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Hunger: Die Hälfte der Kinder im Herzen Indiens ist unterernährt

Meldung vom 04.11.2014

In kaum einem anderen Land boomt die Wirtschaft so wie in Indien. Trotzdem herrscht dort Hunger. Ein Besuch im bitterarmen Bundesstaat Madhya Pradesh offenbart die tragische Wahrheit.

Laxmi! Laxmi!“, schreien die vier Frauen immer wieder. Im Halbkreis hocken sie um das kleine Mädchen und schütteln verzweifelt ihren mageren Körper. Doch Laxmi bewegt sich nicht mehr. Sie ist eiskalt. Schlaff hängen Arme und Beine des Kindes herunter. Stundenlang hatte das Mädchen geweint, die dunklen Augen weit geöffnet, der Körper bäumte sich vor Schmerzen auf. Laxmis Mutter bemühte sich, das Kind zu beruhigen. Sie rief immer wieder nach dem Arzt oder verlangte einen Rettungswagen. Doch ein Rettungswagen werde erst losfahren, wenn der zuständige Arzt dafür eine Anordnung erteilt habe, sagt die Leiterin des Rehabilitationszentrums für unterernährte Kinder, Kusum Narmbeh, die Laxmi und ihrer Mutter Obhut gewährt hatte.

Der ließ am Telefon vermitteln, dass er wichtige Aufgaben zu erledigen habe, in Konferenzen festsitze. Dann wurde Laxmi plötzlich still. Als kurz darauf ein Auto vor dem Zentrum stoppte, überredeten die Frauen den Fahrer, das Kind und seine Mutter ins Krankenhaus zu transportieren. Das ist acht Kilometer entfernt, die Straßen sind in marodem Zustand. Die Fahrt nimmt mehr als eine halbe Stunde in Anspruch.

„Laxmi ist ein besonders schwerer Fall von Unterernährung“, erklärt Kusum Narmbeh. „Das Mädchen ist sehr schwach, schläft nur, kann kaum die Augen offen halten.“ Laxmi und ihre Mutter stammen aus Jamli, einem kleinen Dorf im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Sie ist knapp ein Jahr alt und hat seit 15 Tagen zusammen mit ihrer Mutter in dem Ernährungs-Rehabilitationszentrum Unterschlupf gefunden: Ein kleiner Raum mit zehn Betten, auf jedem ist eine Mutter mit ihrem Kind untergekommen. „Wir nehmen jeden Monat 20 Kinder mit ihren Müttern auf. Mehr Platz haben wir nicht.“

Indien prahlt mit seiner wirtschaftlichen Entwicklung, präsentiert stolz seine Atomwaffen und feiert die billigste Marsmission aller Zeiten. Doch in keinem Land der Welt kommt das Wirtschaftswachstum so wenig bei den Armen an wie in dem südasiatischen Staat, sagt der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen. Millionen Menschen auf dem Subkontinent sind unterernährt. Vor wenigen Tagen wurde der aktuelle Welthunger-Index herausgegeben, Indien rangiert auf Platz 55 von 76 Ländern. Die Situation wird als „ernst“ eingestuft.

Besonders alarmierend ist die Lage im Bundesstaat Madhya Pradesh. In dem zweitgrößten Bundesstaat Indiens wohnen mehr als 75 Millionen Menschen. 20 Prozent zählen zu Stämmen oder niederen Kasten. Sie werden als die Unberührbaren eingestuft und stehen am unteren Ende der indischen Gesellschaft. Es sind Tagelöhner, die für weniger als einen Euro pro Tag auf den Feldern der Großgrundbesitzer schuften. Dort bauen sie vor allem Mais, Baumwolle und Chili an.

Madhya Pradesh wird aufgrund seiner zentralen Lage auch „das Herz Indiens“ bezeichnet. „Aber in Wirklichkeit ist es der Hungergürtel des Landes“, meint Harshal Jariwala von der Nichtregierungsorganisation Jan Sahas. Nirgendwo sonst in Indien ist der Hunger so furchtbar: Fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren weisen akute Symptome der Unterernährung auf. „Die Situation ist alarmierend“, klagt Jariwala. Seit dem Jahr 2000 ringen sie um das Leben der Kinder.

Auch Jazmin Khan ist für Jan Sahas tätig. Jeden Tag inspiziert sie die Dörfer Madhya Pradeshs, sie prüft das Gewicht der Kinder, misst den Durchmesser der dünnen Arme und Beine und berät die Eltern. „Viele Eltern geben ihren Neugeborenen das gleiche Essen, das sie selbst essen, vor allem Reis, Hirse, Linsen und Chili.“ Obst, Gemüse oder gar eiweißhaltiges Fleisch oder Fisch kommen so gut wie nie auf den Tisch. Fachleute betiteln dieses Phänomen „Versteckter Hunger“ (hidden hunger). Zwar werden genügend Kalorien zugeführt, aber keine Vitamine, Mineralien und Spurenelemente. Gerade bei kleinen Kindern hinterlässt der Nährstoffmangel dauerhafte Schäden. Sie sind für ihr Alter zu winzig, mental und körperlich zurückgeblieben.

Ein großes Hindernis sind auch der Glaube und die Traditionen der Dorfbewohner. „Eltern gehen bei gesundheitlichen Problemen lieber zum Medizinmann des Dorfs statt zu einem ausgebildeten Arzt in der Stadt“, bemängelt Jazmin Khan, die selbst erst 24 Jahre alt ist. „Wir wollen den Menschen helfen, aber viele mögen uns nicht. Manche Mütter haben uns am Anfang nicht mal in ihre Häuser gelassen.“ Einerseits muss man langsam eine Beziehung zu den Eltern aufbauen, andererseits sind viele Kinder aber auf sofortige Hilfe angewiesen.

Die Unterernährung hat vielfältige Wurzeln: Familien, die arbeiten müssen, lehnen Hilfe ab, können es sich nicht leisten, auszufallen und Zeit für Aufklärung zu investieren. Hinzu kommen die mangelnde Hygiene, Ärzte, die nicht eingreifen, bis hin zu Müttern, die nicht verstehen, wie krank ihre Kinder sind.

Die indische Regierung hingegen hat das Problem inzwischen angepackt. Im vergangenen Jahr entschied das Parlament in Delhi, ein umfassendes Subventionsprogramm ins Leben zu rufen. Zwei Drittel der indischen Bevölkerung, knapp 820 Millionen Menschen, dürfen vergünstigte Lebensmittel erhalten. „Die Regierung will etwas verbessern, daran besteht kein Zweifel. Sie hat dafür etliche Programme aufgelegt, doch werden sie schlecht verwaltet“, meint Jariwala. Ein großes Hindernis ist auch die allgegenwärtige Korruption. „Die Essensrationen für die Bedürftigen kommen meist erst gar nicht an, weil sich die Ebenen darüber alles in die Tasche stecken.“

Häufig trifft die Hilfe zu spät ein, wie auch im Fall der kleinen Laxmi. Sie starb noch im Auto auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie erreichte ein Alter von einem Jahr, brachte aber nur 3,8 Kilogramm auf die Waage und war damit so leicht wie ein Neugeborenes.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, faz.net

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