Afghanistan: Zugang in die verbotene Welt der Frauen

 
Meldung vom 21.08.2012

Frauen in Burkas sind für die Soldaten der ISAF tabu. Sie dürfen sie nicht anrühren, noch nicht einmal anschauen. Das wissen die Taliban für sich zu nutzen. Sie tarnen sich in Frauengewändern und verbergen ihren Sprengsatz unter der Burka. Daher setzt die ISAF nun verstärkt auf den Einsatz von Soldatinnen in diesem heiklen Bereich.

Im Feldlager im afghanischen Mazar-i-Sharif lehrt Leutnant Imelda Rodriguez gerade eine Gruppe Soldatinnen, wie sie voll verschleierte Afghaninnen mit möglichst wenig Risiko durchsuchen können. Denn in Zukunft werden die Schützlinge der resoluten US-Soldatin sich verstärkt mit den einheimischen Frauen befassen müssen. Zu ihren Aufgaben wird es gehören, mit ihnen zu reden und sie über ihre Wünsche und Probleme zu befragen. Aber sie werden sie auch bei Kontrollen abtasten oder die bisher den Männern verbotenen Bereiche der Häuser durchsuchen.

Für die am Hindukusch sonst fast allmächtigen Männer war das bisher streng untersagt – und dementsprechend auch für die meist männlichen Soldaten der NATO-Truppe oder der afghanischen Armee. Gerade auf dem Land werden die einheimischen Frauen vollkommen vor ihnen abgeschottet: Nähert sich eine Patrouille fremder Soldaten, veranlasst der Dorfälteste, dass sich die Frauen rasch in ihre Häuser zurückziehen.

Zugleich sind die unförmigen Burkas, unter denen sich vieles verbergen lässt, auch eine Gefahr: Erst Anfang August konnte der afghanische Geheimdienst nach eigenen Angaben einen schweren Anschlag in Kabul vereiteln, den Selbstmordattentäter in Burkas verüben wollten. Amerikaner und Briten investieren deshalb schon länger in den Einsatz von Soldatinnen, um Zugang in die verbotene Welt der afghanischen Frauen zu haben: „Female Engagement Teams“ (FETs) heißen die Gruppen der Spezialistinnen bei ihnen.

Oberleutnant Elke Post ist die erste und bisher einzige deutsche Soldatin, die das FET-Training durchlaufen hat. Jetzt engagiert sie sich bei der Ausbildung weiterer Soldatinnen aus Schweden und Finnland in Mazar- i-Sharif. „Die meisten ISAF-Soldaten sind nun mal Männer“, stellt Post fest. Wegen der strengen religiösen Gesetze werde es schon als Provokation angesehen, wenn sie afghanische Frauen auch nur anschauten. „Frauen dürfen nicht angesprochen, nicht angegriffen, nicht angesehen werden“, summiert Post die Liste der Tabus.

Mit dem neuen Kurs stehen der FET-Koordinatorin für den Norden des Landes insgesamt zehn Soldatinnen bereit, die die ansonsten weitgehend männlichen Patrouillen begleiten können. Für die Soldatinnen gibt es ein hohes Sicherheitsrisiko bei diesem Einsatz, den sie freiwillig neben ihrer eigentlichen Aufgabe erledigen.

Bei ihrem Training werden so viele Situationen wie möglich simuliert. „Wir sind tot“, ärgert sich die schwedische Soldatin Madeleine Brändström, als neben ihrem Trupp eine Sprengfalle detoniert. Längst sind die Frauen schweißüberströmt, wie auf einer echten Patrouille tragen sie schwere Schutzwesten und schultern ihre Waffen in der Gluthitze.

Für Brändström ist die größte Herausforderung des Trainings, ruhig zu bleiben und im Gespräch mit den afghanischen Frauen und deren Männern nicht die Fassung zu verlieren. „Jeder sollte seine eigene Meinung vertreten dürfen, ich habe auch eine sehr klare eigene Meinung“, meint die Schwedin. „Wo ich herkomme, kann ich sagen, was ich will, und man hört mir zu. Ich will dabei helfen, dass das hier auch einmal so ist.“

Gelernt habe sie in der insgesamt einwöchigen Ausbildung vor allem, dass keine Situation kalkulierbar ist. „Es wird sich nie alles so entwickeln, wie man es plant, sondern es kommt immer etwas dazwischen – ein Mann zum Beispiel, der dich einfach abblockt“, erklärt Brändström. „Das muss man immer wieder üben, damit man dann aus dem Nichts einen neuen Plan entwickeln kann.“ Neben dem praktischen Teil bekommen die Soldatinnen Unterricht in Gesprächstaktik, afghanischer Geschichte und Selbstverteidigung.

Ein paar Schritte weiter werden die Soldatinnen bereits mit ihrem nächsten Fall konfrontiert: Ein Afghane hat seine Frau auf offener Straße zu Boden geworfen und schreit sie an, die Frau hockt sichtlich eingeschüchtert im Staub. Doch in Fällen häuslicher Gewalt dürfen die FET-Teams eigentlich nicht eingreifen. „Was wir tun können, ist, uns auf andere Art um die Frau zu kümmern“, sagt Rodriguez. Tatsächlich beginnt eine der Soldatinnen ein langes Gespräch mit dem Mann und überzeugt ihn schließlich davon, seiner Frau die Teilnahme an einem Nähkurs zu gestatten – eine neue Einnahmequelle für die Familie und ein wenig Freiheit und Selbständigkeit für die Frau.

„Gut gemacht“, lobt Rodriguez. Die Amerikanerin befürwortet es, wenn sich das Militär mit dem FET-Projekt verstärkt den Frauen zuwendet. Frauen machen immerhin knapp die Hälfte der afghanischen Bevölkerung aus, sind aber praktisch unsichtbar und unhörbar: „Frauen sind so lange vernachlässigt worden, und wir haben immer nur den Standpunkt der Männer gehört – jetzt liegt es an uns, für ein vollständiges Bild der Dinge zu sorgen“, unterstreicht Rodriguez.


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Spezielles Training für ISAF-Soldatinnen


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: krone.at