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Somalia: Die „Dunkelmänner“ – Jeder kann zur Zielscheibe werden

Meldung vom 24.09.2012

Wer zu lange an einem Ort stehenbleibt, kann zur Zielscheibe werden: Der neue Regierungschef und moderate Islamist Hassan Scheich Mohamud will Recht und Ordnung in Somalia aufrichten, doch auch er bleibt nicht von hinterhältigen Anschlägen verschont.

Die neue Freiheit kann man in Marka an vielen Details schon erkennen. Hassan Mohamed plant seine Hochzeit, Ali Oban ist endlich zum Friseur gegangen und hat sich die Haare auf die von ihm gewünschte Länge von weniger als einem Zentimeter gestutzt, und Farkio hat sich auf einem Stein neben der Moschee im Zentrum des somalischen Hafenstädtchens niedergelassen und bietet Zigaretten der Marke Sportsman an. Dafür wäre die 20 Jahre junge Frau vor wenigen Tagen noch mit 30 Stockhieben geahndet worden, denn für die Männer mit den langen Bärten ist das Rauchen westlicher Tabakstäbchen unislamisch. Wer mit einer Zigarette im Mund ertappt wird, wurde von den Kämpfern der islamistischen Al-Schabaab Miliz dazu genötigt, den noch brennenden Glimmstängel an Ort und Stelle zu verschlucken.

Selbst die brutalen Strafen der bärtigen Gottesmänner haben die Nikotinsucht nicht gänzlich eingedämmt: Markas Raucher haben die Objekte ihrer Sucht in Bonbonpapier eingewickelt gekauft, auch wenn sie pro Glimmstängel fünfmal mehr als heute ausgeben mussten. Farkio musste die Existenz ihrer Familie während des Zigarettenbanns mit dem Verkauf von Brennholz sichern, womit sie am Tag nicht einmal halb so viel wie mit den Rauchwaren verdiente.

Inzwischen ist die Welt jedoch wieder in ihren unislamischen Urzustand zurückgekehrt, aber die Furcht steckt der Mutter von drei Kindern noch immer in den Gliedern. „Darüber will ich nicht reden“, erwidert Farkio auf 80 Prozent der Fragen. Ein Satz, den man in Marka heute öfters als jeden anderen hört. Denn mögen die Bärte aus dem Bild der Stadt auch verschwunden sein: Manches Gesicht, das sich dahinter verbarg, fürchtet man noch immer im Zwielicht der engen Gässchen der Hafenstadt, gelegentlich schlagen die „Gottesmänner“ auch wieder zu.

Wenige 100 Meter von der Moschee entfernt steht auf einem Sandplatz in der Nähe des Hafens ein Obelisk: Hier wurden während der dreijährigen Herrschaft der Extremisten angebliche Spione umgebracht. Mindestens 15 Menschen wurden hier getötet. „Bleibt nicht so lange stehen“, drängeln die afrikanischen Soldaten die Journalisten, die sie zum Lokaltermin nach Marka begleitet haben: Wer zu lange stehen bleibt, kann zur Zielscheibe werden.

Kaum zwei Wochen sind vergangen, dass zumindest eine Mehrheit der 200 Kämpfer der Al-Schabaab-Miliz der Stadt Marka fluchtartig verließ: Denn aus dem 80 Kilometer weit entfernten Mogadischu sind die Truppen der afrikanischen Mission Amisom im Anmarsch. Die Somalier atmen derzeit auf. In Mogadischu wurde jüngst ein neuer Präsident aufgestellt: der Akademiker Hassan Scheich Mohamud. Er ist der erste Chef des in 22 Chaosjahren völlig heruntergekommenen Staates, der nicht mehr bloß als Übergangspräsident bezeichnet werden kann.

Gemeinsam mit Truppen aus den Nachbarländern Äthiopien und Kenia haben ugandische und burundische Amisom-Soldaten rund 80 Prozent des einst fast vollständig von den Islamisten beherrschten Landes eingenommen: Derzeit bereiten sich die Kenianer mit somalischen Regierungstruppen auf die Eroberung der Hafenstadt Kismayo vor – es ist die letzte Hochburg der „Gottesmänner“.

