Indien: Die verschwundenen Bücher

Meldung vom 01.08.2014

Kaum an der Macht, greift die Partei von Narendra Modi durch. Diesmal hat er Bücher im Visier. Die Tugendwächter der indischen Hindunationalisten bedrängen Schriftsteller und Verlage. Seit Narendra Modi Premier wurde, haben sie begonnen, den indischen Lesern ihre eigene Weltsicht aufzudrängen.

Mal äußert ein indischer Verlag Sorge um das Wohl von Mitarbeitern angesichts anonymer Drohungen. Dann wird Angst vor Gewalt als Grund genannt oder das Wohlergehen von Autoren vorangestellt. Seit im Mai Narendra Modi von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) zum indischen Premierminister erhoben wurde, nehmen Verlage des Landes aus Furcht vor Ärger zunehmend Bücher aus ihrem Programm. „Sie fallen um wie Kegel“, kritisiert Urvachi Butali vom Verlag Zubann Books, „Dina Nath Batra braucht nur ,Buh’ zu sagen.“

Batra, ein 84-jähriger Lehrer, ist Vorsteher einer Gruppe, die seit Ende der 1990er Jahre im Auftrag des hindunationalistischen „Reichsfreiwilligenkorps“ und der Regierungspartei BJP Indiens Bücher nach Verstößen gegen deren Ideologie durchleuchtet. Dabei wendet sie unschöne Mittel an, um ihre Weltsicht durchzusetzen. Über Schikanen, Drohung und Einschüchterungen ist alles dabei.

Ausgerechnet der deutsche Bertelsmann-Konzern ordnete sich bereits im Frühjahr 2014 dem greisen hindunationalistischen Fanatiker Batra unter. Der indische Penguin-Verlag verbannte nach seiner Übernahme durch den Gütersloher Konzern das Werk „The Hindus: An Alternative History“ von Wendy Doniger aus dem Programm und vernichtete die verbleibenden Exemplare im Reißwolf.

Die Batra-Brigade hatte schon Jahre früher gegen das Buch der US-Autorin Doniger vor Gericht geklagt. Ihre Beschuldigung lautete Verunglimpfung des Hinduismus, weil Doniger wissenschaftlich korrekt ein Zitat anführte, wonach eine Hindu-Gottheit im Land der Heiligen Kühe Rindfleisch gegessen hatte.

„Die Entscheidung hatte wahrscheinlich mehr mit der Fusion von Bertelsmann und Penguin und der Notwendigkeit zu tun, juristische Probleme aus dem Weg zu räumen“, meint Verlegerin Urvachi Butali in der Tageszeitung Indian Express. „Aber es wurde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Wenn ein Verlag von der Größe wie Penguin kapituliert, wie sollen sich dann kleinere, unabhängige Verlage wehren.“

Beim Buch der US-Autorin Doniger musste die Batra-Brigade, wie die Truppe des greisen Hindu-Tugendwächters bei Schriftstellern und Intellektuellen genannt wird, noch das Gericht einschalten. Inzwischen reichen Drohungen. Die indische Sozialwissenschaftlerin Megha Kumar musste hinnehmen, dass ihr Verlag Orient Black Swan ihre wissenschaftliche Untersuchung über Gewalt in Indien vom Buchmarkt abzog. Das Werk behandelt unter anderem das Pogrom an rund 2.000 Muslimen im Jahr 2002.

„Rechtsgerichtete Hindu-Gruppen verlangen bislang nicht einmal eine Revision meiner wissenschaftlichen Untersuchung“, bemängelte die Sozialwissenschaftlerin. „Der Verlag Orient Black Swan scheint vielmehr freiwillig die politische Manipulation von seriöser wissenschaftlicher Arbeit erlauben zu wollen.“ Tatsächlich hatte die Batra-Brigade nur ein seit zehn Jahren benutztes Schulbuch des Verlags aus dem Verkehr gezogen.

Schon während der ersten Regierungsperiode der indischen Hindunationalisten unter Atal Bihari Vajpayee von 1998 bis 2004 bemühten sich die Organisationen der Bewegung Geschichts- und Schulbücher in ihrem Sinne umzuschreiben. Seit Modis Wahlsieg setzt die Batra-Brigade alles daran, indischen Kindern die hindunationalistische Sicht der Welt einzutrichtern. In den 42.000 Schulen des BJP-regierten Bundesstaats Gujarat werden neun Bücher des greisen Batra nun als Pflichtlektüre gehandhabt.

Unter anderem steht in diesen Schulbüchern, an Geburtstagen die Kerzen nicht auszublasen, das sei “unindisch“. Indiens Landkarte müsse Afghanistan, Pakistan, Sri Lanka, Nepal und Bangladesch umfassen. Die Erfindung des Fernsehers sei indischen Versen zu verdanken, die Stammzellenbehandlung sei indischen Lesern seit mehreren tausend Jahren bekannt. Batra betonte, er habe Indiens Erziehungsministerin Smitri Irani auf seine Seite bebracht, so dass seine Thesen landesweit zur Pflichtlektüre erkoren wurden.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Badische Zeitung“, badische-zeitung.de