Kenia: Frauen auf dem Weg zur Handy-Bankerin

Meldung vom 06.11.2012

Frauen in Kenia wurde bislang traditionell keinerlei Verfügungsrecht über die Finanzen zugestanden. Durch die Einführung des Geldtransfers über Handys nimmt diese Tradition jetzt eine überraschende Wende. Mit Handys gründen Frauen eigene Firmen und werden zu erfolgreichen Bankerinnen.

Knallgrün ist der kleine, aus Lehm errichtete Laden von Roselyne Igano. Die rundliche Mutter von vier Kindern ist in dem westkenianischen Dorf Shinyalu geboren, hier ist sie zur Schule gegangen und hier unterhält sie nun ihren eigenen Laden. Sie ist die Chefin und stolz darauf. „Es ist gut, Chefin zu sein“, meint sie. „Dann kann man bestimmen.“

Seit zwei Jahren gelingt ihr das immer öfter. Sie bestimmt über ihr eigenes Leben. Das ist eine Freiheit, die nicht viele kenianische Frauen genießen. Signal für ihre Freiheit sind die weißen Großbuchstaben auf der grünen Hauswand: MPesa. Das M steht für „Mobil“ und „Pesa“ bedeutet Bargeld auf Suaheli. Jeder in Kenia weiß um das MPesa-System, und jedem hier im Dorf ist bekannt, dass Roselyne eine seiner Vertreterinnen ist.

„Zuerst hatte ich nur eine Schneiderei. Aber seit zwei Jahren bin ich auch Bankerin – eine moderne Bankerin“, freut sie sich, während sie über sich selbst schmunzelt und flink die altmodische, fußbetriebene Nähmaschine in Gang setzt. Aus gewöhnlichem hellblauem Nylonstoff stellt sie ruckzuck ein ebenso gewöhnliches Hemd einer Schuluniform her.

Roselyne hat die Schneiderei weiter aufrecht erhalten, und sie ist zusätzlich Bankerin geworden. Eine richtige Bank hat das Dorf nicht. MPesa, ein Service des kenianischen Mobilfunkunternehmens Safaricom, kann man als eine Art Bank für Arme einstufen. Überweisungen sind gratis und einfach zu tätigen – auf Tastendruck und ganz ohne Smartphone. Selbst mit dem „dümmsten“ Handy wird eine Überweisung sekundenschnell an den Empfänger zugestellt – wiederum als Guthaben auf seinem oder ihrem Handy.

Bankkonten sind nicht mehr notwendig und Bankgebühren ebenso. Bargeld kann man bei Vertretern wie Roselyne abholen oder einzahlen. Die Gebühr beläuft sich auf weniger als ein Cent. „Moderne Banker“ wie Roselyne findet man in Kenia an jeder Straßenecke – und die meisten sind Frauen. Sie sind gewissenhafter als Männer, wenn es um finanzielle Angelegenheiten geht.

Der erstaunliche Erfolg von MPesa seit seiner Einführung in Kenia im Jahr 2008 hat deshalb nicht nur eine finanzielle Revolution ausgelöst, sondern auch eine emanzipatorische. Wurden zu Beginn 38 Prozent der MPesa-Kunden als Frauen registriert, sind es jetzt weit mehr als die Hälfte.

Kenianische Frauen haben plötzlich mehr Macht. In dem von kulturellen Normen geprägten ostafrikanischen Land bleibt Frauen und Mädchen besonders in ländlichen Regionen immer noch die Rolle der Hausfrau als einziger Lebensentwurf, 70 Prozent der Analphabeten sind Frauen. Im Durchschnitt haben sie drei Kinder zu versorgen.

Trotzdem beweisen Kenianerinnen erstaunlich viel unternehmerische Kompetenz. Die meisten Frauen unterhalten neben Haushalt und Familie ein kleines Geschäft und verdienen so ein Zusatzeinkommen. Doch bisher haben Männer entschieden, wie es ausgegeben wird. Mit MPesa hat sich das gewandelt. Das System schafft Frauen Handlungsnischen und befreit sie von der Kontrolle und der Konfrontation mit ihren Männern innerhalb eines streng patriarchalischen Systems. Sie müssen nicht mehr fragen, ob sie Geld sparen oder ausgeben können. Sie tun es einfach per Tastendruck auf dem Handy.

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rauen unter 24 Jahren stellen ein Fünftel der kenianischen Bevölkerung von 43 Millionen Menschen dar. Wenn diese regelmäßig MPesa gebrauchen, dann wird deutlich, wie groß die Wirtschaftskraft dieser Frauen ist. 19 Millionen Mitglieder zählt MPesa inzwischen, ihre Transaktionen kommen auf einen Wert von täglich umgerechnet 18 Millionen Euro.

„Ich verdiene inzwischen mehr mit MPesa-Kommissionen als mit meiner Schneiderei“, sagt Roselyne und grinst. Das hätte sie sich selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Vieles wurde danach automatisch besser. Eines offenbarte sich allerdings im Geschlechterverhältnis als problematisch: Ihr Mann konnte sich keinen Einblick mehr in ihre Finanzen verschaffen. Und dann war er eines Morgens einfach verschwunden, hatte wohl eine andere, einfacher anzapfbare Geldquelle aufgetan.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Welt Online“, welt.de