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Indien: Wo Achtjährige Pflastersteine hauen

Meldung vom 15.06.2013

In Indien ist Kinderarbeit nach wie vor sehr verbreitet. Mehr als 100.000 indische Kinder müssen in Steinbrüchen und Ziegeleien schuften – oft stellen sie Produkte für den europäischen Markt her.

In einer Hand führt Sangita den Meißel, in der anderen schlägt sie mit einem viel zu großen Hammer zu. Das etwa achtjährige Mädchen holt aus, immer wieder, und schlägt die Kanten des Pflastersteins zu, der demnächst auf einer Straße oder einem Platz in Europa Verwendung finden dürfte. Neben ihr, mitten auf der Baustelle mit Blöcken und Schutt in Rajasthan in Indien, spielt ihre zweijährige Schwester mit den scharfkantigen Steinen.

Wenige Hügel weiter schuftet der kleine Anil bei sengender Hitze, ebenfalls in Flip-Flops. „Für einen Pflasterstein bekommen wir eine Rupie (1,4 Euro-Cent). Die ganze Familie schafft 150 Stück an einem Tag“, meint Vater Narpat. Wie so viele der Tausenden von Arbeitern in den Steinbrüchen rund um die Stadt Kota hat er nur einen Vornamen. Auch kann er das Alter seiner beiden Söhne und drei Töchter nicht nennen – die Jungen wären aber sicher schulpflichtig.

Anil, der zehn Jahre alt sein könnte, präsentiert, wie er seinen Namen schreiben kann. Seine seltsam großen Hände, voller Schwielen, umklammern den Stift und führen ihn mühsam. Dilip, der zwei Jahre ältere Bruder, hat noch nie eine Schule besucht, er musste von Anfang an mit Geld verdienen. Das gilt auch für meisten anderen Kinder, die jeden Morgen die Nationalstraße nach Kota auf dem Weg zu ihrem Schuttberg bevölkern.

Vater Narpat ist mit seiner Familie aus dem benachbarten Bundesstaat Madhya Pradesh hierher umgesiedelt. Sie sind dem Land entflohen, aus ärmlichen Lehmhütten. Rund um die Steinbrüche ist ihnen zwar Arbeit sicher – aber auch hier ist ihr Haus nur drei Quadratmeter groß. Sie haben keinen Stromanschluss und sanitäre Anlagen gibt es nicht. Wasser holen die Töchter aus dem trüben See.

Die etwa 2.000 Steinbrüche rund um Kota sind auch das Einsatzgebiet von Anwalt und Sozialaktivist Rajnath, der für den deutschen Verein Xertifix kontrolliert, wo Natursteine ohne Kinder- und Schuldknechtarbeit produziert werden. „Aber Xertifix ist nur einer von vielen Akteuren – die meisten anderen sind Geschäftsmänner“, erklärt er. Der Großteil der Natursteine würde in Indien verwendet. „Aber für diese Pflastersteine gibt es keinen indischen Markt. Die gehen alle nach Europa, auch nach Deutschland.“

50 Steinbrüche und drei weiterverarbeitende Betriebe stehen regelmäßig unter der Beobachtung von Rajnath, der für die ordnungsgemäße Arbeit Siegel verteilt. In einem dieser Betriebe präsentiert Manager N. K. Shaw stolz Fußplatten, Mauersteine, Begrenzungssteine und Treppenstufen. Rajnath arbeitet die Checkliste ab: Gibt es Trinkwasser? Mund- und Ohrenschutz sowie Erste-Hilfe-Kästen? Wurden den 65 Arbeitern Verträge ausgehändigt und erhalten sie pünktlich ihren Lohn?

„Die Steine sind bei uns etwa 25 Prozent teurer als die von anderen Betrieben mit Kinderarbeit“, gibt Shaw zu. Nicht viele haben die Bereitschaft, das zu zahlen. Er deutet auf eine Kiste voller orange-gemaserter Platten, von Hand gehauen, die ins niedersächsische Laatzen exportiert werden.

Ein Umdenken komme nur langsam in Gang, aber es geschehe doch, sagt Xertifix-Geschäftsführer Walter Schmidt. Zwar sähen viele Produzenten in Indien von sich aus noch keinen Handlungszwang, auf bessere Arbeitsbedingungen zu achten. „Aber das Thema ist dennoch präsent, weil man weiß, dass es sonst Probleme mit den Käufern in den Abnehmerländern gibt.“ Er sieht hier auch bei den Verbrauchern eine Verantwortung, etwa Menschen, die ein Eigenheim bauen, oder Städte, die ihre Fußgängerzonen neu pflastern.

Denn in Indien ist Kinderarbeit zwar illegal – doch die Behörden schafften es oft nicht, die notwendigen Kontrollen durchzuführen oder hätten keine Interesse an der Umsetzung des Verbots, meint Bhuwan Ribhu von der Kinderrechtsorganisation Bachpan Bachao Andolan. Im vergangenen Jahr sei nur etwa sechs Prozent der Anzeigen überhaupt nachgegangen worden, und bei weniger als einem Prozent wurde ein Urteil vollstreckt. „Die Minenbesitzer fürchten sich überhaupt nicht vor Strafverfolgung.“

Bei den jüngsten Statistiken 2001 ergab sich, dass in Indien 12 Millionen Kinder arbeiten. Ribhu geht davon aus, dass sich derzeit mehr als 100.000 in Steinbrüchen und Ziegeleien verdingen. Viele von ihnen seien Schuldknechte, eine moderne Form von Leibeigenschaft – etwa weil ihre Eltern sich für eine ärztliche Behandlung Geld geliehen hatten.

Die haltlosen Zustände werden in einem der Dörfer am Rand eines riesigen Steinbruchs bei Kota deutlich. Mit Unterstützung der deutschen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW wurde dort eine Schule eröffnet, da die nächste staatliche Schule so weit entfernt liegt, dass die Eltern die Kinder nicht dorthin schicken. Bei der Einschulung erfassten die Lehrer auf Fragebögen, ob die Kinder schon einer Arbeit nachgehen mussten. Mehr als die Hälfte von ihnen gaben zu, vorher Pflastersteine gehauen zu haben.

Gebende Hände unterstützt in Indien zwei Waisenhäuser mit dazugehörigen Schulen. Kinder dürfen dort Kind sein und erhalten die große Chance, durch eine Schulausbildung ein anderes Leben führen zu können.


Weiterführende Informationen

 Indien: Wie hilft Gebende Hände?




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: kurier.at

Schlagwörter: Indien, Kinder, Kinderarbeit, Kinderrechte, Pflastersteine, Steinbruch, Europa, Schuldknecht, Siegel, Armut, Kota, Rajasthan