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Indien: Verkohlte Kirchen

Meldung vom 15.04.2015

Kirchen sind in Indien nicht mehr sicher. Seitdem die Hindunationalisten an die Macht gekommen sind, haben es die religiösen Minderheiten schwer. Seit dem Wahlsieg Narendra Modis häufen sich Angriffe auf Christen. Extremisten wollen aus dem Land einen Hindustaat machen.

Langsam geht der Priester Anthony Francis in Richtung Altar. Glasscherben splittern unter seinen Schuhen. Mühsam klettert er über verkohlte Holzbalken. An der Kopfseite des Kirchenschiffs hängt ein Kreuz mit Jesus Christus, sein Körper ist schwarz, Arme und Beine verbrannt. Die Augen von Pfarrer Francis schauen umher, er versucht, auszumachen, was von seiner Kirche übrig geblieben ist. Was er wahrnimmt, dafür fehlen ihm die Worte. Immer wieder versagt ihm die Stimme, seine Sätze verebben im Nichts. „Schauen sie … Schauen Sie …“

In der Sankt-Sebastian-Kirche im Osten Delhis hat das Feuer die Innenwände bis unter die Decken ergriffen, von den Heiligen-Skulpturen sieht man nur noch Haufen von Asche. „Das war kein Unfall“, meint Pfarrer Francis, „Es war ein gezielter Anschlag auf unsere Kirche, auf uns Christen und auf unseren Glauben.“

Es ist kurz vor 19 Uhr, draußen umgibt langsam die Dämmerung die kleine katholische Kirche in Delhis Bezirk Dilshad Garden. Ungefähr zur selben Zeit hatte Pfarrer Francis auch am 30. November 2014 seinen Dienst in der Kirche beendet und war nach Hause gegangen. Es war ein Sonntag, wie so oft waren auch an jenem Tag die dicht aufgestellten Kirchenbänke voller Menschen gewesen. Am nächsten Morgen sollte Pfarrer Francis dem Nachbarbezirk mit einer Predigt dienen. Doch dann geschah das Unheil.

Frühmorgens rief der Wachmann seiner Kirche an und teilte ihm mit, es sei ein kleines Feuer ausgebrochen, er werde sich um die Löschung kümmern. Als Pfarrer Francis kurze Zeit später eintraf, stand das gesamte Kirchenschiff in Flammen. Der Geruch nach Kerosin hing in der Luft. Das spielte sich am 1. Dezember 2014 ab. Die Attacke auf die Sankt-Sebastian-Kirche blieb kein Einzelfall. Allein in Delhi wurden innerhalb von wenigen Wochen fünf Angriffe auf christliche Einrichtungen verübt. Mal wurden Gebäude in Brand gesetzt, mal schleuderte ein Unbekannter während der Messe einen Stein durch das Fenster. Im Westen Delhis wurde eine Marienstatue vom Sockel gerissen, Fenster wurden zertrümmert.

Im Süden der Stadt stürmten Unbekannte die Sakristei einer Kirche, griffen in den Tabernakel und zertraten die Hostien auf dem Boden. Weil in jenem Fall auch ein DVD-Gerät entwendet wurde, geht die Polizei dem Fall als „Diebstahl“ und „Einbruch“ nach. Sonst wären sie vielleicht nicht tätig geworden.

Schon in der Vergangenheit kam es vereinzelt zu Überfällen auf Kirchen, doch seit dem Wahlsieg der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) bei der indischen Parlamentswahl im Mai 2014 haben sich die Anfeindungen verfielfacht. „Wir Christen fühlen uns unsicher, unser Glaube ist in Gefahr“, kritisiert der Erzbischof von Delhi, Anil Joseph Thomas Couto.

Laut der offiziellen Zählung von 2001 gibt es etwa 24 Millionen Christen in Indien, sie stellen rund 2,3 Prozent der Bevölkerung dar. In der Hauptstadt sind es sogar nur 0,4 Prozent der Einwohner. Trotzdem muss man sie damit nach dem Hinduismus (80,5 Prozent) und dem Islam (13,4 Prozent) als die drittgrößte Glaubensrichtung auf dem Subkontinent Indien anerkennen. Doch derzeit haben sie immer weniger Mitspracherecht in dem Land.

