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Mexiko: Gefährliche Migration – Auf dem Zugdach in die USA

 
Meldung vom 05.10.2012

Jedes Jahr setzten Hunderttausende von Migranten aus Südamerika alles daran, in die USA zu gelangen. Beliebtestes Transportmittel ist dafür der Güterzug durch Mexiko, doch die Passage ist lebensgefährlich. Aber die Hoffnung auf einen Ausweg aus der existenziellen Not ist größer als die Angst.

Das Pfeifen des Güterzuges schrillt durch die Ebene. „Pa' arriba, pa' arriba!“, ruft aufgeregt ein Mann am Eingangstor der Notherberge in Huehuetoca, 50 Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt. Allen ist klar, was gemeint ist. Der Zug fährt nach oben, nach Norden. Männer, Jugendliche und einige wenige Frauen, die gerade noch in der Mittagshitze Siesta hielten, packen eilig ihre wenigen Habseligkeiten in die Rucksäcke und rennen zu den Gleisen gegenüber der Herberge. Schon stampft das Ungetüm heran. Drei Diesellokomotiven ziehen mühsam eine Kette von Wagen, die bis zum Horizont reicht. Die Erde zittert, das Bauchfell vibriert, der Schädel brummt.

„La bestia“ heißt der Zug in Richtung Vereinigte Staaten, die „Bestie“. Nur einem halben Dutzend Menschen gelingt der lebensgefährliche Sprung auf einen der Wagen. Der Rest bleibt zurück und hofft auf die nächste Chance. Der Priester Pedro Pantoja seufzt erleichtert auf. Niemand geriet diesmal unter die Räder, niemand verlor Arme oder Beine. Seit zwölf Jahren hilft der katholische Geistliche denjenigen, die auf der „Bestie“ versuchen, in die USA zu gelangen und stattdessen oft in der Hölle landen. „Die Grausamkeit nimmt ständig zu“, bezeugt Pantoja. Damit spricht er nicht nur die fürchterlichen Verletzungen derjenigen an, die vom Zug fallen.

Die mehrere Wochen lange Fahrt auf dem Zugdach ist zwar preiswert, aber zugleich ist sie sehr riskant. Banden und korrupte Polizisten erpressen regelmäßig die wehrlosen Reisenden. Im günstigsten Fall müssen diese ihre letzten Pesos ausliefern. Im schlimmsten Fall werden sie verschleppt, damit Lösegeld erpresst werden kann. Wer keine zahlungswilligen Verwandten hat, wird oft gelyncht und irgendwo vergraben. Jahr für Jahr verschwinden in Mexiko darum mehr als 10.000 Migranten spurlos, erklärt Pantoja.

Heute ist der Geistliche nach Huehuetoca gekommen, um die eben erst eröffnete Notherberge zu segnen. Sie besteht aus einer Küche, einem Bad und zwei viel zu kleinen Räumen, wo die täglich 200 neuen Gäste unterkommen. Die meisten suchen sich ein Plätzchen im Garten, unter straff gespannten Plastikplanen. Wer in Huehuetoca eintrifft, hat bereits etwa 1.900 Kilometer auf dem Zugdach zurückgelegt und etwa genauso viel vor sich, je nach Route. Zwei Tage dürfen die Gäste sich hier ausruhen, dann müssen sie wieder aufbrechen.

Einer der Flüchtlinge ist der 21-jährige Josué aus Honduras. Wie alle anderen gibt er seinen Nachnamen nicht an, aus Furcht vor den Behörden. Josué ist auf dem Weg nach Houston, Texas, wo bereits viele seiner Landsleute sich niedergelassen haben. Er hat sich auf die lebensgefährliche Reise begeben, weil er daheim in Honduras keine Zukunft mehr sieht. Trotz seiner Ausbildung als Informatiker hat er keinen Job gefunden, um seine Frau und seine drei Kinder ernähren zu können. „Es gibt nichts, und es wird jeden Tag schlimmer“, so bringt er die Hoffnungslosigkeit seiner Heimat auf einen Punkt. Von Texas aus hofft er seine Familie versorgen zu können, ganz gleich wie: „Ich nehme, was kommt, auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder sonst etwas.“

