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Indien: Wenn Kasten nicht zusammenwachsen

Meldung vom 15.02.2013

Alle Inder sind vor dem Gesetz gleich. So wurde es in der seit 1950 geltenden Verfassung festgelegt. Doch die Wirklichkeit bietet ein anderes Bild. Noch immer greift das Kastensystem, und besonders auf dem Land werden die Unberührbaren bis heute sehr schlecht behandelt.

In Keshavapuram soll bald Pongal begangen werden: das südindische Erntedankfest. Gewürze, Linsen und Erbsen wurden schon auf bunten Tüchern auf dem Lehmboden des Hofes ausgebreitet. Anil und Shrilata hocken vor der Tür ihres kleinen Hauses. Sie sind nicht in Feierstimmung. Dabei sind sie jung und verliebt.

Im College sind sie sich begegnet, erzählt der 23-jährige Anil. Seit einigen Monaten sind sie verheiratet – und seitdem ist er ständig in Furcht. Furcht vor Angehörigen einer höheren Kaste, die ins Dorf kommen könnten, um sich zu rächen und ihn zu schikanieren, zu schlagen und vielleicht zu töten. Gemeint sind Shrilatas Eltern.

„Er stammt aus einer anderen Kaste. Sein Leben ist deshalb in Gefahr. Bisher ist zum Glück noch nichts passiert. Ich hatte keinen Kontakt mit meinen Eltern seit der Hochzeit. Aber das bedeutet nicht, dass wir die Augen verschließen und alles vergessen können. Ich fürchte noch immer um sein Leben“, sagt sie.

Anil gehört zur Kaste der Dalits. Er ist einer, der im indischen Kastenwesen als unberührbar, als unrein gilt. Seine Frau Shrilata kommt aus einer höheren Kaste. Sie ist eine Reddy. Beide leben eine nicht geduldete Liebe. Heiraten über Kastengrenzen hinweg ist in Indien noch immer ein Tabu, meint Anil. „Ich habe Angst. Aber ich weiß, dass ich gegen das System der Kasten ankämpfen muss. Ein erster Schritt ist es, eine Frau außerhalb meiner Kaste zu heiraten. Und ich liebe Shrilata sehr, also war die Hochzeit genau das Richtige.“

Etwa 500 Dalits wohnen hier in Keshavapuram, mitten in einer Einöde. Nur ein staubiger Pfad bahnt sich durch Reis- und Baumwollfelder zu dem kleinen Dorf. Die meisten Häuser sind aus Lehm und Wellblech. Wasserbüffel ruhen im Schatten einiger Palmen, Hühner scharren im Straßenstaub.

Nur etwa 150 Kilometer liegt Keshavapuram von der südindischen High-Tech-Metropole Hyderabad entfernt. Auf dem Land herrschen aber andere Regeln als in der Stadt. Auch wenn die indische Verfassung Unberührbarkeit untersagt und Gewalt gegen Dalits mit Strafen ahndet. Hier auf dem Dorf könne niemand aus der festen Hierarchie des hinduistischen Kastenwesens heraustreten, erklärt der Aktivist und Menschenrechtler Babu Gogineni. Er stattet den Dörfern rund um Hyderabad regelmäßig einen Besuch ab.

„In einem Dorf, nur 130 Kilometer von Hyderabads Flughafen entfernt, wurde ein Dalit vor eineinhalb Jahren zu Tode gesteinigt, weil vermutet wurde, er sei ein Zauberer. Das zeigt nicht nur, dass Dalits nicht als Menschen gesehen werden, sondern dass die gesamte Gesellschaft an einem Mangel an Menschlichkeit krankt. Die menschliche Solidarität ist völlig dahin. Und so etwas geschieht wegen des Kastensystems. Diese Hierarchie in der Gesellschaft ist das Problem; ein wirklich großes, aktuelles Problem“, kritisiert er.

Von Geburt an ist jeder Inder in eine feste Struktur eingeordnet, für die die Kategorien Jati und Varna stehen. Jati umfasst bestimmte lokale Gruppen oder auch traditionelle Berufe wie Dhobi – die Wäscher, oder Gandhi – die Parfümverkäufer. Über 2.000 solcher Jati sind in Indien geläufig.

Varna dagegen bedeutet eine mythologische, fest hierarchische Unterscheidung. Bereits in alten hinduistischen Texten wird diese Einteilung überliefert, sagt der Soziologe Pralhad Jogdand. Sie ordnen das Kastensystem und die Unberührbarkeit an. Brahmanen – Priester – gehören zu der Spitze dieser Gesellschaftsordnung; danach kommen die Krieger, Händler und schließlich folgen die Shudra, die Bediensteten.

Die Dalits sind von dieser Einteilung ausgenommen. Sie sind kastenlos und unberührbar. Sie verdienen ihr Geld traditionell in Berufen, die als unrein gelten wie Straßenfeger, Toilettenreiniger oder Tagelöhner. Insgesamt gelten mehr als 160 Millionen Menschen, etwa 16 Prozent der Bevölkerung Indiens als kastenlos.

Im Dorf Keshavapuram hausen ausschließlich Dalits. Da sie traditionell niederen Tätigkeiten nachgehen, mit Dreck, Exkrementen oder Tod zu tun hatten, wurden sie bereits vor Jahrhunderten aus den übrigen Dörfern verbannt. Auch heute diskriminieren die Bewohner aus den Nachbardörfern sie, berichtet einer der Männer in Keshavapuram.

Ein anderes Bild bietet sich dagegen auf dem Campus des National Institut of Technology in Nagpur, einer der Eliteuniversitäten Indiens. Studenten schlendern die breiten Alleen entlang, vorbei am Tennisplatz und Bibliotheksgebäude. Elektrotechnik, Mechanik oder Bergbau – wer hier sein Studium absolviert, der hat glänzende Zukunftsperspektiven als Ingenieur, weiß Professor Devidas Maiske. Gemeinsam mit seinem Kollegen Awanikumar Patil begibt er sich ins Computerlabor der Universität.

„Ich unterrichte Informatik. Nach meinem Studium bin ich hierhergekommen, habe meinen Doktor gemacht. Das war 1982. Seitdem arbeite ich hier. Er war der erste Dalit-Professor hier. 1985 kam ich dann ans Institut. Als ich Dozent war, sind wir Freunde geworden“, sagt Maiske über seinen Kollegen Patil.

Mittlerweile sind auch noch andere Dalit-Kollegen an der Uni angestellt. Zahlreiche Jugendliche aus den benachteiligten Kasten haben sich hier eingeschrieben. Denn in Indien gibt es eine Quotenregelung: 15 Prozent der Studienplätze sind für Dalits vorbehalten. Auch andere benachteiligte Kasten haben mittlerweile eine Quotenzuteilung errungen, meint Dozent Patil.

„Hier studieren Jugendliche aus ganz Indien. Es ist also ein ganz anderes Miteinander, unter den Studenten gibt es keine Unterschiede, keine Abgrenzung zwischen höheren und niederen Kasten. Aber tief in der indischen Gesellschaft, tief in ihnen wachsen sie nicht zusammen. Sie werden nicht über die Kastengrenzen hinweg heiraten. Und sie werden dort ihr Haus kaufen, wo Menschen ihrer Kaste bereits wohnen. Das Zusammenwachsen braucht eben seine Zeit“, erklärt Patil.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Deutschlandradio“, dradio.de

Schlagwörter: Indien, Kasten, Kastensystem, Dalits, Unberührbare, Diskriminierung, Gleichheit, Gesetz, Quote, Hierarchie, Hindu, Brahmane, Kastenwesen, Hyderabad