Global: Flüchtlinge – EU-Grenzagentur FRONTEX im Zwielicht

 
Meldung vom 17.10.2013

Hunderte Bootsflüchtlinge sind in den vergangenen Wochen im Mittelmeer gekentert, viele gestorben. Es gibt eine gemeinsame Institution aller EU-Länder, die sich um die Überwachung der EU-Außengrenzen kümmert, sie heißt FRONTEX. Doch die gerät immer wieder in Verruf. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine EU-Verordnung zur Überwachung des Mittelmeers hinsichtlich der Rettung Schiffbrüchiger überarbeitet werden muss. Das passt Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Malta überhaupt nicht.

Mit der Grenzagentur FRONTEX hat sich die Europäische Union einen Polizeiapparat errichtet, der zunehmend mehr Kompetenzen zugesprochen bekommen. FRONTEX unterhält sein Hauptquartier in Warschau und sein Einsatzgebiet sind die Land-, See- und Luftgrenzen der EU. Hierfür steuern die 28 Mitgliedstaaten Personal und Ausrüstung bei, darunter Helikopter, Schiffe, Nachtsichtgeräte oder andere Überwachungstechnik.

Im Rahmen des Überwachungsnetzwerks EUROSUR bemüht man sich seit 2008 um die Zusammenschaltung der bereits vorhandenen Überwachungskapazitäten der Mitgliedstaaten. Die FRONTEX-Zentrale in Warschau agiert als Knotenpunkt. Anfang Oktober hatte das EU-Parlament die notwendige EUROSUR-Verordnung in erster Lesung verabschiedet. Zwar sind die Aktivitäten von FRONTEX vor allem gegen unerwünschte Grenzübertritte gemeint. Angesichts der vielen Ertrunkenen vor Lampedusa wurden die Aktivitäten jedoch zur Rettung Schiffbrüchiger umgemodelt.

Immer wieder gerät FRONTEX ins Zwielicht, weil aufgegriffene Schiffe an Grenzbehörden jener Länder ausgeliefert werden, von deren Küsten sie zuvor ablegten. Dadurch wird verhindert, dass die betroffenen Migranten einen Antrag auf Asyl stellen können. Häufig werden die Flüchtlinge danach in Gefängnissen gefoltert. Im Zweifelsfall lässt sich später häufig nicht mehr prüfen, ob der Rechtsbruch von FRONTEX-Angehörigen oder Behörden eines zuständigen Mitgliedstaates begangen wurde.

Vor Spanien wurde letztes Jahr beispielsweise ein Flüchtlingsboot mehrfach von der Küstenwache vorsätzlich gerammt, mehrere Flüchtlinge kamen ums Leben. Auch im Rahmen einer FRONTEX-Operation mit Beteiligung der Bundespolizei wurden schon Tote gemeldet. Am griechischen Grenzfluss Evros eröffneten Beamte in mindestens zwei Fällen das Feuer auf Schlauchboote, in denen Migranten saßen. Das deutsche Bundesinnenministerium lehnte später jede Verantwortung ab.

Derartige Vorfälle bewegten den Europäischen Gerichtshof, die 2010 erweiterte FRONTEX-Verordnung für teilweise nichtig zu erklären und eine Befassung des Parlamentes anzufordern. Ein entsprechender Vorschlag steht nun zur Debatte, jedoch zeichnet sich schon jetzt große Uneinigkeit ab: Die Mittelmeeranrainer Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Malta weisen eine neue Definition von Rettungsmissionen strikt zurück. Die Delegationen der Regierungen nennen den Vorschlag „unakzeptabel“ und machen dafür rechtliche und praktische Gründe geltend.

Den Ländern ist vor allem der vorgesehene Artikel 9 ein Dorn im Auge, der in bestimmten Fällen eine Seenotrettung anordnet. Flüchtlinge auf offener See müssten demnach gerettet werden, wenn davon ausgegangen werden muss, dass ein Schiff seinen vermuteten Bestimmungsort aus eigener Kraft nicht erreicht. Auch wenn das Schiff gefährlich überfüllt ist und Nahrungsmittel fehlen, müssen Behörden rettend eingreifen. Das Gleiche gilt, wenn Passagiere auf medizinische Hilfe angewiesen sind oder Schwangere und kleine Kinder sich an Bord befinden.

Zahlreiche Politiker waren schockiert über die kürzlich vor Lampedusa ertrunkenen Flüchtlinge und forderten mehr Drohnen und mehr Patrouillen – angeblich um Flüchtlinge zu retten. Der emotionale Konflikt um die FRONTEX-Verordnung zeigt aber deutlich, dass Seenotrettung nicht das angestrebte Ziel ist.




Quelle: „Telepolis“, www.heise.de