Indien: Versklavt für die Mitgift

 
Meldung vom 07.11.2012

In Südindien müssen junge Mädchen jahrelang für ihre Mitgift arbeiten. Eltern liefern die Mädchen in Textilfabriken ab, in denen sie dann für ihre Aussteuer schuften müssen. Das System hat sich einen schönen Namen zugelegt: Sumangali. In der tamilischen Sprache bedeutet das eine „glückliche Braut“ oder eine Braut, die Wohlstand bringt.

Um Wohlstand handelt es sich tatsächlich, aber gewiss nicht den der Bräute. Es geht um ein Geschäft, das in Spinnereien im Süden Indiens seinen Anfang nimmt und von den Textilfabriken des Subkontinents bis in westliche Kleidergeschäfte führt.

Das Sumangali-System im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu ist letztlich nur ein Deckmantel für die Versklavung junger Frauen. Eltern liefern die Mädchen an die Textilfabriken aus, dort werden sie drei Jahre lang „ausgebildet“. Tatsächlich werden sie aber wie Gefangene gehalten und ausgebeutet. In der Regel erhalten sie monatlich nur ein Taschengeld von etwa 20 Euro. Wird der Bonus von 500 bis 800 Euro nach Ablauf des Vertrags überhaupt ausgehändigt, wandert er direkt in die Hände der Familie des Bräutigams.

Das Sumangali-System sei eine der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, kritisieren Menschenrechtsorganisationen. Die Bundesregierung hat Kenntnis von der Ausbeutung, wie aus einer der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht. Möglichkeiten, die Produkte der Sklavenarbeit für den deutschen Handel zu verbieten, sieht sie aber praktisch nicht.

„Importverbote können zuständigkeitshalber nur von der EU verhängt werden“, lautet das Argument. Letztlich könne aber nicht einmal die EU eingreifen. Die Einhaltung von Sozialstandards sei nicht „Regelungsgegenstand“ der Welthandelsorganisation (WTO). „Importverbote aufgrund der Verletzung von Sozialstandards sind somit WTO-rechtlich nicht zulässig“, teilt die Bundesregierung mit.

„Wie kann es sein, dass für Waren, die unter Sklavereibedingungen hergestellt wurden, kein Importverbot verhängt werden darf?“, empört sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Der Bundesregierung sei bekannt, dass solche Kleider hier verkauft würden und verstecke sich hinter EU und WTO. Das sei „eine Kapitulation vor den Unternehmensinteressen auf Kosten der Menschenrechte“. Die Waren aus dem Sumangali-System dürften nicht länger „in den Regalen und auf den Wühltischen deutscher Kaufhäuser liegen“.

Zumindest, so fordern die Grünen, müsste die Herkunft der Textilien transparent gemacht werden. Von der Bundesregierung wollten sie erfahren, welche Kenntnisse sie „über Importe von Waren durch H&M, C&A, Kik, Lidl und der Metro-Gruppe“ aus Betrieben habe, die Sumangali-Mädchen für sich arbeiten lassen. Es bestehe keine rechtliche Verpflichtung der deutschen Unternehmen, ihre Bezugsquellen aufzudecken, lautet die Antwort. Die Bundesregierung verfüge daher nicht über „diesbezügliche Informationen“.

Dass Produkte der Sklavenarbeit in wesentlichem Umfang in deutschen Einkaufstüten landen, ist unbestritten. In Tirupur im indischen Bundesstaat Tamil Nadu steht eine der größten Textilfabriken der Welt. Unter den insgesamt 500.000 Textilarbeitern sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen etwa 120.000 Mädchen oder junge Frauen, die wie Sklavinnen gehalten und ausgenutzt werden. Sie verdingen sich hauptsächlich in den Spinnereien, die ihr Garn an Textilfabriken in Indien, aber auch in Bangladesch, China oder Kambodscha liefern.

Die Mädchen müssten „Beschimpfungen, Schläge und sexuelle Belästigung durch Aufseher“ über sich ergehen lassen, so die Menschenrechtsaktivisten. Täglich unternehmen die Mädchen Versuche, aus den Fabriken zu fliehen. Suizidversuche, bei denen die Mädchen sich mit Hilfe von Pestiziden vergiften oder Benzin anzünden wollen, seien an der Tagesordnung. Die Bundesregierung verharmlost das als „Einzelfälle“, in denen die indische Verfassung verletzt werde und die man „in den geeigneten Foren“ an die indische Regierung herantrage. Die Verteidigung der Frauenrechte sei ein „zentrales Anliegen“ der deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit mit Indien.

Die von den Grünen verlangte Offenlegungspflicht, bei der Unternehmen über die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards Rechenschaft ablegen müssten, weist die Bundesregierung zurück und verweist auf das System der Selbstkontrolle. Auf die Vorwürfe bereits reagiert hat das Modehaus C&A. „Sumangali ist ein illegales und menschenverachtendes System, das wir unter keinen Umständen akzeptieren“, behauptete das Unternehmen.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Süddeutsche Zeitung“, sueddeutsche.de