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Mexiko: Eine verlorene Generation tanzt um ihr Leben

Meldung vom 08.08.2014

In Mexiko hat der Drogenkrieg eine ganze Generation traumatisiert. In der Drogenhauptstadt Ciudad Juárez hat der Drogenkrieg Tausende von Kindern und Jugendlichen als Waisen zurückgelassen. Ein Tanzprojekt soll ihnen emotionale Hilfestellung und Orientierung geben.

Der Kampf um Ciudad Juárez wird auch hier ausgetragen: In einem kahlen Raum, in dem ein junger Mann in einer Ecke auf einem Keyboard spielt. Vorne haben sich zwei Lehrer positioniert, die tanzen, zwei Dutzend Kinder schauen ihnen gespannt zu und versuchen, ihre Bewegungen nachzumachen. Sie sind konzentriert bei der Sache. Nur ein Junge fällt aus der Reihe, er stellt sich mit einem imaginären Maschinengewehr auf und schießt – „Pam, pam, pam“ – einen unsichtbaren Gegner nieder.

„Felipe Angeles“ zählt zu den ärmeren Siedlungen von Ciudad Juárez, von Staub bedeckte Ziegelhäuschen, im Hintergrund erkennt man die endlose Wüste. Hier sind die sogenannten Problemkinder beheimatet. Es sind Kinder, die sonst Anstoß erregen, weil sie aggressiv sind, schlecht in der Schule und kaum Konzentration aufbringen können. In Juárez wächst die Nachkommenschaft des Drogenkriegs heran, eine Generation, die brutaler Gewalt ausgesetzt war, vor allem Kinder, die aus den Armenvierteln stammen. Werden sie dem Beispiel ihrer Eltern folgen oder mit der Gewalt brechen? Das entscheidet sich vielleicht im Tanzstudio.

Die 1,3-Millionen-Einwohnerstadt direkt an der Grenze zu Texas gehört zu den wichtigsten Schneisen für den Drogentransport in die USA. Als das Sinaloa-Kartell dem lokalen Juárez-Kartell den Marktplatz abringen wollte, begann ein unübersichtlicher Krieg, in dem die Söldner der Kartelle, korrupte Polizisten und Soldaten sich in wechselnden Allianzen bekämpften. Dazu verwickeln sich die 900 Straßengangs von Juárez in Gefechte um die Macht, in manchen Vierteln vernichten sie sich gegenseitig: In Siedlungen wie „Los Tiburones“ wurden fast alle Jugendlichen ermordet, darunter auch viele, die bei keiner Gang Mitglied waren. Mehr als 11.000 Menschen sind zwischen 2007 und 2013 getötet worden.

„Die Stadt zerfiel in Stücke, wir waren in einer Schockstarre, und hatten alle Angst“, bezeugt Daniel Miranda. Der Schauspieler ist vom Charakter her ein gutmütiger, sanfter Typ, der sagt, er habe sich in den letzten Jahren antrainiert, draußen auf der Straße „ein Gesicht wie ein wütender Hund“ zu machen – damit alle einen Bogen um ihn machen, keiner ihn für ein leichtes Opfer hält.

Miranda war auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Kreislauf der Gewalt. Dabei stieß er auf ein Tanzkonzept aus New York, das er für Juárez anpasste. Der 34-Jährige arbeitet heute als Leiter von ConArte Juárez, einer Organisation, die Musikunterricht in Gemeindezentren in ärmeren Siedlungen von Juárez gibt – dazu Schulungen in Tanz, Chor, Instrumenten wie Gitarre, Percussion oder Saxophon.

Die 250 Armenviertel, aus denen etwa die Hälfte von Juárez besteht, werden besonders von Gewalt überzogen. Hier bekriegen sich Gangs um die lokalen Drogenverkaufsrechte, hier werden die meisten Morde begangen. Die Siedlungen befinden sich teils mitten in der Wüste, vom Stadtzentrum weit entfernt. Kinder und Jugendliche sehen häufig kaum einen anderen Ausweg, als selbst in den Drogenhandel einzusteigen. Sie sind nicht mehr als Carne de cañón, Kanonenfutter, die im Drogenkrieg geopfert werden, für ein paar Pesos angeheuert, um Drogen zu schmuggeln und zu verkaufen, kleine Handlangerjobs zu erledigen oder sogar als Killer für ein paar Dollars zu fungieren.

