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Mexiko: Wenn die Erde die Toten preisgibt – Ein Suchtrupp für die Verschwundenen

Meldung vom 24.02.2015

In Mexiko verschwinden tagtäglich Menschen. Meist geraten sie in die Fänge der Drogenkartelle und werden umgebracht. Ohne Gewissheit haben die Angehörigen von Verschwundenen in Mexiko jedoch keine Ruhe. Daher wird jetzt die Suche nach den vermutlich Toten intensiviert. Die Verschleppung von 43 Studenten hat die Stadt Iguala in Bewegung gesetzt. Auch Angehörige anderer Verschwundener haben sich nun auf die Suche nach Gräbern begeben.

„Positiv!“ Mario Vergara nickt anerkennend mit dem Kopf. „Habe ich es nicht gesagt?“ Die aufgeworfene Erde, die leichte Absenkung. Hier musste etwas sein, das hatte der 40-Jährige mit seinem Kennerblick direkt wahrgenommen. Und jetzt der Beweis: Die Spitze der Metallstange, die sein Mitstreiter Juan Jesús Canaán gerade in den Boden gerammt hat, riecht nach Verwesung. Wieder haben Vergara und seine Leute ein Grab ausgemacht. Die Suche, so scheint es, ist für den Mexikaner zum Alltagsgeschäft geworden – und zur Berufung. Und wieder die bange Frage: Liegt hier mein Bruder?

Vergaras Suchtrupp, an dem sich fünf Personen beteiligen, hat sich drei Stunden zuvor wenige Kilometer entfernt auf dem Anwesen der Kirchengemeinde San Gerardo in der Stadt Iguala versammelt. Iguala ist die Hauptstadt des südmexikanischen Bundesstaates Guerrero und stand in den letzten Monaten wegen der vermissten 43 Studenten wochenlang in den Schlagzeilen. Doch Verschwundene und Tote waren hier schon vorher an der Tagesordnung.

Alle, die beim Suchtrupp mitmachen, vermissen Familienmitglieder. Manche von ihnen wurden von Kriminellen verschleppt, andere fielen der Polizei zum Opfer. In der Küche der Kirchengemeinde, zwischen Regalen voller Dosen, gönnen sie sich einen ersten Kaffee. Fast jeden Tag durchkämmen sie die Berge, um nach ihren Kindern, Neffen oder Männern zu suchen. Auch Beamte der Generalstaatsanwaltschaft, mehrere Polizisten sowie Forensiker sind inzwischen an der Aktion beteiligt.

„Am Anfang sind wir allein losgezogen, ohne Schutz und staatliche Unterstützung“, berichtet Mario Vergara und blickt zum Mangobaum, unter dem die Geländewagen der Polizei stehen. „Die bewegen sich ja nur, wenn man ihnen ständig Druck macht.“ Vergara unternahm die Suche auf eigene Faust, wenige Wochen nachdem Ende September 43 Studenten verschwanden. Sie sollen auf Befehl von Igualas Bürgermeister José Luis Abarca von Polizisten ergriffen und der Organisation Guerreros Unidos (Vereinigte Krieger) ausgeliefert worden sein. Bislang konnte man die Überreste eines Studenten in einem Massengrab ausfindig machen.

Schon lange war es bekannt, dass Abarca und seine Frau María de los Angeles Pineda mit der Mafia an einem Strang zogen. Seit seinem Amtsantritt 2012 waren die Entführungen sprunghaft angestiegen. Jeder wusste, dass seine Frau aus einer Familie stammt, die zu den Köpfen der Drogenmafia gehörte. Etwa hundert Polizisten sollen direkt für die Organisation gearbeitet haben, behauptet das Innenministerium.

„Jahrelang hat sich niemand im Ort getraut, über die Verbrechen zu sprechen“, meint Vergara. Doch als das Verschwinden der Studenten für immer mehr Empörung sorgte, meldeten sich die Angehörigen zu Wort. Der Bruder von Mario Vergara wurde vor beinahe drei Jahren entführt. Die Familie hatte damals nicht sofort das Lösegeld aufbringen können. Seitdem ist Tomás Vergara verschwunden.

An einem Sonntag kamen die Angehörigen erstmals auf dem Gelände der Kirchengemeinde zusammen. 370 Fälle hat die Gruppe inzwischen verzeichnet. „Viele sind nur einmal gekommen“, gibt Vergara zu. „Sie haben Angst.“ Dann hält er inne. Für einen Moment ist er scheinbar in eine andere Welt eingetaucht, einer Welt, in der Tomás noch lebt.

