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Indien: Leben von 35 Cent täglich

Meldung vom 02.08.2013

In Indien geht die Armut zurück – verkündet die Regierung. Doch Hilfsorganisationen schenken den von der indischen Regierung aufgestellten Statistiken keinen Glauben. Jetzt ist in einem der bevölkerungsreichsten Länder der Erde ein Konflikt über die Definition von Armut ausgebrochen.

„Die Größe einer Nation ist am Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern abzulesen“, dieses Zitat stammt angeblich von Indiens Nationalheld Mahatma Gandhi. Nach diesem Maßstab zählt Indien – aus der Perspektive der Regierung – zu den Supermächten: Große Teile der Bevölkerung erhalten subventioniertes Getreide, jeder auf dem Land hat 100 Tage im Jahr Anspruch auf Arbeit und die Zahl der Armen verringert sich rapide.

Dieser optimistische Blick wird allerdings von vielen angezweifelt, von Hilfsorganisationen bis hin zum Nobelpreisträger. Eine Auseinandersetzung um die Armut ist im Land losgetreten worden. Die Zahlen machen auf den ersten Blick einen guten Eindruck: Nur noch 22 Prozent der Menschen in Indien fristen ein Dasein unter der Armutsgrenze, stellte die Planungskommission der Regierung in der vergangenen Woche fest.

Sieben Jahre vorher wurden noch 37 Prozent erfasst, Mitte der Neunziger sogar noch 45 Prozent. In dem riesigen Land mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern ist das gleichbedeutend mit der Tatsache, dass ihre Zahl zwischen 2004/05 und 2011/12 um etwa 138 Millionen reduziert werden konnte. Doch statt Lob wurde Kritik laut.

Es könne kein Jubel ausbrechen, erklärte die Hilfsorganisation Actionaid. Denn der reale Nahrungsbedarf sei überhaupt nicht einkalkuliert worden – und das in einem Land, in dem laut Unicef fast die Hälfte der Kleinkinder an Symptomen der Unterernährung leiden und jedes Jahr mehr als 300.000 Babys die 24 Stunden nach ihrer Geburt nicht überleben. Für den Armutsbericht wurden vielmehr die Ausgaben eines Menschen aufgelistet. Demnach kann jemand nicht mehr als arm definiert werden, wer mehr als 34 Euro-Cent pro Person und Tag in ländlichen Gebieten und 42 Cent in Städten zur Verfügung hat.

Das sei absolut unzureichend und verhöhne die Armen, empörte sich die Opposition. Raj Babbar, Sprecher der regierenden Kongresspartei, rechtfertigte seine Regierung: Sogar in der Metropole Mumbai könne man für 12 Rupien (15 Cent) eine vollwertige Mahlzeit kaufen. Sein Parteikollege Rasheed Masood fügte hinzu, in der Hauptstadt Neu-Delhi sei das schon für 5 Rupien möglich.

Das war für die Medien ein gefundenes Fressen, die die oft maßlos reichen Politiker für abgehoben und realitätsfern erklärten und dokumentierten, dass diese Preise dank der fast zweistelligen Inflation schon lange nicht mehr existieren. Ein Tee sei heute in Delhi für 7 Rupien zu haben, für einen Teller mit Reis und Linsen an Straßenständen müsse man 15 Rupien berappen und wer zwei Fladenbrote mit Soße wolle, müsse 20-25 Rupien ausgeben, meldete etwa die Times of India.

Dass 34 oder 42 Cent nicht genügen, um den Hunger zu stillen, gab die Regierung quasi auch selbst zu. Erst Anfang des Monats hatte sie die Entscheidung getroffen, hoch subventioniertes Getreide nicht an 22 Prozent, sondern an 67 Prozent der Bevölkerung auszuteilen. Die Armutsgrenzen im Land sind also variabel – auch weltweit. Die Weltbank kennt zwei weithin akzeptierte Definitionen, eine für „extreme Armut“ bei 1,25 US-Dollar in Kaufkraftparität und eine bemisst sich bei zwei Dollar. Umgelegt auf die Lebensumstände im Land liegt die niedrigere Linie bei 38 Cent und damit in etwa gleichauf mit der Definition Indiens.

Allerdings legen die Weltbank-Daten auch dar: Andere Länder haben bei der Armutsbekämpfung größere Fortschritte erzielt. Während 1981 noch 22 Prozent der extrem Armen der Welt in Indien aufzufinden waren, sind es nach den neuesten Erhebungen 2010 ganze 33 Prozent. Das expandierende Schwellenland muss sich noch immer mit einer dauerhaften Hungersnot im Land auseinandersetzen.

Das ärgert auch Wirtschafts-Nobelpreisträger Amartya Sen und bewegt ihn dazu, zahlreiche Interviews zu diesem Thema zu geben. Das Wirtschaftswachstum Indiens der vergangenen zwei Jahrzehnte gehöre zu den aufstrebensten der Welt, doch die Politik habe sich als vollkommen unfähig erwiesen, dessen Früchte zu verteilen, meint Sen. Das Land setze sich heute aus „US-kalifornischen Inseln in einem Meer aus Subsahara-Afrika“ zusammen, erklärt er mit Jean Drèze im neuen Buch „An Uncertain Glory: India and it's Contradictions“. Von Mahatma Gandhi, der selbst als Armer unter den Armen lebte, stammt ein prägnanter Satz: „Armut ist die schlimmste Form der Gewalt.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Süddeutsche Zeitung“, sueddeutsche.de

Schlagwörter: Indien, Armut, Arme, Hunger, Hungersnot, subventioniert, subventioniertes Getreide, Definition, Armutsgrenze, Weltbank, Statistik, Schwellenland, Wirtschaft, Amartya Sen