Die Mordrate in Juaréz war lange die höchste der Welt, inzwischen ist sie gefallen, wohl weil die Kartelle für eine gewisse Zeit Einigungen erzielt haben, aber sie ist immer noch hoch. Und die Wunden sind nicht verheilt: Im Bundesstaat Chihuahua, in dem Juárez liegt, hat der Drogenkrieg die Eltern von rund 20.000 Kindern und Jugendlichen geraubt, viele davon in Júarez.

Von den derzeit 1.000 Kindern, die in die ConArte-Angebote eingebunden sind, leben viele bei ihren Großeltern, Geschwistern oder Verwandten. „Etwa 30 bis 40 Prozent unserer Kinder sind in der Situation, dass sie Vater oder Mutter verloren haben“, bezeugt Daniel Miranda.

Tanz und Musik können in einer solchen Situation ein großer Rettungsanker sein, bei Kindern ein Talent zu Tage bringen, das ihnen neue Möglichkeiten eröffnen kann, neue Perspektiven schenkt. „Es geht um die soziale Entwicklung“, meint Miranda. „Die Kinder lernen für ihr Leben, ohne es zu merken, den Wert von Stille, Respekt, Kommunikation, motorische Fähigkeiten. Manche kommen mit Tanzen und Musik spielerisch über ihre Lernschwierigkeiten oder ihr Stottern hinweg.

„Es ist superlustig“, begeistert sich die zehnjährige Diana, die seit ein paar Wochen Tanzstunden nimmt. „Sie zeigen uns die Schritte, aber wir können uns auch eigenes ausdenken.“ Das temperamentvolle Mädchen lässt beim Tanzen alle ihre Gefühle heraus. Weil kein Kind draußen spielen darf, geht sie an den anderen Tagen nach der Schule direkt nach Hause, macht den Computer an und chattet stundenlang auf Facebook. Mit ihren Freunden tauscht sie sich vor allem digital aus. Dianas Eltern gehen frühmorgens zur Arbeit und kehren erst spät in der Nacht zurück.

„Du brauchst einen sicheren Ort, sonst können sie dich ausrauben“, betont Diana, die manchmal wie eine Erwachsene redet und Überfälle, Frauenmorde und Taten von bösen Männern schildert, die jetzt angeblich alle im Gefängnis sitzen. „Wenn wir draußen auf der Straße sind, dann nur in Begleitung von Erwachsenen“, versichert ihre Freundin Maria.

In Siedlungen wie „Frida Kahlo“ seien die Kinder Freiwild, sobald sie vom Gemeindezentrum aufbrechen, weiß ihre Tanzlehrerin Mariana Yvonne Urena Martinez. Dealer verunsichern nachmittags die Gegend vor dem Zentrum, verschenken Drogen an die Kinder, fragen sie aus, verfolgen sie bis nach Hause, um sie zu überfallen – ein Mädchen ging viele Umwege, um die Verfolger abzuwimmeln.

Die verschiedenen Gesichter der Kinder seien oft „radikal“, beobachtet Martinez. Manchmal trifft sie auf der Straße Tanzschüler, die dort wie Machos auftrumpfen, herumprotzen und übelste Reden schwingen. Beim Tanzen aber wandeln sie sich zu „Engelchen“, meint die 23-Jährige. Sie ist dennoch überzeugt, dass Tanz den Kindern auch langfristig hilft: „Selbst wenn du später Rezeptionist in einem Hotel wirst, hast du durch Tanzen eine bessere Haltung, du kannst dich besser ausdrücken, es steigert das Selbstvertrauen.“

Problematisch ist immer wieder die Finanzierung des Projekts. „Die Mittel reichen nicht aus, es gibt zu wenige Präventionsangebote“, kritisiert auch Daniel Miranda. „Die Polizei absorbiert das Budget für die Prävention.“ Auch ConArte Juárez bewegt sich immer wieder am Rande des Existenzminimums. Dabei liegt die Zukunft von Juárez maßgeblich in den Händen der jungen Generation – die Jugendlichen könnten Teil des Problems oder der Lösung sein.

Gebende Hände unterstützt in Juaréz ein Waisenheim mit Schule. Unter anderem gibt es dort auch eine Ballettschule, die den Kindern seelisch sehr hilft: Durch Tanzen können Wunden heilen, die Kinder können Gefühle ausdrücken und sie bekommen Selbstbewusstsein.



Weiterführende Informationen

 Mexiko: Wie hilft Gebende Hände?




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Zeit Online“, zeit.de

Schlagwörter: Mexiko, Tanz, Musik, Kinder, Jugendliche, Generation, Drogenkrieg, Gewalt, Trauma, Heilung, Tanzprojekt, Waisen, Dealer, Kartelle, Juaréz, Mordrate