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Afghanistan: Die Generalin muss zu Hause bleiben

Meldung vom 05.11.2013

Khatul Mohammedzai hat es weit gebracht, sie bekleidet als einzige Frau in Afghanistan das Amt einer Generalin in der Armee. Nicht nur für die radikalislamischen Taliban ist sie ein rotes Tuch. Auch eigene Kollegen im Militär haben ihr mit Morddrohungen zugesetzt.

In Gummistiefeln postiert Khatul Mohammedzai auf dem Dach ihres Hauses am Stadtrand von Kabul. Der Blick ins Tal kann von dort aus über die gesamte Hauptstadt schweifen. Das Grab des letzten afghanischen Königs Zahir Schah ist in der Entfernung auszumachen, auch der streng abgeschirmte Amtssitz von Präsident Hamid Karzai und das Hauptquartier der von der NATO kommandierten internationalen Sicherheitskräfte sind zu erkennen.

Auch das Verteidigungsministerium fällt einem ins Auge, ein in den 80er-Jahren entstandenes Gebäude, der Arbeitsplatz von Khatul Mohammedzai. „Ich bin heute nicht zum Dienst gegangen“, verkündet die robuste Frau, „ich muss mich um ein neues Dach für mein Haus kümmern.“

Doch jetzt kümmert sie sich um ihren Besuch, zieht die Gummistiefel aus und kramt im Wohnzimmer ihr postergroßes Lieblingsfoto hervor. Darauf ist sie in einer braunen Uniform der Streitkräfte zu sehen. Auf der Jacke prangen zahlreiche Auszeichnungen. „Damals durfte ich vor den Augen von Staatspräsident Karzai mit dem Fallschirm abspringen“, berichtet die Paschtunin, die schon vor 30 Jahren – also in der Zeit der sowjetischen Besatzung – in die Armee eintrat und im Laufe der Jahre mehr als 500 Sprünge hinter sich brachte.

Die beherzte Brigadegeneralin könnte mehr als stolz sein auf das, was ihr als Frau in der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans gelungen ist. Doch als sie ihr Foto zusammenrollt, bricht sie in Tränen aus. „In Wahrheit bin ich nicht wegen des neuen Dachs nicht zur Arbeit gegangen“, gibt sie zu, „sondern wegen Morddrohungen in meinem eigenen Ministerium.“

Dass die radikalislamischen Talibanmilizen sie bedrängen, das gehört für sie längst zum Alltag. Ganz die gehorsame Offizierin, hat sie auch ohne eine Klage akzeptiert, dass sie in eine kaum ernst zu nehmende Abteilung für Soldatenunterricht abgestellt wurde, obwohl sie mit ihrer kompletten Kampfausbildung für ganz andere Positionen bestimmt wäre. Aber dass nun die eigenen Kollegen sie schikanieren – das bringt sie außer Fassung.

Tatsächlich hätten die Militärs am Hindukusch andere Prioritäten, als eine Kollegin zu drangsalieren. Gut ein Jahr vor dem angekündigten Abzug der westlichen Kampftruppen aus Afghanistan sind die einheimischen Sicherheitskräfte in einem miserablen Zustand. Pro Jahr büßt die Armee ein Drittel ihrer Soldaten ein, viele davon werden zu Deserteuren. Zudem kann niemand verhindern, dass die Taliban immer wieder zahlreiche eigene Leute in die Armee einschleusen. Mit ihren Insiderattacken höhlen sie die Moral der Truppe aus.

Die Verluste im Kampf gegen die Taliban sind in diesem Jahr so sehr in die Höhe geschnellt, dass keine offiziellen Zahlen mehr herausgegeben werden. Das liegt nicht nur an den gezielten Angriffen der Milizen. Weil die NATO bereits einen Teil ihrer Sanitätsinfrastruktur wieder nach Hause transferiert hat, sterben auch viele afghanische Soldaten, die vor ein paar Monaten noch gerettet worden wären, an ihren Verletzungen.

Doch es bleibt den Militärs anscheinend noch genügend Energie, gegen eine Frau vorzugehen. „Es ist heute nicht mehr so wie zu Anfang der Karzai-Zeit“, meint Khatul nüchtern. Vor zwölf Jahren, kurz nach dem Ende der Taliban-Herrschaft, nahm Afghanistan eine Öffnung in alle Richtungen vor. Inzwischen aber stellen sich erzkonservative Offiziere im Militär quer, die sich ökonomisch von der Nähe zum westlichen Militär ihren Vorteil versprechen, sich ideologisch aber kaum von den Taliban unterscheiden.

Ein weiteres Problem führt Khatul an. Ob in der Armee oder im Staatssicherheitsdienst NDS – die entscheidenden Posten im Sicherheitsapparat werden noch immer von Funktionären aus dem Pandschirtal im Nordosten Afghanistans besetzt. Diese ehemaligen Gefolgsleute des 2001 ermordeten charismatischen Kriegsfürsten Ahmed Schah Massud zählen zu den fanatischsten Gegnern eines Friedensabkommens mit den von Paschtunen bevölkerten Talibanmilizen. Kurz vor dem endgültigen Abzug westlicher Kampftruppen versuchen die Pandschiris, künftige Risikofaktoren zunichte zu machen. Und ein solcher potenzieller Risikofaktor stellt auch die Paschtunin Khatul Mohammedzai dar.

„Kennen sie ein Land, das mich aufnehmen würde?“, fragt die Brigadegeneralin Khatul Mohammedzai zum Abschied. Dann winkt sie ab, verbirgt ihr Haar unter dem schwarzen Kopftuch und zuckt mit den Schultern. „Es hat ohnehin keinen Sinn“, meint sie. „Von den ausländischen Militärs hier in Kabul will auch niemand mehr etwas von mir wissen.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Berliner Zeitung“, berliner-zeitung.de

Schlagwörter: Afghanistan, Abzug, NATO, ISAF, Frauen, Militär, Generalin, Paschtunen, Taliban, Morddrohungen, Khatul Mohammedzai, Armee