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Philippinen: Ein Jahr nach Taifun Haiyan – Ein Leben an Krücken

 
Meldung vom 06.11.2014

Genau ein Jahr ist es her, dass die Katastrophe über die Philippinen hereinbrach. Der Taifun Haiyan richtete dort eine Schneise der Zerstörung an. Immer noch gibt es viele Baustellen. Viele Menschen tragen bleibende Schäden davon. Der Wiederaufbau schleppt sich mühsam dahin, Hunderttausende leben in notdürftig zusammen gezimmerten Behausungen. Zwischen Trümmern versuchen die Menschen, wieder so etwas wie einen Alltag herzustellen.

Das große Unheil ereignet sich für Domingo Ursabia erst nach der Katastrophe. Taifun Haiyan wütet am 8. November 2013 in seinem Dorf. Stößt die halbe Hütte um. Reißt Blechdächer mit sich, als wären sie aus Pappe. Splitter, Metall, Holzplanken, Palmwedel, alles rast durch die Luft – Geschosse, die alles verletzen, was im Wege steht. Nach dem Sturm betrachtet der Mann das, was von seinem Haus übrig geblieben ist – nur noch Trümmer. Dann reißt er sich zusammen und beginnt mit der Arbeit. Schippt Schutt weg, biegt Blech zurecht, sortiert heile Holzplanken aus. Eine wird sein Leben verändern. Domingo Ursabia übersieht den rostigen Nagel, der aus dem Holz ragt. Das Eisen dringt durch die Sandale in den nackten Fuß ein. Eine stark blutende, schmerzhafte Wunde. „Aber kein Weltuntergang“, tröstet er sich.

Ein Jahr später hockt der 59-Jährige im Dämmerlicht seiner kleinen Hütte, der alte Röhrenfernseher läuft. „Ein Bein zu verlieren, weil ich in einen Nagel getreten bin. Ich kann es bis heute einfach nicht glauben“, meint er und zeigt unter seinem linken Knie ins Leere. Er berichtet verhalten, wie aus der Wunde damals Eiter austritt, das Bein bald brennt wie Feuer. Wie er nicht ins Krankenhaus gelangen kann, weil Trümmer den Weg aus dem Dorf versperren.

Als der Schutt schließlich beiseite geräumt ist, hatte er kein Benzin fürs Moped. Tage vergehen, der Wundbrand breitet sich aus. Domingo Ursabia bekommt hohes Fieber, als er mit seiner Frau das Hospital erreicht. Die Chirurgen können das Bein nur noch amputieren. „Jetzt ist alles gut ein Jahr vorüber. Ich weiß noch immer nicht, wie es weitergehen soll. Womit meine Frau Tag für Tag Reis kaufen sol“, klagt Ursabia.

Nicht, dass er früher ein reicher Mann gewesen wäre. Als Subunternehmer fuhr er jeden Tag einen Jeepney – jene zusammengebauten Fahrzeuge mit Jeep-Schnauze, auf den Philippinen das wichtigste Fortbewegungsmittel im öffentlichen Nahverkehr. Jeden Tag fährt er von San Jose nach Tacloban hin und zurück, zieht eine gewaltige Qualmwolke hinter sich her. Seine Fahrgäste entrichteten ein paar Pesos. Es war genug für den Röhrenfernseher und Schweinefleisch zum Reis. „Das alles ist nun vorbei“, fügt er hinzu.

Trotz ihrer schwierigen Situation: Undankbar wollen die Ursabias nicht sein. „Niemand in unserer Familie kam bei dem Taifun ums Leben. Dafür danke ich“, betont Vilma Ursabia. Ihr treten dabei Tränen in die Augen. Ihr Ehemann Domingo äußert sich wertschätzend über Handicap International, dass sie ihm Krücken verschafft haben und eine medizinische Nachbetreuung für ihn bezahlt haben. Dankbar ist er auch für die Matratzen, Moskitonetze und Hygieneartikel, die seine Familie nach dem Taifun von der Hilfsorganisation ausgehändigt bekommen hat.

Besonders angetan ist er von der Tatsache, dass sich die Helfer bemühen, eine Prothese für ihn zu beschaffen. Eine philippinische Ärztevereinigung hat ihm zugesagt: Bis zum Jahrestag des Unglücks soll die Prothese fertig sein. Noch muss er sich gedulden.

„Aber wenn am Flughafen wieder die ganz großen Flugzeuge landen, kommen die Prothesen. Das haben sie versprochen“, meint Domingo Ursabia. Doch er bereitet sich innerlich darauf vor, auch eine Enttäuschung hinzunehmen. Einen Rückschlag hat er schon verkraften müssen: Vor Monaten, als er zum ersten Mal von der Prothese erfährt, hinkt er auf seinen Krücken zu dem Jeepney-Besitzer. „Der glaubte nicht, dass ich wieder mit dem Wagen fahren kann. Nach all den Jahren, die wir uns kennen, gab er mir nicht einmal eine Chance“, klagt Domingo Ursabia heute.

