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Mexiko: Mit der Sprühdose als Waffe – Graffiti-Künstler in Juárez

Meldung vom 06.06.2014

In der Stadt herrschen Misstrauen, Furcht und Ausweglosigkeit: Juárez in Mexiko machte sich lange Zeit als gefährlichste Stadt der Welt eine Namen. Die Künstlergruppe Jellyfish will das Image ihrer Heimat verändern und übermalt die täglichen Horrorszenarien mit bunten Wandgemälden.

Wenn sie zugeben, dass sie aus Ciudad Juárez kommen, wird ihnen nur furchtsames Staunen entgegen gebracht. Das geht der Clique von Leonel „Pilo“ gewaltig auf die Nerven. Viele stufen die mexikanische Grenzstadt als Todeszone ein. Tatsächlich war sie lange vor allem durch negative Rankings in den Schlagzeilen: höchste Mordrate der Welt, man nannte sie die Stadt der Frauenmorde, dazu griffen viel Korruption bei Polizei und Politik um sich.

Aber Gewalt ereigne sich in ganz Mexiko, nicht nur in Juárez, meint der 26-jährige Pilo. Er und seine Clique wollen, dass die Stadt in einem anderen Licht erscheint und Menschen mit Fantasie und Farbe erheitern. Mit seiner Freundin Atenas hat er Jellyfish ins Leben gerufen, eine inzwischen fünfköpfige Kreativtruppe, die Kunstprojekte und Ausstellungen durchführt – und Juárez in bunte Farben hüllt.

Die Spuren der Gewalt haben sich in die urbanen Fassaden geritzt: leer stehende Häuser in vielen Vierteln, wilde Freiflächen in der Stadt, ganze Straßen voller verwaister Geschäfte und Restaurants. Viele Bars und Klubs mussten ihren Betrieb einstellen, als die Bewohner sich in ihre Privaträume flüchteten, weil der Krieg zwischen rivalisierenden Kartellen, Gangs, Polizei und Militär zunahm.

Ciudad Juárez kann man als eine Stadt voller Narben bezeichnen – doch sie wird nun zur Leinwand der fünf sympathischen Künstler vom Jellyfish Colectivo. Sie haben Spitznamen wie Comicfiguren und sehen mit ihren bunten Kleidungsstücken wie moderne Hippies aus.

Pilo, Francisco „Pika“, Alfredo Chávez Flores, Alfonso „Poncho“ de la Cruz, Ricardo „Kukui“, Herrera Gonzalez und Atenas Campbell de la Cruz bummeln über einen versteckten Platz im Zentrum: Früher wurden hier Partys veranstaltet, heute sind alle Bars rundherum zu. Auf einem Haus prangt ein riesiger, pinkfarbener Fuchs, die Pop-Art-Interpretation eines Fabelwesens des spanischen Schriftstellers Cervantes.

Die Werke der Clique kann man schon von Weitem sehen. Auf Mauern, Häuserwänden, Garagentoren und Plätzen springen fantasievolle Farbexplosionen ins Auge: surreale Kreaturen, bunte Vögel oder Figuren, die von Mexikos prähispanischer Geschichte beeinflusst sind. Politische Botschaften in Bezug auf Krieg und Mafia, Macht und Märkte unterlassen sie.

„Wir finden es sinnlos, die tägliche Gewalt zu kommentieren“, meint Pika, ein kleiner, sanfter Mexikaner. Morde, Verbrechen, Korruption würden sowieso schon die Schlagzeilen über Ciudad Juárez bestimmen. Er findet, dass Künstler, die nach Juárez kommen, nur die Oberfläche der Stadt sehen und nicht tiefer graben: „Manche setzen sich ein paar Monate ins Hotel, tippen dort im Internet herum, und nutzen dann das Schlimmste von Juárez für ihre Werke.“

Das Jellyfish-Kollektiv hat sich behauptet. In dem Haus, in dem Kukui mit seiner Mutter wohnt, werden ihre Kunstwerke gehortet. Dort stehen auch Kisten voller Sprühdosen, die Wände sind bedeckt mit besprühten Schallplatten, Masken und ein grün besprenkeltes Plastik-Sturmgewehr hängt dort. Alles ist voller Farbkleckse. In einem großen Fabrikgebäude haben sie sich ein Büro gemietet, das auch einem Berliner Jungunternehmen würdig wäre: ein schmaler Raum, zwei Tischreihen mit Flachbildschirmen, auf der die Truppe gerade Szenen eines Animationsfilms bearbeitet.

Inzwischen hat sich die Gewalt in Juárez etwas beruhigt, wohl weil es ein Bündnis zwischen den Kartellen gab. „Früher haben wir ständig Schießereien gehört und es gab 20 oder 25 Morde am Tag, jetzt sind es vielleicht fünf oder sechs“, weiß Kukui, mit 39 Jahren der Älteste der Gruppe. Mexikanische Städte wie Acapulco, Torreón oder Nuevo Laredo verzeichnen heute eine höhere Mordrate pro Einwohner.

Dass die Stadt sich jemals in einen friedlichen Ort verwandeln könnte, bezweifelt Kukui – die Gewalt werde weitergehen, weil die Grenze zu den USA so nahe sei und Juárez damit das Drehkreuz für Drogen sei. Und die „kollektive Paranoia“, wie die Jellyfish-Truppe es nennt, lässt sich nicht so leicht abstreifen. Viele hegen tiefes Misstrauen gegen jeden, auch den Nachbarn. Fast jeder hat Opfer im Drogenkrieg zu beklagen. Eine ganze Generation wachse als Waisen heran.

Die Jellyfish-Gruppe bietet deswegen Street-Art-Workshops an Schulen und in den Slums an. Sie bemalen mit den Jugendlichen Fassaden leer stehender Häuser und Turnschuhe, unterrichten sie im Siebdruck und in Graffiti-Techniken. „Streetart kann ihnen zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, sich zu entwickeln“, meint Atenas, 26. Sie glaubt, dass die Jugendlichen einen großen Mangel an Vorbildern, Inspiration und Freizeitangeboten haben. Als Teenager hat sie am Nachtleben der Grenzstadt teilgenommen – heute erlaubten Eltern ihren Kinder nicht, das Haus zu verlassen.

Wenn die Künstler von Jellyfish ihre Wandbilder schaffen, versammeln sich jedes Mal neugierige Passanten, Nachbarn und sogar Polizisten davor. Sie lassen sich die Bilder erklären, manche bringen sogar Essen. Die Jellyfish-Truppe ist guter Dinge, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen zueinander fassen. „Wir werden aber erst in 10 oder 15 Jahren sehen, ob wir es wirklich schaffen, etwas zu verändern“, meint Kukui. Dann ist die Generation, die von dem Drogenkrieg stark beeinträchtigt wurde, erwachsen.

In Juárez unterhält Gebende Hände ein Waisenheim, in dem sich rund 100 Kinder befinden. Es ist eine Oase des Friedens inmitten der Gewalt.


Weiterführende Informationen

 Mexiko: Wie hilft Gebende Hände?




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Mexiko, Künstler, Ciudad Juárez, Juárez, Graffitti, Sprühdose, Drogenkrieg, Drogenmafia, Korruption, Wandgemälde, Kunstprojekte, Ausstellungen, Schulen, Jugendliche, Grenze, USA, Drehkreuz, Drogen, Drogenschmuggel, Jellyfish