Äthiopien: Experiment – Dorfkinder bekommen Laptops

Meldung vom 08.11.2012

Ein Experiment in Äthiopien offenbart, wie kleine Autodidakten sich in aller Schnelle mit Tablet-Computern anfreunden. Ob sich die Kinder damit aber auch das Lesen beibringen können, wird angezweifelt.

„Es gibt mittlerweile 100 Millionen Kinder, die nie die erste Klasse besuchen werden“, kommentiert dazu Nicholas Negroponte. Der Leiter des One Laptop Per Child-Projekts (Ein Laptop pro Kind, OLPC) hat in den letzten Jahren über drei Millionen speziell für Kinder entwickelte Kleincomputer an Schulen in der ganzen Welt ausgehändigt. Mit ihnen soll gerade den benachteiligten Kindern die Chance eröffnet werden, sich selbst zu bilden und damit Anschluss an die industrialisierte Welt zu finden.

Dass er damit die Ärmsten der Armen nicht erreicht, hat Negroponte immer weiter umgetrieben. Seine Organisation hat also ein neues Experiment in Angriff genommen: Statt ihre Computer nur an Schulen zu schicken, hat er die Kinder in zwei Dörfer in Äthiopien mit Tablet-Computern versehen. Und sie ohne weitere Einweisung einfach machen lassen.

Auf welch ein Bildungsgefälle das Laptop dort traf, beschreibt Negroponte auf der EmTech-Konferenz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit folgenden Worten: „Sie haben nie ein Wort gesehen. Keine Flasche mit einem bedruckten Etikett, kein Straßenschild, kein bedrucktes Papier“. In diese Umgebung – so zumindest die Erwartung aus westlicher Sicht – müsste ein komplexes System wie ein Computer kaum zu erfassen sein.

Doch die Kinder kamen nicht nur schnell dahinter, wie man die Computer einschaltet, sie entschlüsselten und aktivierten auch schnell die vorinstallierten Inhalte, von Musik, Filmen bis hin zu Büchern. Negroponte meldete stolz, dass die Kinder die Rechner auf Android-Basis sogar „gehackt“ hätten.

Sie nahmen die eingebaute Kamera in Betrieb, obwohl dies von den OLPC-Angestellten eigentlich nicht eingeplant war, und es gelang ihnen, ihre Tablets individuell zu konfigurieren. Innerhalb von Wochen hätten die Kinder, die nie zuvor ein Wort Englisch vernommen haben, auch ABC-Lieder gesungen, berichtet Negroponte.

Was sich nach einem erstaunlichen Erfolg anhört, ist aber in Wahrheit noch kein nachhaltiger. Denn nach wie vor können die Kinder nicht lesen – ob sie aus der Erfahrung mit den Rechnern, die weit mehr kosten als die Eltern jemals ausgeben könnten, letztendlich Nutzen ziehen, steht in den Sternen.

So wurde beim OLPC-Projekt bereits Kritik laut, dass das Projekt kaum einen nennenswerten Einfluss auf die Schulleistungen hat. Um den Fortschritt der Kinder in Äthiopien besser einordnen zu können, muss das Experiment jetzt ausgewertet werden.

Negroponte bevorzugt dennoch grundsätzlich ein neues Bildungssystem. Er will weg von dem Frontalunterricht. Ein Erfolg des Projekts wäre natürlich ein schöner Beweis für diejenigen, die in Präsenz-Schulen ein überkommenes Modell der Vergangenheit sehen und am liebsten allen Kinder nur noch über Onlinekurse Faktenwissen beibringen möchten.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de