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Afghanistan: Dolmetscher mit Asyl in Deutschland – Die Zurückbleibenden sind immer in Gefahr

Meldung vom 25.08.2014

Aliullah und Qyamuddin, die beiden Dolmetscher für die Bundeswehr in Afghanistan, haben Asyl in Deutschland erhalten. Doch zurückgeblieben in Kunduz sind ihre Verwandten. Und die sind jetzt, quasi stellvertretend für die beiden jungen Männer, immer in Gefahr.

Wir starten morgens früh nach Kunduz. Der Weg ist beschwerlich und führt nach oben. In den Tunneln kann man teilweise vor lauter Staub die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Nur die Lichtkegel blenden, die sich durch die Sichtscharten drängen. Der Salang-Pass führt bergauf bis auf 3.900 Meter. Die Landschaft ist unbeschreiblich beeindruckend.

Auf dem letzten Stück nach Kunduz legt der Fahrer an Geschwindigkeit zu, zwei Stunden lang. Denn hier ist Talibanland. Schnell durch ohne aufzufallen, lautet die Devise. Nur nicht anhalten, damit niemand den Wagen inspizieren kann.

Aliullahs Vater hat einen ernsten Gesichtsausdruck. Er heißt die Journalisten in seinem einfachen Haus in Kunduz-Stadt willkommen. Aliullah war Dolmetscher für die Bundeswehr und wurde von den Taliban verfolgt. Seit Februar 2014 ist er in Hamburg untergekommen. „Mein Sweetheart war er“, gibt der Vater zu. „Wenn wir mit ihm per Skype geredet haben, ist es danach ganz hart, so sehr vermissen wir ihn. Aber wir sind auch froh, dass er raus ist.“

Aliullahs Vater wird derzeit erpresst. Ein „Freund“, den man jetzt wohl nicht mehr so nennen kann, hatte ihm „Schwierigkeiten“ angekündigt, sollte er nicht ein wenig Geld herausrücken. Der „Freund“ ist überzeugt, dass Aliullah viel Geld in Deutschland verdient und nach Kunduz sendet. Er glaubt, die Nazarys seien jetzt reich. Aber das stimmt definitiv nicht. Und Geld kann Aliullah auch nicht transferieren. Er absolviert in Hamburg erst einmal einen Deutsch-Kurs, bevor er auf Arbeitsuche gehen kann.

Nicht nur Aliullahs Familie muss den Spannungsbogen zwischen tiefer Traurigkeit einerseits und Erleichterung andererseits aushalten. Der Bruder von Qyamuddin fühlt Ähnliches. Merhabuddin ist inzwischen selbst mit seiner Frau und dem kleinen Sohn nach Kabul gegangen, da es in Kunduz zu gefährlich ist. Er hat mit Aliullah und Qyamuddin in einer Einheit der Bundeswehr in Kunduz gedient. Jetzt hat er auch ein Ausreisevisum beantragt.

Und dann gehört da noch Sadiq dazu, der beste Freund von Qyamuddin und Aliullah. Die drei haben sich auf der Universität von Kunduz angefreundet. Sadiq steht der Tag noch lebendig vor Augen, als Qyamuddin und Aliullah ihr Visum erhielten, die Flugtickets kauften und abflogen. Er hatte sich noch bemüht, sie abzuhalten. „Wir müssen als junge Menschen doch hier etwas aufbauen“, verteidigt er sich. Sadiq ist jeden Tag mit Anzug und Krawatte zur Uni unterwegs. „Nicht gerade der Aufzug, den die Taliban mögen. Aber ich stehe dazu. Sollen sie doch schießen!“

Ein wenig Wut klingt in Sadiqs Stimme mit. Er hat Sehnsucht nach seinen Freunden, ist aber stolz, dass er jetzt als Dozent in Kabul angestellt ist. Dass Aliullah und Qyamuddin woanders und in Sicherheit leben wollen, dafür hat er trotz allem Verständnis.

Auch Taqi, der junge Schriftsteller, kann die Menschen verstehen, die aus Afghanistan abwandern. Vor einem Jahr hatte er noch eine andere Einstellung. Der Abzug der internationalen Truppen, das drohende politische Wirrwarr im Jahr 2014 seien doch nur ein Vorwand, um wieder abzuhauen, kritisierte Taqi auch eigene Bekannte. Im Winter räumte er schon ein: „Ich lerne langsam, sie zu verstehen“.

Jetzt ertappt sich Taqi manchmal selber bei dem Gedanken, Afghanistan zu verlassen. Er wurde arbeitslos, weil die PR-Firma, in der er arbeitete, in Konkurs ging. Mit der afghanischen Wirtschaft geht es bergab, weil die internationalen Einheiten weggehen und sich derzeit keine Investoren für das Land finden. Dass die Spitzenpolitiker sich seit Monaten wegen Wahlfälschungen bekriegen und Afghanistan tatsächlich kurz vor dem politischen Zusammenbruch steht, hat Taqi aufgebracht. „Viele Menschen werden jetzt denken, dass Demokratie immer so aussieht wie derzeit bei uns. Sie werden nicht mehr zur Wahl gehen, aus reiner Enttäuschung. Dabei waren wir so mutig und haben allen Drohungen der Taliban, Wahllokale anzugreifen, getrotzt.“

Auf dem Rückweg schauen wir noch einmal bei Aliullahs Onkel vorbei. Er war ein leitender Beamter der lokalen Agrarbehörde, aber in vielen Dörfern kann er nicht mehr tätig sein, weil ihn die Taliban kennen und sein Leben bedrohen. Er sagt, er habe viele Droh-Anrufe bekommen. Den Job hat er geschmissen. Seitdem verhüllt er sein Gesicht, wenn er nach draußen geht, so wie sein Neffe, kurz, bevor er nach Deutschland geflogen ist. Auch Aliullahs Onkel würde am liebsten nach Deutschland ausreisen. Aber ein Visum liegt für ihn wohl in unerreichbarer Ferne, wenn es schon für Aliullah schwer war, den Ex-Dolmetscher der Bundeswehr.

Kunduz ist kein besonders gemütlicher Ort. Motorräder sind untersagt, weil Taliban darauf in der Stadt immer wieder Attentate verübt haben. Wir machen uns spontan am Freitag Mittag auf die Rückreise. Während der Freitagsgebete, so unsere Strategie, dürften an den Straßen keine Häscher der Taliban warten. Nach zwei Stunden haben wir Talibanland durchquert. Sofort geht ein Aufatmen durchs Auto. Wie anders und schön Afghanistan doch sein kann, wenn man sich wieder in Sicherheit wähnt.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de

Schlagwörter: Afghanistan, Asyl, Dolmetscher, Bundeswehr, Angestellte, Verwandte, Auswandern, Familie, Taliban, Kunduz, Droh-Anrufe, Bedrohung, Visum, Verfolgung, Schikane, Deutschland, Kabul, Sicherheitslage, Abzug, Streit, Wahl, Wahlfälschung