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Indien: Der Ganges soll wieder sauber werden

 
Meldung vom 27.08.2014

Täglich werden in den Ganges 300 Millionen Liter industrieller und menschlicher Abfälle gekippt. Der heilige Fluss der Hindus ist eine Kloake. Nun will der indische Premier eingreifen: Bis zum 150. Geburtstag von Mahatma Gandhi soll die dunkle Brühe des Ganges einen Reinigungsprozess durchlaufen.

Der Sadhu, der Heilige Mann, hat es sich in seinem Zelt bequem gemacht und ermahnt scherzhaft seinen ausländischen Gast. „Du hast hier die Chance deines Lebens“, erklärt der Mann, der sein seit Jahrzehnten ungekämmtes Haar zu einem kleinen Turm auf seinem Kopf gebunden hat. Der lange graue Bart bedeckt seinen recht umfangreichen nackten Bauch, als er dogmatisch und voller Überzeugung fortfährt: „Du kannst hier deine Seele reinigen oder du bist verdammt. Du brauchst nur ein Bad im Ganges zu nehmen, denn der ist rein.“

Bei der letzten „Kumbh Mela“, dem heiligsten Fest der Hindus, tauchten Anfang des vergangenen Jahres in der Stadt Allahabad während der 55-tägigen Feierlichkeiten 100 Millionen Inder in die Fluten des Ganges ein. Um den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt zu durchbrechen, ist ein Bad im Ganges nötig. Die Inder glauben, mit Hilfe des Ganges-Wassers „Moksha“, die Erlösung, zu erlangen.

Für diesen Brauch benötigten die Hindus allerdings großen Glauben, denn sie bringen ihr Leben damit in Gefahr. Tierkadaver schwimmen auf der gelben Oberfläche des Ganges. Tausende von Gerbereien entsorgen ihre giftigen Abwässer ungeklärt in den heiligen Fluss der Hindus. Die Webereien rund um das früher als Benares bekannte Varanasi, eine der ältesten, ohne Pause besiedelten Städte der Zivilisationsgeschichte, verklappen ihre Färbereiabfälle in den Fluss.

Täglich verunreinigen 300 Millionen Liter industrieller und menschlicher Abfälle das Lebenselixier, von dessen Wasser 450 Millionen Menschen abhängig sind. Sie machen aus dem Ganges eine Kloake. Weltweit rangiert der Strom an sechster Stelle aller schmutzigen Flüsse. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass Wissenschaftler während der alle zwölf Jahre stattfindenden „Kumbh Mela“ eine messbare Ausweitung der Verschmutzung melden. „Alles landet im Ganges“, kritsiert der 30-jährige Stanley Benjamin, der als Manager einer Pension aus dem Bundesstaat Kerala in der heiligen Stadt Varanasi landete.

Seit vor knapp 30 Jahren der damalige Premierminister Rajiv Gandhi dem Subkontinent ankündigte, den Ganges zu reinigen, wurden Milliarden von Rupien in den Fluss gesteckt, doch die Verschmutzung wurde noch katastrophaler. Zuletzt sagte die Weltbank eine Milliarde US-Dollar zu, um den Ganges wieder auf Vordermann zu bringen. Der Dreck nahm dennoch zu.

Jetzt hat der im Mai 2014 gewählte Premierminister Narendra Modi den Ganges auf seine Fahnen geschrieben. „Ich fühle, dass Ma Ganga (Mutter Ganges) mich gerufen hat“, betonte der Hindunationalist nach seinem triumphalen Wahlsieg im Mai in Varanasi. „Sie braucht jemand, der sie von ihrem Dreck befreit. Ma Ganga hat mich ausgewählt.“

Spätestens zum 150. Geburtstag des Nationalhelden Mohandas „Mahatma“ Gandhi im Jahr 2019 soll laut dem Plan des Hindunationalisten der Fluss, der von seiner 3.048 Meter hoch gelegenen Gletscher-Quelle im Himalaya bis zu seiner Mündung im Golf von Bengalen 100 Städte passiert, wieder rein sein. In drei Jahren, so gab die Regierung bekannt, soll die „Verjüngung“ von Mutter Ganges deutlich spürbar sein.

Sollte Modi diesen Plan entgegen aller Wahrscheinlichkeit realisieren, brächte ihm das den Ruf des unumstrittenen Nationalhelden ein. Manch einer fasst Modis Vorhaben symbolisch auf: „Er will ein Hindu-Symbol schaffen und symbolisiert mit dem Plan seine Absicht, die Verschmutzung der Kultur zu beseitigen“, meint die Schriftstellerin Nilanjana Roi. Michael Ott, der deutsche Vize-Konsul in der Wirtschaftsmetropole Mumbai, ist begeistert über dieses Anliegen. Gegenüber der indischen Presseagentur PTI führte er den Rhein als positives Beispiel an: „Er war der schmutzigste Fluss Europas und heute kann man sein Wasser trinken. Wir wären gerne Teil der Initiative, den Ganges zu reinigen.“

Die Niederlagen bei den Bemühungen der letzten Jahrzehnte offenbaren, das sich zwar leicht über die Säuberung des Ganges reden lässt. Doch es scheint sehr kompliziert, das Vorhaben in die Tat umzusetzen, schwieriger als ohne Bad im Ganges „Moksha“ zu erlangen. Denn der Fluss bedeutet nicht nur in der Mystik der Hindus sehr viel. Er reflektiert mit seinen braunen, Ekel erregenden Fluten auch die Widersprüche Indiens.

