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Afghanistan: Bundeswehr auf der Anklagebank

 
Meldung vom 21.03.2013

Als im Herbst 2009 bei einem Bombenangriff, den die Bundeswehr angeordnet hatte, Dutzende Zivilisten in Afghanistan starben, war klar, dass diese Sache ein Nachspiel haben würde. Denn der Frage „Wer trägt die Schuld?“ musste nachgegangen werden. Nun hat in Bonn ein Schadensersatzprozess begonnen. Die Opfer verlangen Geld – und Gerechtigkeit.

Als der Rechtsanwalt Karim Popal seinen Aktenordner öffnet, fällt ein Buch ins Auge. Auf der Titelseite ist ein Mann in Kampfanzug zu sehen. „My Share of the Task“ heißt die Überschrift des Buches, „mein Teil der Aufgabe“. Es handelt sich um die Biografie des amerikanischen Vier-Sterne-Generals Stanley McChrystal. Er leitete die internationale Schutztruppe in Afghanistan damals, als die beiden Bomben abgeworfen wurden, die Popal schließlich zu dem Prozess veranlassen sollten.

Im Saal 1.011 des Bonner Landgerichts wird in den nächsten Monaten der folgenschwerste Angriff in der Verantwortung deutscher Soldaten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgearbeitet. Dabei werden Themen verhandelt wie der Wert eines Menschenlebens, die Frage, was Soldaten im Krieg überhaupt tun dürfen, vielleicht wird sogar zur Disposition stehen, was ein Krieg überhaupt ist.

Die Bremer Anwälte Karim Popal und Peter Derleder haben Anklage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben, so steht es draußen auf der Terminrolle an der Tür. Doch hinter dem nüchtern klingenden Aktenzeichen 1 O 460/11 verbirgt sich Weltpolitik: Die Juristen verlangen nämlich für Opfer des Luftangriffs von Kunduz etwa 90.000 Euro Schadensersatz- und Schmerzensgeld. „Ich habe große Hoffnung, dass wir für die Ärmsten der Welt etwas erreichen“, betont Popal. Eine halbe Million Euro freiwilliger Wiedergutmachungsleistungen hat die Bundeswehr bisher schon gezahlt.

Laut Klage starben Angehörige von Popals Mandanten bei der Attacke, die der deutsche Oberst Georg Klein im Herbst 2009 herbeigerufen hatte. Zwei Söhne des Bauern Abdul Hannan kamen ums Leben, sie waren acht und zwölf Jahre alt. Auch Guldin Rauf, ein Lohnarbeiter aus dem Dörfchen Omar Khel, starb in dem Bombardement. Seine Frau Qureisha und sechs Kinder, 15, 13, zehn, acht, fünf und drei Jahre alt, sind völlig auf sich gestellt. Mit diesen Schicksalen muss sich nun das Gericht auseinandersetzen und auch mit den Details, wie der Luftangriff eigentlich genau ablief.

Am Abend des 3. Septembers 2009 wurde Oberst Klein, der das Kommando des dortigen Feldlagers innehatte, informiert, dass Taliban ganz in der Nähe zwei Tankzüge in ihre Gewalt gebracht hatten. Der Offizier ging davon aus, dass sie als fahrende Bomben gegen die Deutschen verwendet werden könnten. Er forderte daher US-Kampfflugzeuge an und begründete das damit, dass deutsche Soldaten sich in der Nähe des Geschehens aufhielten, weil die Vorschriften für diesen Fall eine Attacke genehmigen. Die Jets ließen daraufhin zwei 500-Pfund-Bomben fallen. Eine vorherige Warnung, also eine Machtdemonstration, zu der die Piloten geraten hatten, wurde unterlassen. Viele Menschen kamen ums Leben, darunter zahlreiche Zivilisten.

Dennoch stellte die Bundesanwaltschaft den Fall ein. Die Behörde entlastete Oberst Klein vom strafrechtlichen Vorwurf des Mordes an Zivilisten vor allem mit dem Argument, für ihn sei „angesichts der ihm bekannten Umstände“ und der Angaben eines Informanten „die Anwesenheit geschützter Zivilisten fernliegend“ gewesen. Daher hätte auf eine Warnung der Menschen in der Umgebung der Tanklaster verzichtet.

Selbst wenn „mit der Tötung mehrerer Dutzend geschützter Zivilisten hätte gerechnet werden müssen“, ergänzten die Juristen, hätte dies „bei taktisch-militärischer Betrachtung nicht außerhalb jeden Verhältnisses zu den erwarteten militärischen Vorteilen gestanden“. Sowohl „die Vernichtung der Tanklastzüge als auch die Ausschaltung ranghoher Taliban“ hätten eine „nicht zu unterschätzende militärische Bedeutung“ gehabt. Ein völkerrechtswidriger „Exzess“ Kleins käme somit nicht in Betracht.

Auch in Bonn nähern sich die Juristen dem Vorfall mit ähnlich wohl kalkulierten Worten. Zunächst müsse herausgefunden werden, so der Vorsitzende Richter Heinz Sonnenberger, ob die Kläger, also Abdul Hannan und Qureisha Rauf, überhaupt Betroffene seien. Darüber hinaus müssten sie beweisen, welchen Schaden sie hinnehmen hätten müssen, woran sie litten. Auch der Frage, ob hier überhaupt gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen worden sei, müsse nachgegangen werden: „Was konnte Klein wissen, was durfte er anordnen?“, stellt Sonnenberger zur Debatte und ergänzt: „Wie unterscheidet man eigentlich Taliban von Zivilisten?“ In den kommenden Monaten wird die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn sich auf die Suche begeben müssen, was in einem Konflikt, den niemand als Krieg bezeichnen will, eigentlich erlaubt ist und was nicht.






Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Afghanistan, Anklage, Luftangriff, Kunduz, Bundeswehr, Bundesrepublik Deutschland, Prozess, Opfer, Gerechtigkeit, Schmerzensgeld, Wiedergutmachungsleistungen, Krieg, Bomben, Oberst, Georg Klein, Staatsanwaltschaft, Karim Popal, Peter Derleder, Zivilisten, Taliban, Tankzüge, Landgericht, Bonn, Schadensersatz, Justiz