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Afghanistan: Bundeswehr-Helfer – „Viele fühlen sich fallen gelassen“

Meldung vom 09.12.2014

Die afghanische Journalistin Meetra Moqadam erhält regelmäßig Morddrohungen, weil sie für die Bundeswehr tätig ist. Sie hat einen Asylantrag gestellt, aber über ihre Ausreise bestimmt ein Gremium der Bundeswehr. Und dessen Kriterien sind nicht transparent für die Öffentlichkeit.

Zweimal innerhalb kurzer Zeit bewarfen Unbekannte in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif nachts die Scheiben der Wohnung von Reporterin Meetra Moqadam mit Steinen und zerstörten alles, was sie im Hof der Familie vorfanden. Beide Male konnten die Täter unerkannt entkommen.

Die 23-jährige Journalistin ist überzeugt, dass die Taliban es auf ihr Leben abgesehen haben. Sie verdingt sich seit 2011 beim Lokalradio Bayan-e Shamal („Stimme des Nordens“), der Sender wird von der Bundeswehr gesponsert und gehört zu der Mission der „Operativen Kommunikation“. Radio Bayan-e Shamal strahlt seine Sendungen in den afghanischen Landesprachen aus, für die ISAF-Schutztruppe ist er ein wichtiges Sprachrohr, um den Kontakt zur Bevölkerung zu wahren.

Immer wieder haben Taliban den „Kollaborateuren der Invasoren“ Racheaktionen angekündigt. Und wenn die ISAF-Truppen demnächst Afghanistan endgültig verlassen, sind viele afghanische Ortskräfte nicht nur darum besorgt, ihren Job zu verlieren. Viele sehen sich vor allem der Gewalt der Radikalislamisten schutzlos ausgeliefert. „Die Taliban können mich doch jederzeit umbringen“, klagt die Reporterin Moqadam, „das ist eine schreckliche Anspannung, die ich kaum aushalten kann“.

Den Einbruch in ihr Haus hatte Moqadam sofort bei der Polizei angezeigt. Die habe aber nicht wirklich interveniert, sagt sie. Daraufhin machte sich die Journalistin auf ins deutsche Militärcamp Marmal und erstattete eine sogenannte „Gefährdungsanzeige“. Moqadam ist sich sicher, dass sie in Afghanistan um ihr Leben fürchten muss. Sie wünscht sich Asyl in Deutschland, gemeinsam mit ihrer Familie.

Mitte September 2014 war eine frühere Mitarbeiterin von Radio Bayan-e Shamal, Palwasha Tokhi, 26, am hellichten Tag in ihrem Haus von Unbekannten mit einem Messer getötet worden, in der Innenstadt von Masar-i-Scharif. Die Polizei gibt an, private Dispute seien für den Mord verantwortlich gewesen. Dieser Geschichte schenkt allerdings keiner ihrer früheren Kollegen Glauben, auch Meetra Moqadam nicht. Tokhi wurde zuvor mit Todesdrohungen gequält, wie jetzt auch Moqadam.

Zum Ende der ISAF-Mission wurden erwartungsgemäß viele Ortskräfte entlassen, und ohne Zweifel besteht da eine direkte Verbindung zu dem sprunghaften Anstieg der sogenannten Gefährdungsanzeigen. Viele Afghanen erkennen darin die einzige Chance, aus dem Land zu fliehen. 1.197 solcher Anzeigen hat die Bundeswehr bisher erhalten.

Teams der jeweiligen Bundesbehörden prüfen dann in Camp Marmal, wie groß das Lebensrisiko für die sogenannten Ortskräfte tatsächlich ist. Diese Mitarbeiter waren seit 2001 zu Tausenden als Übersetzer, Bauarbeiter, Hilfskräfte und eben auch als Journalisten für die Deutschen tätig. Zu Spitzenzeiten dienten 1.700 Helfer allein bei der Bundeswehr.

Persönlich zeigen die verantwortlichen Prüfer oft Verständnis für die Geschichten, die ihnen da eröffnet werden – von Beschimpfungen am Telefon, von Männern, die mit ihren Familien vom Dorf in die Stadt umziehen, in der Hoffnung, dass sie dort anonymer und unerkannt leben können, oder wenn Kinder aus der Schule genommen werden, weil ihre Eltern in Sorge sind, die Taliban könnten sie auf dem Weg umbringen. Am Ende treffen die Gremien ihre Entscheidungen jedoch strikt nach einem geheimen Kriterienkatalog.

Danach wurde bei 45 Afghanen ein „akute Gefahr für Leib und Leben“ erkannt. Sie wurden sofort in die Bundesrepublik gelassen. Bei 451 wurde eine „latente Gefahr“ gesehen. 690 seien dagegen mit „keiner höheren Gefahr“ konfrontiert als alle Menschen, die eben in einem Krisenland zurechtkommen müssen. Sie erhalten kein Asyl.

Afghanen und Deutsche haben während der ISAF-Mission enge Beziehungen geknüpft, Freundschaften haben sich entwickelt. Nun aber stehen die lokalen Mitarbeiter auf unsicherem Boden. Für sie steht alles auf dem Spiel. Radio Bayan-e Shamal zum Beispiel hat weniger Geld zur Verfügung, Entlassungen stehen kurz bevor. Die Bayan-Mitarbeiter erhalten einen Lohn zwischen 500 und 1.000 Dollar, ein sehr guter Verdienst in einem Land mit großer Arbeitslosigkeit und wenig beruflicher Chancen. Wie Meetra Moqadam kommt vielen Mitarbeitern derzeit die Ernährerrolle in der Familie zu. Von 80 Journalisten haben inzwischen 53 einen Ausreiseantrag gestellt, aber nur in 22 Fällen wurde diesem stattgegeben.

Moqadams Fall ist einer der wenigen, der noch auf der Kippe steht. Sie steht stark unter Druck in diesen Tagen. Am vergangenen Freitag erreichten sie gleich vier bedrohliche Textnachrichten, in einer lautete es: „Hör auf zu arbeiten, sonst können du und deine Familie das schöne Leben vergessen.“

Für einen guten Job bei den ISAF-Truppen ließen sich viele Afghanen auch auf ein hohes Risiko ein. Aber anders als die Amerikaner und Briten, die lokales Personal häufig von vornherein mit dem Versprechen rekrutierten, sie nach einigen Jahren in den Westen einreisen zu lassen, hat die Bundesregierung solches Angebot nicht gemacht.

Die Deutschen rechtfertigen diesen Standpunkt mit dem angeblich ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung, dass nicht alle gut ausgebildeten Bürger aus dem Land entfernt werden dürfen. Afghanistan benötige diese Fachkräfte dringend, heißt es in Kabul. Ein emotionaler Spagat, sagt ein deutscher Offizier in Camp-Marmal: „Viele fühlen sich von uns einfach fallen gelassen.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Afghanistan, Helfer, Bundeswehr, afghanische Angestellte, Asylantrag, Gefährdungsanzeige, Taliban, Morddrohungen, Racheaktion, Vergeltung, Einreise, Militär, ISAF, NATO, Journalisten, Übersetzer, Lebensgefahr, Ortskräfte, Gremium, Kriterien, Arbeitslosigkeit