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Mexiko: Aufruhr lässt sich nicht mehr stoppen – Berühmte Autorin zur Situation des Landes

Meldung vom 18.11.2014

In Mexiko lässt sich der Aufruhr um den Tod der 43 Studenten nicht mehr stoppen. Die Jugend des Landes fordert Veränderung. Vielleicht steht das Land kurz vor einem Aufbruch. Die berühmte mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska wittert den Umbruch: „Mexiko erwacht jetzt“. Die Grande Dame der mexikanischen Literatur gibt ein Interview über ihr Land, das derzeit in Gewalt und Korruption abgleitet.

Elena Poniatowska hat vielen ungehörten Stimmen in der mexikanischen Gesellschaft Gehör verschafft. Oft hat sie die sozial schwach gestellten Menschen in ihrer Literatur zur Sprache kommen lassen. Sie hat auch ein Buch über das Massaker geschrieben, mit dem das Militär die mexikanische Studentenbewegung von 1968 beendet hat. Ist das, was jetzt mit den Studenten passiert ist, ein Déjà-vu für sie?

Obwohl es in Mexiko viele Gewalttaten und Massaker gegeben hat, glaubt die Autorin, dass jetzt etwas anders ist. Der Fall der verschwundenen Studenten sei der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. „Die Öffentlichkeit ist dieses Mal anders und der Protest. Es gibt heute viel mehr soziale Beteiligung. Ich bin eine positiv denkende Person – und ich liebe mein Land. Ich glaube an die Jugend. Die jungen Leute haben prächtige Demonstrationen organisiert, die nicht aggressiv waren. Und ich glaube, das ist erst der Anfang. Mexiko erwacht jetzt. Die Menschen wollen, dass sich die Situation ändert“, sagt sie.

Sie selbst ist der Ansicht, dass ihr eine tragende Verantwortung in der jetzigen Situation Mexikos zukommt: Als Schriftstellerin habe man die Aufgabe, die Menschen aus der Gleichgültigkeit aufzurütteln, sich über das Unrecht zu empören. Ein Autor muss aufdecken und anprangern, was geschieht. Und er muss die Seite der Opfer einnehmen.

Poniatowska ist in Mexiko eine populäre und auf jeden Fall mit den höchsten Preisen ausgezeichnete lebende Schriftstellerin. In diesem Jahr (2014) wurde ihr der Cervantes-Preis verliehen, die wichtigste literarische Auszeichnung der spanischsprachigen Welt.

Auf die Frage, wie man ein Land einstufen soll, in dem die Polizei Studenten ergreift, um sie zum Zwecke ihrer Ermordung an eine Bande von Verbrechern auszuliefern, antwortet die Schriftstellerin: „Ein gescheitertes Land. Eines, in dem die Bürger keine Garantien haben. Es ist unerträglich und unannehmbar, dass Studenten einer Lehreruni ,verschwinden’. Dass sie ermordet und verbrannt werden. Es ist sehr, sehr traurig“.

In dem Fall der verschwundenen Studenten, aber auch im Falle andere Gewalttaten sind die Opfer sehr jung. Die Autorin weiß, dass die mexikanische Regierung mit der Jugend des Landes nicht mehr zurecht kommt. Sie habe ein Problem mit deren Widerstand. Und wer sich erhebt und gegen das Regime kämpft, das sind in der Regel die Jungen.

Poniatowska appelliert an die mexikanische Regierung, für den Ernst der Lage sensibel zu werden. Auch in diesem Fall wären die enormen sozialen Klassenunterschiede mitverantwortlich an der Tragödie. Lehramtsstudenten in Mexiko zählen zu der Schicht der Armen. Die einzigen Ausbildungsstätten, die ihnen eine Weiterbildung eröffnen, sind die extrem schlecht ausgestatteten Escuelas Normales Rurales (Schulen für die Lehrerausbildung in ländlichen Gemeinden), wie die in Ayotzinapa. Nach der Entführung der Lehramtsstudenten hat sich die Regierung extrem spät in Bewegung gesetzt. Es ist mehr als ein Monat verstrichen, bevor der Präsident sich um die Eltern der Jungen gekümmert hat.

Nach Angaben der mexikanischen Regierung haben drei Kriminelle den Mord an den Studenten zugegeben, die gefundenen Leichen und die verbrannte Asche der Toten konnten aber bisher den Vermissten nicht zugeordnet werden. Viele Menschen schenken den Angaben der Regierung keinen Glauben mehr. Auch Poniatowska ist misstrauisch: „Die mexikanische Regierung versucht vor allem, die Sache herunterzuspielen, ihr die Bedeutung zu nehmen. Aber das Problem ist zu groß. Zu scheußlich“.

Viele Menschen in Mexiko stellen sich die Frage, ob Präsident Enrique Peña Nieto, dessen Uniformierte eine solche Untat an der eigenen Bevölkerung begangen haben, weiter an der Macht bleiben darf. Doch die Autorin plädiert dafür, dass ein ganzes System umgewälzt werden muss: „Unser erstes Problem ist die soziale Ungleichheit, der Abgrund, der zwischen den sozialen Klassen liegt. Wir in Mexiko müssen kämpfen, um ein anderes Land zu werden. Es gibt eine Korruption, die mit der Macht zusammenhängt. Wer nach oben kommt, betrachtet sein Amt als Quelle, um sich zu bereichern. Die großen Vermögen entstehen in Mexiko an politischen Positionen“.

Selbst den Vergleich mit dem Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus scheut die Autorin nicht. Sie erklärt warum: „Was mich als Schriftstellerin interessiert, ist die Gleichgültigkeit. Die Gleichgültigkeit angesichts der Armut, die ich auch hier in New York auf der Straße sehen kann. Gleichgültigkeit lässt sich nicht messen. Sie ist abhängig vom Grad individuellen Bewusstseins jeder Person. Ein Beispiel: In Paris im Jahr 1968 hat ein Minister über Daniel Cohn-Bendit gesagt, dass er nicht verstehe, was ein deutscher Jude den Studenten zu sagen habe. Da sind sie am nächsten Tag auf die Straße gegangen, haben sich untergehakt und haben gerufen: „Wir sind alle deutsche Juden.“ Heute verbrüdern sich Demonstranten weltweit und rufen: „Wir sind Ayotzinapa“ und recken Schilder mit den Namen und Bildern der verschwundenen Studenten in die Höhe.

Trotzdem ist Lateinamerika wenig präsent in den Medien – ein blinder Fleck auf der Weltkarte. Gegen diese Gleichgültigkeit will die Autorin angehen: „Ich schreibe und spreche. Bei meiner Rede auf dem Zocalo in Mexiko-Stadt im Oktober habe ich etwas aus dem Leben jedes einzelnen der verschwundenen jungen Männer erzählt. Aber Sie dürfen nicht vergessen: Ich bin 82 und herzkrank“.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de

Schlagwörter: Mexiko, Elena Poniatowska, Autorin, Schriftstellerin, Studenten, Vermisste, Massaker, Entführung, Gewalt, Korruption, Polizei, Kriminalität, Jugend, Aufruhr, Demonstrationen, Gleichgültigkeit, Grande Dame, Literatur, Cervantes-Preis, Enrique Peña Nieto, Präsident, Leichen, Widerstand, Klassenunterschiede, Lateinamerika, Umbruch