen Afghanen und Ausländern besucht, die dort Alkohol trinken und „anderen Beschäftigungen nachgehen“, die gegen den Islam verstoßen. Gemeint sind damit romantische Treffen unverheirateter Paare.

Mujahid erklärte, die Taliban seien darüber informiert gewesen, dass sich am Donnerstag auch Vertreter der ISAF-Truppen sowie westliche Diplomaten auf Einladung von afghanischen Regierungsvertretern im Hotel aufhielten. Die Polizei konnte diese Angabe jedoch nicht bestätigen.

Der Kargha-See stellt ein beliebtes Ausflugsziel bei Afghanen und bei in Kabul lebenden Ausländern – Entwicklungshelfer, Berater, Journalisten, Diplomaten – dar. Denn die Freizeitmöglichkeiten in der afghanischen Hauptstadt sind wegen der angespannten Sicherheitslage rar. Viele afghanische Familien fahren an den Wochenenden zu dem in den fünfziger Jahren angelegten See. Die Gegend ist ein Naherholungsgebiet, um dem Stress von Kabul zu entfliehen. An vielen Buden werden Tee und Speisen angeboten.

Dem Spozhmai-Hotel ist auch ein Café mit Blick auf den See angeschlossen, gelegentlich dürfen Besucher an Wasserski-Kursen und Ausritten um den See teilnehmen. Ganz in der Nähe befindet sich außerdem der Golfplatz von Kabul – bekannt dafür, dass er wegen des Sandes braun und nicht grün ist. Auch diese Anlage wird von Ausländern und wohlhabenden Afghanen in Anspruch genommen.

Den Aufständischen geht es darum, mit solch spektakulären Angriffen im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen und Gespräche zwischen afghanischer Regierung und dem Westen und gemäßigten Taliban zu vereiteln. Extremisten wie Taliban-Sprecher Mujahid wollen propagieren, wie unvereinbar ihre Haltung mit liberalen Lebensvorstellungen sind.

Außenminister Guido Westerwelle unterstrich deshalb während einer Reise nach Indien erneut, Deutschland werde bei seinem Kurs in Afghanistan bleiben. „Der Terror wird uns nicht davon abbringen, für eine bessere, friedliche Zukunft für Afghanistan zu arbeiten.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de