Den alten Job kann er nicht wieder aufnehmen, der Sturm hat die Einnahmequelle seiner Familie geraubt. Das Gleiche ist in rund 700.000 weiteren Haushalten geschehen. Helfer gehen davon aus, dass kaum mehr als 30 Prozent der 1,1 Millionen zerstörten und beschädigten Häuser wieder aufgebaut oder repariert sind. In Tacloban sieht man überall windschiefe Gebäude, nach der Naturkatastrophe notdürftig zusammengenagelt.

Haiyan, oder Yolanda, wie er auf den Philippinen auch genannt wird, raubte 8.000 Menschen das Leben. 400 wurden allein in Palo in ein Massengrab geworfen, einem Städtchen in der Nähe von Tacloban. Direkt vor der Kirche in der Ortsmitte hatten die Angehörigen die Opfer nach dem Taifun hastig unter die Erde gebracht.

An der Friedhofsmauer zeugen jetzt die Grabkreuze von der Tragödie. Von kleinen Kindern und ganzen Familien, die der Sturm getötet hat. Auf den weiß gestrichenen Kreuzen, mit Filzstiften beschriftet, ist der immergleiche Todestag eingetragen: 8. November 2013. Jetzt errichten Arbeiter ein kleines Denkmal, das das Massengrab kennzeichnen wird. „Dann haben die Familien endlich einen würdigen Ort zum Trauern“, meint einer der Arbeiter. Viele der Toten kannte er persönlich.

In solchen Momenten ist Oscar Borer etwas erleichtert, dass er nicht immer alles sehen muss. Als Kleinkind verlor er durch eine Entzündung seine Sehfähigkeit. Aber bald schärft sich eine andere Gabe: sein feines Gehör. Oscar Borer übt sich autodidaktisch im Gitarrespielen, trainiert seine Stimme. Für 16 Kinder hat er als Musikant auskommen können, seine dritte Frau erwartet gerade Nummer 17. Der 65-Jährige liefert vor seiner Hütte eine Kostprobe seines musikalischen Könnens, spielt ein Liebeslied. Seine ebenfalls blinde Frau Bebleyn (35) nimmt neben ihm Platz und strahlt wie ein verliebter Teenager.

„Ausgerechnet auf meine alte Gitarre ist während des Sturms eine Palme gefallen. Ich war verzweifelt, wie sollte ich meine Familie ernähren“, berichtet Oscar Borer. Aber dann erhielt er ein neues Instrument, von Handicap International. „Sogar besser als die alte Gitarre“, gibt Oscar Borer zu und lacht. Ein ungewöhnliches Fördermittel von der Organisation, die ansonsten auf den Philippinen mit Baumaterialien wie Zement, Holz und Wellblech aushalf. Oder die Zuchtschweine verschenkt hat, damit die Überlebenden ihre Existenz als Bauern neu gründen konnten. Traditionell stehen dabei gerade Menschen mit Behinderung im Vordergrund.

„Die Geschäfte gehen schlechter als vor Yolanda. Die Menschen haben weniger Geld“, sagt Musiker Borer. Mit seiner Gitarre tritt er oft in Tacloban bei Hochzeiten und Geburtstagen auf. Normalerweise gibt er fröhliche Lieder zum Besten, Trümmer und Leid spart er aus. Ebenso verschweigt er das Phänomen des Schiffs „Eva Joceyln“, das der Taifun zwischen die Hütten eines Armenviertels geschoben hat. Jetzt zerkleinern Arbeiter das Schiff Stück für Stück mit dem Schweißbrenner. „Schwer, sich das vorzustellen. Ein Schiff zwischen Häusern“, schildert Oscar Borer das Phänomen.

Doch nun hat der 65-Jährige, den alle nur als „Pedro mit der Gitarre“ kennen, für die Taifun-Überlebenden doch noch ein Lied komponiert: „Es ist ein einfaches Weihnachtslied. Ich glaube, das gibt allen hier am meisten Hoffnung, die noch Hilfe brauchen.“


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 Ein Jahr nach Supertaifun Haiyan




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Philippinen, Taifun, Haiyan, Yolanda, Zerstörung, Wiederaufbau, Narben, Verwundungen, Krücken, Prothese, Hütten, Lebensgrundlage, Amputation, Behinderung, 8. November, Katastrophe, Tote, Massengrab, Taifun-Überlebende, arbeitslos