In den Städten des Landes kommt es zu 38 Milliarden Litern Abwasser am Tag. Davon werden aber nur knapp zwölf Milliarden – weniger als ein Drittel – durch Kläranlagen aller Art geschleust. Die durch die Hauptstadt Delhi fließende Yamuna, der größte Nebenfluss des Ganges, ist seit fast zwei Jahrzehnten bekannt als toter Fluss: Ihr Inhalt strömt zwar, Wasser kann man die pechschwarze, übel riechende Brühe aber nicht nennen.

Jedem ist dieses Problem bewusst. „Alle reden und niemand tut etwas“, beschwert sich der 55-jährige Tapan Das, der in Varanasi groß wurde. Der Wille zum Durchgreifen fehlt in der Bevölkerung und bei den Behörden. Entlang der kilometerlangen Gaths, der Steintreppen am Ufer, wurde bis heute nicht mal ein Schild aufgestellt, das das Werfen von Abfällen in den Ganges verbietet.

„Ich schäme mich immer, wenn Touristen den Sonnenaufgang vom Fluss aus sehen“, empört sich eine Reiseführerin in Varanasi. Denn sie erblicken nicht nur die Umrisse der heiligsten Hindu-Stadt, sondern auch Hunderte von nackten Hintern. In der verwinkelten und überfüllten Millionenstadt Varanasi mit ihren herunter gekommenen Gassen und den vielen Straßenrestaurants neben offenen Kloaken gibt es einfach keine Toiletten.

Fachleute gehen davon aus, dass nur zehn Prozent der Verschmutzung des Ganges von den Menschen herrührt. Den Rest steuert die Industrie hinzu, die dank lascher Gesetze und korrupter Beamten durch niemanden gestoppt wird. Eine Regierung, die Wachstum über Abfallbeseitigung setzt, drückt beide Augen zu.

Die Stadt Varanasi dokumentiert dennoch, welche Hindernisse Modi bei seiner geplanten „Verjüngung“ des Ganges erwarten könnten. Tag für Tag transportieren Träger mit roten und goldenen Tüchern bedeckte Tote zum Manikarnika Ghat, wo jährlich 35.000 Leichen verbrannt werden. Wenn die Angehörigen zu wenig Geld haben, um genügend Brennholz zu kaufen, werden die Toten schon mal halb verbrannt in den Ganges gekippt. Sadhus, verstorbene Schwangere, Kinder bis zu fünf Jahren sowie Opfer von Schlangenbissen und Verstorbene mit Lepra werden nicht eingeäschert, sondern mit Steinen beschwert in den Fluss versenkt.

„Nach 24 Stunden treiben die Leichen an die Oberfläche“,
weiß der Bootsmann Nishad, der indische und ausländische Besucher der Stadt in einem Holzboot über den Ganges schippert, „aber die Stadtverwaltung kümmert sich nicht darum. Wir Bootsleute müssen sie vom Ufer wegstoßen, damit der Ganges sie mitnimmt.“ Vishwambhar Nath Mishra hat die Reinigung des Ganges als seine Berufung gewählt. Er führt die Sankat-Mochan-Stiftung in Varanasi, deren Motto denkbar einfach lautet: „Kein Tropfen Abwasser in den Ganges.“

Doch statt Erfolgsbilanzen breitet er ein Blatt Papier mit Zahlen auf dem Tisch aus. Danach lassen sich im Ganges auf 100 Milliliter 1,5 Millionen fäkale Kolibakterien nachweisen. Wasser mit weniger als 500 fäkaler Kolibakterien wird als sicher eingestuft. „Ich weiß, wie schmutzig der Ganges ist“, meint Mishra, „trotzdem nehme ich jeden Morgen ein Bad im Ganges.“


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Gerbereien und der Fluss Ganges (In Englisch)




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Frankfurter Rundschau“, FR-online.de

Schlagwörter: Indien, Ganges, Narendra Modi, Fluss, Verschmutzung, Umwelt, Reinigung, Abwässer, Verklappung, Industrie, Leichen, Kolibakterien, Tote, Wasser, Hindus, Neu Delhi, Varanasi, Toiletten, Hygiene, sanitäre Anlagen, Hindunationalisten, Kläranlage, ungeklärt