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Kenia: Der mobile Boom – Wie der Terror im sozialen Netzwerk landete

Meldung vom 24.10.2013

Digitale Medien, Smartphones und Soziale Netzwerke versetzen manches afrikanische Land sprunghaft von mittelalterlichen Zuständen in die Postmoderne. Die Folgen sind noch unabsehbar. Kenia liefert dafür ein brisantes Beispiel.

Mit ihrem brutalen Terrorangriff wollten die extremistischen Islamisten, die im vergangenen Monat Nairobis Luxus-Mall Westgate überfielen, nicht nur möglichst viele Menschen exekutieren: Sie wollten auch ein Signal gegen den modernen, westlich geprägten Lebensstil setzen. Doch gerade das erwies sich als Bumerang. Außer einem Höhepunkt in der Brutalität fundamentalistischer Islamisten ist an dem Angriff eine neue Etappe des Siegeszugs westlicher Informationstechnologien und sozialer Netzwerke erkennbar: Es war die erste Terrorattacke auf dem afrikanischen Kontinent, die gleichzeitig in der Wirklichkeit und im Cyberspace vor sich ging.

„Ich liege unter den Matratzen!!!!!“, teilte eine Mall-Besucherin unter @ShirleyGhetto auf Twitter in den ersten Stunden der Attacke mit: „Das ist vielleicht mein letzter Tweet.“ Zahlreiche sich vor dem Kugelhagel verbergende Kunden sandten mit ihrem Handy Hilferufe oder Lebenszeichen in die Außenwelt: „Spendet Blut. Bitte!“, bat Kamal Kaur unter @kamz26: „Ich sah Kinder, die es brauchen.“ Unter #Westgate hatte das viertägige Drama eine beispiellose Welle an elektronischen Höchstleistungen zur Folge: 1,8 Millionen kurze Augenzeugenberichte, Kommentare oder Beileidsbekundungen wurden über Twitter kommuniziert.

Einer der ersten war Armee-Sprecher @MajorEChirchir, der im Netzwerk die aktuellsten Neuigkeiten über die Lage im Einkaufszentrum suchte. Kurz später meldete sich Polizeichef David Kimaiyo, der Freunde warnte, dem Einkaufszentrum fern zu bleiben. Schließlich ließen sich auch die Täter selbst hören: „Good Morning Kenya!“, meldete sich die somalische Al-Schabaab-Miliz unter @HSMPress mit einer sarkastischen Anspielung an die Textlängenbeschränkung des Netzwerks: „Ein 14-stündiger Angriff mit 1.400 Runden Munition und 140 Zeichen von Rache!“

In der Folge wurde die blutige Schlacht vor Ort von einer virtuellen Propagandaschlacht zwischen kenianischen Sicherheitskräften und somalischen Islamisten flankiert, die von der wiederholten Schließung ihres Kontos seitens der Twitter-Administratoren immer wieder unterbrochen wurden. Stets eröffneten die Hintermänner der Terroristen umgehend neue Konten, um mit ihren Anhängern in Kontakt zu bleiben. „Wir haben gerade wieder unsere Mudschaheddine in der Mall kontaktiert“, meldeten die Milizionäre: „Sie kämpfen noch immer und fühlen sich stark. Stay tuned! (Bleib dran!)“

Dass der Terrorangriff ausgerechnet in Kenia verübt wurde, kam seiner überwältigenden digitalen Aufmerksamkeit zweifellos zu Gute. Kaum irgendwo anders auf dem Erdteil südlich der Sahara sind mehr Menschen an sozialen Netzwerken angeschlossen: In dem ostafrikanischen Schwellenland dient der Austausch auf Twitter längst zur Organisation von Fahrgemeinschaften, zum Aufspüren billiger Tankstellen oder zur Warnung vor ethnischen Krisenherden.

Während des diesjährigen Wahlkampfs bediente sich vor allem der erfolgreiche Kandidat Uhuru Kenyatta der elektronischen Plattformen wie Facebook, Instagram oder Google: Sowohl seine Minister wie die Chefs des Sicherheitsapparates haben den Auftrag, über Twitter die Verbindung zum Volk halten. In dem 50 Millionen Einwohner zählenden Staat sind bereits mehr als 30 Millionen Karten für Mobiltelefone in Betrieb: Angesichts der Tatsache, dass weit über die Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 Jahre ist, lassen solche Zahlen aufmerken.

In Afrika vollzieht sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein technologisches Wunder, das sich nur mit der industriellen Revolution in Europa vergleichen lässt. Waren Mitte der 90er Jahre auf dem Kontinent südlich der Sahara noch gerade mal 600.000 Mobilfunktelefone in Gebrauch – die meisten davon am Kap der Guten Hoffnung –, so sind hier heute mehr als 850 Millionen Handys im Umlauf. Das atemberaubende Wachstum des afrikanischen Mobilfunksektors von derzeit mehr als 21 Prozent pro Jahr wird weiter gehen, kündigen Experten an. In sieben Jahren soll die Branche bereits eine Viertel Billion Dollar ausmachen.

Nur Mumien wie Simbabwes fast 90-jähriger Präsident Robert Mugabe versuchen noch, auf digitale Netzwerke zu verzichten. Andere, wie der technologiebegeisterte ruandische Staatschef Paul Kagame, tippen mehrmals täglich ihre Botschaften ins Handy. Autokratisch regierte Staaten wie Äthiopien oder Eritrea, die soziale Netzwerke streng reglementieren und zensieren, müssen dafür einen Preis bezahlen: Sie müssen dadurch wirtschaftliche Einbußen verkraften. Dagegen wurde in Paris jüngst das nigerianische Online-Kaufhaus Jumia als weltweit bester Neustart eines Einzelhandels-Unternehmens gewürdigt. Die knapp ein Jahr alte Firma wird bereits täglich 100.000 Mal von Kunden angeklickt.

War es vor zwanzig Jahren noch völlig unmöglich, selbst in afrikanischen Hauptstädten jemanden übers Festnetz anzurufen, so werden heute in entlegenen Buschkliniken komplizierte Operationen mit telemedizinischer Hilfe aus der Ersten Welt vollbracht. „Die Informationstechnologie hat die Kraft, das Leben in Afrika so radikal zu verändern, wie die Dampfmaschine das 19. Jahrhundert in Europa“, schlussfolgert Bitange Ndemo, ehemaliger Direktor im kenianischen Kommunikationsministerium.

Afrika hat technologisch gleich mehrere Jahrhunderte übersprungen: Ohne jemals die Ära der teuren, auf Kupferkabel gestützten Telefonkommunikation durchschritten zu haben, wurde der Kontinent vom Mittelalter direkt in die kabellose Postmoderne katapultiert. Der Zeitsprung wurde durch die im Westen entwickelte Technologie vollbracht – doch das ist auch alles an Hilfestellung in diesem Sektor. In die sagenhafte Multiplikation des Mobilfunks wurde kein einziger Dollar an Entwicklungshilfe gesteckt: Die afrikanische IT-Revolution entwickelte sich allein aus dem Privatsektor heraus. Auf dem Kontinent standen Mobilfunk-Konzerne auf, die Mitbewerber aus Europa oder den USA vor Neid erblassen lassen.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Frankfurter Rundschau“, FR-online.de

Schlagwörter: Kenia, Handy, Soziale Netzwerke, Digitale Medien, Twitter, Google, Terrorangriff, Westgate, Cyberspace, Informationstechnologie, Entwicklung, Daten, Mobilfunk, Mobilfunkkonzerne, Wirtschaft, Telekommunikation, Industrielle Revolution, Postmoderne, Smartphones