Äthiopien: Ein Land entwickelt sich zum Überwachungsstaat

Meldung vom 27.03.2014

Äthiopien entwickelt sich immer mehr zum Überwachungsstaat. Die Regierung investiert in ausländische Technologie, um Telefon und Internet oppositioneller Aktivisten und Journalisten im In- und Ausland auszuspionieren, erklärt Human Rights Watch in einem Bericht.

In dem 100-seitigen Bericht „They Know Everything We Do: Telecom and Internet Surveillance in Ethiopia“ („Sie wissen alles, was wir tun: Telefon- und Internet-Überwachung in Äthiopien“) wird detailliert aufgelistet, welche Technologie Äthiopiens Regierung in mehreren Ländern gekauft hat. Das Land verwendet die Technologie, um die Überwachung vermeintlicher Oppositionspolitiker im eigenen Land und im Ausland auszuweiten. Mit ihren Überwachungspraktiken verletzt die Regierung das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und Informationsfreiheit. Durch den staatlichen Telekommunikationskonzern Ethio Telecom beherrscht die Regierung sämtliche Mobilfunk- und Internet-Dienstleistungen des Landes, was die Basis für eine missbräuchliche Überwachung bietet.

„Äthiopiens Regierung nutzt ihre Kontrolle über das Telekommunikationssystem dazu, abweichende Stimmen mundtot zu machen“, kritisiert Arvind Ganesan, Direktor der Abteilung Wirtschaft und Menschenrechte von Human Rights Watch. „Die ausländischen Firmen, deren Produkte und Dienstleistungen Äthiopiens illegale Überwachsaktivitäten erleichtern, laufen Gefahr, sich zu Komplizen bei Menschenrechtsverstößen zu machen.“

Für den Bericht wurden zwischen September 2012 und Februar 2014 in Äthiopien und zehn weiteren Ländern über 100 Überwachungsopfer und ehemalige Nachrichtendienst-mitarbeiter interviewt. Weil der Staat die Alleinherrschaft über das gesamte Telekommunikationssystem hat, haben Äthiopiens Nachrichtendienste praktisch unbegrenzten Zugang zu den Anrufdaten aller Telefonnutzer des Landes. Ohne den Rechtsweg zu berücksichtigen oder sich verantworten zu müssen, hören die Dienste regelmäßig und problemlos Telefonate ab.

Die Aufzeichnungen von Telefonaten mit Familienangehörigen und Freunden – speziell solcher mit ausländischen Telefonnummern – werden häufig als Druckmittel bei entwürdigenden Befragungen verwendet. Willkürlich Verhaftete werden dort beschuldigt, sich für verbotene Organisationen zu engagieren. Während friedlicher Proteste wurden Mobilfunknetze gesperrt, die Standorte von Demonstranten wurden mithilfe von Informationen aus ihren Mobiltelefonen ausgemacht.

„Sie haben mich verhaftet und mir alles gezeigt“, bezeugte ein ehemaliges Oppositionsmitglied gegenüber Human Rights Watch. „Sie hatten eine Liste mit all meinen Telefonaten, und sie spielten mir ein Gespräch vor, das ich mit meinem Bruder geführt hatte. Sie haben mich verhaftet, weil wir am Telefon über Politik gesprochen hatten. Es war mein allererstes Telefon und ich dachte, ich könnte endlich frei reden.“

Viele Äthiopier leben unter dem Eindruck, dass die Regierung alles überwacht. Das verschlimmert das Ausmaß der tatsächlichen Kontrolle und bewirkt, dass die Bürger sich in hohem Maße selbst zensieren. Viele wagen es nicht mehr, in Telekommunikationsnetzen offen zu reden. Selbstzensur gehört vor allem in den ländlichen Gebieten des Lands zum Alltag, weil dort die Netzabdeckung und der Zugang zum Internet sehr stark reglementiert sind. Wichtigste Instrumente der Regierung sind ein umfassendes Informantennetzwerk und gegenseitige Bespitzelung.

„Äthiopiens Telekommunikationssystem wächst. Deshalb muss dringend Rechtsschutz gewährleistet sein und Mitarbeiter von Nachrichtendiensten dürfen nicht uneingeschränkt Zugriff auf die Privatkommunikation der Bürger haben“, meint Ganesan. „Bei der Einführung von Internet- und Mobilfunktechnologien sollte die Demokratie gefördert werden, es sollte die Verbreitung von Ideen und Meinungen und der Zugang zu Informationen erleichtert werden. Es darf jedoch nicht passieren, dass dadurch die Rechte der Menschen beschnitten werden.“


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Human Rights Watch“, hrw.org