„Fällt Kismayo – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das geschieht –, ist al-Schabaab am Ende“, meint Amisom-Sprecher Ali Houmed. Endlich könnte Frieden für Somalia in Aussicht sein. Wenn da nicht der Schatten der Dunkelmänner zu befürchten wäre. „Sie rannten wie die Hasen“, berichtet Oberst Peter Omola lachend, der die neunte Kampftruppe der ugandischen Amisom-Truppen führt: Auf dem Vormarsch nach Marka sei lediglich einmal ein höchstens eineinhalbstündiger Kampf vonnöten gewesen. „13 von ihnen haben wir getötet“, sagt der Offizier stolz, „eigene Verluste hatten wir nicht.“

Ein lebendes Beispiel der Niederlage der religiösen Extremisten sitzt mit gesenktem Kopf im wenige Kilometer außerhalb Markas gelegenen Camp der Ugander. Zusammen mit einem Freund ist Fadhil Ahmed Ali erst vor zwei Tagen zur Amisom übergelaufen. Er kenne mehr als 80 „Jungs“, die nur einen günstigen Moment abpassen wollten, um den beiden Überläufern nachzueifern. „Die Leute haben weder etwas zu essen noch Medizin“, beschreibt der 19-jährige einstige Al-Schabaab-Kämpfer die Situation der Miliz.

„Mit der bevorstehenden Niederlage al-Schabaabs wird das Land nicht unbedingt sicherer“, gibt ein ehemaliger Offizier der Roten Armee zu bedenken, der die Vereinten Nationen am Horn von Afrika in Sicherheitsfragen berät: „Im Gegenteil: Es könnte, wie in Afghanistan, noch wesentlich schmutziger werden.“ Immer häufiger werden derzeit selbst in den eigentlich befreiten Gebieten Attentate und Bombenanschläge verübt: Eine halbe Stunde, nachdem der Amisom-Konvoi mit den Journalisten durchgefahren ist, detoniert auf der Straße zwischen Marka und Mogadischu ein von einer fern gezündeten Bombe getroffener Geländewagen der somalischen Spezialkräfte.

Wenige Tage nach seiner Wahl will Mohamud bei einer Pressekonferenz erstmals seine Pläne zum Wiederaufbau präsentieren. Der Termin wurde im fünften Stock des Jazeera Palast Hotels in der Nähe des Flughafens anberaumt, das ist einer der am besten gesicherten Orte der Stadt. Noch während der Präsident die knapp zwei Dutzend Journalisten aus dem In- und Ausland willkommen heißt, wird das Gebäude von einer Explosion erschüttert. Mohamud lässt sich nicht unterbrechen und hält trotzig und etwas angespannt lächelnd seine Grußrede weiter. Auch das Knattern der Schüsse aus automatischen Gewehren kann den abgebrühten Somalier nicht aus der Fassung bringen: „Welcome to Mogadischu“, hört man ihn zwischen den Feuer-Salven sagen: „Genau das ist es, was wir zu stoppen suchen.“

Ein zweiter Sprengsatz geht in die Luft, gefolgt von weiteren Schüssen – jetzt wird der Pressetermin doch eilig abgebrochen. Vom Fenster aus ist das Ausmaß der Zerstörung erkennbar. Auf der Straße vor dem Hotel sind zahllose Körperteile verstreut. Zwei abgerissene Köpfe, ein Bein noch mit einem Turnschuh dran und zahllose Fetzen von Fleisch: Das sind die Überbleibsel zweier Selbstmordattentäter, die fünf Menschen mit umgebracht haben. Im Vorhof des Hotels liegt ein erschossener dritter Attentäter, dessen um den Bauch gebundener Sprengsatz offenbar nicht in die Luft gegangen ist. Wäre der Plan der Angreifer erfolgreich gewesen, hätte zumindest einer der drei schockierend jungen Männer seinen Weg in den fünften Stock gefunden. Schon im Morgengrauen des eben erwachenden Staats wäre der Traum vom neuen Somalia wieder in Schutt und Asche gelegt worden.

„Mit solchen Vorfällen werden wir vermutlich noch lange leben müssen“, klagt ein Beamter des somalischen Außenministeriums, nachdem er im fünften Stock des Jazeera Palast Hotels seine Fassung wieder gewonnen hat. Dass das nicht untertrieben ist, zeigen die vergangenen Tage. Bei einem Bombenanschlag auf ein überwiegend von Journalisten besuchtes Lokal in Mogadischu haben zwei Selbstmordattentäter am Donnerstag 15 Menschen getötet, dabei auch zwei bekannte Journalisten. Und am Samstag, den 22.09.2012 erschossen Unbekannte laut Polizei den Parlamentsabgeordneten Mustaf Hagi Mohamed Mo’alin vor einer Moschee in Mogadischu. Mo’alin ist der erste Abgeordnete des im August gewählten Parlaments, der einem Anschlag erlag.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Badische Zeitung“, badische-zeitung.de

Schlagwörter: Somalia, Mogadischu, Attentate, Anschläge, Al-Schabaab-Miliz, Überläufer, Amisom, Dunkelmänner, Selbstmordattentäter, Journalisten, Präsident, Rückzug, Kismayo, Marka, Hassan Scheich Mohamud, Hassan Sheikh Mohamud, Flucht, Bombe, Sprengsatz, Mustaf Hagi Mohamed Mo'alin