Eine Stunde später machen sie sich auf den Weg. Vorn der Pick-up, auf dem zwei Polizisten mit Gewehren Position beziehen, dahinter die Forensiker, dann die Wagen der Strafverfolger, in dem die Angehörigen mitfahren. „Im November waren wir mit 50, 60 Leuten in den Bergen“, erzählt Juan Jesús Canaán. Er fahndet nach seinem Neffen, der seit 2008 vermisst wird. „Aber die Staatsanwaltschaft meint, sie könne nicht so viele Menschen schützen.“ In den Bergen gehen die Guerreros Unidos gegen ihre Rivalen vor. Sie verteidigen Transportwege für Opium und Marihuana.

Auf steiniger Piste schwanken die Wagen durch armselige Siedlungen hinauf. Hinter einem Zaun grasen Kühe. Der Ort, an dem so viel Blut vergossen wurde, wirkt unspektakulär. Hier haben die Killer der Mafia über Monate hinweg immer wieder Menschen exekutiert und die Leichen in Gruben verscharrt. Vielleicht zwanzig, vielleicht auch mehr. Wer soll das schon wissen.

Laute Musik dudelt aus den Radios der Einwohner. Die nächsten Häuser sind kaum zwei Kilometer entfernt. Jeder, der sich nicht die Ohren verstopfte, konnte nachts die Rufe hören. „Tötet uns nicht!“ – diese Worte haben die Anwohner oft gehört. Keiner hatte den Mut, darüber zu sprechen. Nicht über die Männer, die in den großen Autos herbeibrausten, nicht über die Polizisten. Und schon gar nicht über den Bürgermeister, der den Ort regelmäßig aufsuchte.

Seit der Bürgermeister und seine Frau inhaftiert wurden, ist es in Iguala etwas ruhiger geworden. Auch die vielen „Falken“, wie die Spione der Mafia bezeichnet werden, traten den Rückzug an. Doch in den letzten Tagen konnte man sie wieder beobachten, erzählen Einheimische. Dennoch ließ es sich ein Bauer nicht nehmen, den Suchtrupp über den unheimlichen Ort zu informieren. „Ohne Leute wie ihn hast du keine Chance, die Gräber zu finden“, meint Vergara.

Kaum dort angekommen, setzt er seinen Hut auf, bindet sich ein Tuch um den Mund und geht an die Arbeit. „Hier lagen zwei, da drüben einer, dort, hinter dem Baum haben wir auch zwei entdeckt.“ Aufgeregt deutet er von einer Stelle auf die nächste. „Mindestens 17 Leichen haben wir hier gefunden“, berichtet er. Insgesamt haben sie drei Gräber ausgehoben und die Überreste von 37 Verschwundenen ans Tageslicht gebracht. Ein paar Meter entfernt riecht Juan Jesús Canaán an der Spitze der Metallstange. „Negativ.“

Unten in der Kirchengemeinde haben sich Menschentrauben von Frauen mit Kindern versammelt. Ein großes Holzkreuz und ein Bild der heiligen Jungfrau von Guadalupe zieren die Wand, ein Plakat nennt einzelne Verhaltensschritte: Formular ausfüllen, DNA-Probe abgeben, psychologische und juristische Beratung. Und dann bleibt nur abwarten und die Hoffnung nicht aufgeben. Die sterblichen Überreste, die der Suchtrupp aushebt, werden mit den Angaben der Angehörigen verglichen. Drei Opfer konnten bereits identifiziert werden.

Trotz des Medienwirbels hat sich in Iguala nur wenig verändert. „Die lokale Polizei wurde zwar aufgelöst, trotzdem verschwinden weiterhin Menschen“, sagen Einheimische. Die Beamten wären ganz zur Mafia übergelaufen. „Hier wird sich nichts ändern“, meint Maria. Sie wünscht aber, dass die Suchtrupps fündig werden. Nur dann haben die Menschen eine Chance auf den notwendigen Prozess des Trauerns und Frieden.

Durch die Berge hallt erneut der Ruf von Juan Jesús Canaán: „Positiv!“ Dann übergibt er die Stange an Mario Vergara. Der Geruch ist Ekel erregend. Die Stelle wird mit einem Fähnchen markiert. „Untersuchungszone 12, Grab 3, La Laguna, Iguala, Guerrero“, ist darauf zu lesen. Dann heben sie Erde mit dem Spaten aus. Tatsächlich bergen sie zwei Skelette. Mit Pinseln legen sie die Knochen frei. Akkurat sondieren sie Schädel, Ellenbogen und Rippen in verschiedene Tüten. Ein Plastikseil ist um die Reste eines Körpers geschlungen. Einer der beiden war gefesselt.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de

Schlagwörter: Mexiko, Verschwundene, Entführte, Opfer, Drogenkrieg, Drogenmafia, Iguala, Suchtrupp, Tote, Korruption, Vermisste, Familie, Massengrab, Forensiker, Leichen, DNA-Probe, Polizei, Studenten, Massaker, Identifizierung