Zehn Tage zuvor ist Josué losgegangen. Von Guatemala aus durchschwamm er den Grenzfluss nach Mexiko. Dort wich er einige Kilometer den Polizei- und Armeekontrollen aus und kam bis zur Station Tenosique, dem südlichen Ausgangspunkt der „Bestie“. Bereits nach wenigen Stunden Fahrt wurde der komplette Zug in Salto de Agua, im Gliedstaat Chiapas, überfallen. Die Kriminellen waren Mitarbeiter der Zuggesellschaft. Sie beraubten Josué und Hunderte weiterer Migranten ihres geringen Reisegeldes. Die Polizei sah tatenlos zu. „Die Angst ist immer da“, sagt Josué über die Reise auf der „Bestie“ und ergänzt resigniert: „Was will man schon machen? Es gibt keine Alternative.“

Wie Josué kommen alle Gäste der Notherberge aus Honduras, Nicaragua, Guatemala oder El Salvador, den Armenhäusern Lateinamerikas. 200.000 bis 300.000 Menschen aus den zentralamerikanischen Kleinstaaten kehren jährlich ihrer Heimat den Rücken, um auf der „Bestie“ in die Vereinigten Staaten zu gelangen, schätzt der Priester Pantoja.

Die Kriminalität auf der Zugreise ist besonders tückisch, weil sie nicht vor den staatlichen Behörden Halt macht. „Mexikos Polizisten sind krimineller als die Kriminellen selbst“, stellt der 32-jährige Luis aus Honduras fest. Er erzählt in Übereinstimmung mit anderen Reisenden von wild um sich schießenden Polizisten auf den Zugdächern.

Der Priester Pantoja sieht in der starken Abwanderung talentierter junger Menschen das eigentliche Drama in der ganzen Migrationsthematik. Er legt die neuesten Statistiken aus Honduras dar: 700 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren verlassen Woche für Woche das Land, die meisten für immer. „Das ist ein enormer Aderlass“, stellt er fest.

Elmer und seine drei Mitreisenden erforschen derweil die mexikanische Bahnkarte, die gut sichtbar vor der Küche der Herberge aushängt. Der kürzeste Weg von Huehuetoca in die Vereinigten Staaten beläuft sich auf 1.079 Bahnkilometer und führt über San Luis Potosí nach Reynosa, gegenüber von McAllen, Texas. Diese Strecke gilt allerdings auch als die gefährlichste, denn nördlich von San Luis wütet der Krieg der mexikanischen Drogenkartelle gerade besonders heftig. Ruhiger ist die Pazifikstrecke über Guadalajara und Mexicali nach Kalifornien. Dafür aber muss man 1.501 zusätzliche Bahnkilometer in Kauf nehmen und damit eine oder zwei weitere Wochen auf dem Zugdach.

Plötzlich geht das Gerücht um, der nächste Zug komme um 17 Uhr vorbei, auf dem Weg nach Reynosa. Damit ist die Entscheidung für Elmer und seine Freunde getroffen: Sie nehmen die gefährliche Route. Eine halbe Stunde haben sie noch Zeit, sie nutzen sie für eine letzte friedliche Siesta unter der Plane. Das durchdringende Pfeifen der Lokomotive wird sie schon wach rütteln.


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Filmtipp: La Bestia (In Englisch)




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Neue Zürcher Zeitung, NZZ Online“, nzz.ch

Schlagwörter: Mexiko, Migration, Südamerika, Güterzug, La bestia, Die Bestie, Herberge, Reisende, Migranten, Armut, Überfälle, Polizei, Zugpersonal, Lokomotive, Zugdach, Entführung, Erpressung, Abwanderung, Brain Drain, Arbeitslosigkeit, USA, Arbeit, Huehuetoca, Drogenkrieg, Drogenbanden