„Das Ziel der aktuellen Regierung und der einflussreichen Hindu-Gruppen ist Hindutva. Das sagen sie ganz offen“, erklärt Erzbischof Couto. Hindutva ist eine politische Strategie mit dem Ziel, eine geeinte Hindu-Nation (wieder)herzustellen. Die Anhänger der Bewegung sind überzeugt, dass alle Menschen ursprünglich zu den Hindus zählten, einige sich im Verlauf der Jahre durch Fehlentwicklungen aber zu einer anderen Religion bekehrt hätten. Durch die Kampagne „Ghar wapsi“ (Heimkehr) wollen sie die „Fehlgeleiteten“ nun in die Hindu-Gemeinschaft wiedereingliedern.

Angetrieben von diesem Auftrag, überschreiten sie alle Grenzen: So verunglimpfte die Ministerin für Lebensmittelindustrie unlängst Andersgläubige in Indien als Bastarde. Der bekannte Hindu-Gelehrte Vasudevanand Saraswati gab vor einigen Wochen Hindus zu bedenken, selbst im Privatleben an die Ausweitung des eigenen Einflusses zu denken. „Dank der Einigkeit der Hindus ist Modi Ministerpräsident geworden. Um ihre Mehrheit zu wahren, sollte jede Hindu-Familie zehn Kinder haben“, ermahnte er. Die hinduistische Jugendorganisation Bajrang Dal stachelt Hindu-Männer dazu auf, gezielt Christinnen und Musliminnen zu heiraten, damit diese zum Hinduismus übertreten.

Immer wieder finden in verschiedenen Teilen des Landes Massenkonvertierungen statt, bei denen Tausende Muslime und Christen in die „Familie der Hindus“ zurückgeholt werden, meist handelt es sich dabei unter Zwangsbekehrungen. Die Organisation Hindu Jagran Saniti hingegen lockt freiwillige Konvertiten mit der Schenkung eines Hauses. Einer ihrer Funktionäre sagte voraus, 2021 werde Indien wieder ein reiner Hindu-Staat sein.

Der Erzbischof von Delhi ist besorgt über den Umgang der regierenden Hindu-Partei mit den Minderheiten in Indien. „Es geht nicht nur um uns Christen, auch Muslime, Sikhs, Jains oder Parsen werden attackiert.“ Die Hindutva vertrage sich nicht mit der indischen Verfassung, in der allen Glaubensrichtungen die freie Ausübung ihrer Religion gewährleistet wird. Doch die Realität sehe anders aus, kritisiert Couto. „Der säkulare Charakter Indiens ist in großer Gefahr.“

Lange Zeit hat Narendra Modi zu den Vorgängen geschwiegen. Doch nun hat Indiens Premierminister eine Stellungnahme abgegeben. Im Parlament erklärte Modi: „Niemand hat das Recht, andere wegen ihrer Religion zu diskriminieren.“ Er werde alles in Angriff nehmen, um die Religionsfreiheit in Indien zu bewahren. „Meine Regierung hat nur eine Religion – Indien zuerst. Und nur eine Ideologie: Indien und die Verfassung über alles.“

Erzbischof Couto ist dennoch skeptisch. Er vermutet, dass Modi nur aus machtpolitischen Gründen eine solche Stellungnahme abgegeben hat. Es war einfach eine Maßnahme angesichts der Niederlage seiner Partei bei der Wahl in Delhi Anfang Februar 2015. Dort konnte sich die Partei des Premierministers gerade einmal für drei Sitze etablieren.

Den haushohen Sieg trug die Aam Aadmi Partei von Arvind Kejriwal davon, die 67 von 70 Sitzen gewann. „Kejriwal hat sich deutlich für das friedliche Miteinander aller Glaubensrichtungen in Indien ausgesprochen“, betont Couto. „Die indischen Wähler haben Modi gezeigt, dass sie keinen Kampf der Religionen wollen.“ Viele würdigen Modis Rede hingegen als ein „großes innenpolitisches Signal“ an die Minderheiten in Indien. Ob Modi hinter seinen Worten steht, wird die Zukunft zeigen.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de

Schlagwörter: Indien, Kirchen, Christen, Christenverfolgung, Hindunationalisten, Narendra Modi, Hindustaat, Hindutva, Bekehrungen, Zwangsbekehrungen, Angriffe, Brandstiftung, religiöse Minderheiten, Glaubensrichtungen, Hindus, Muslime, Schikane, Diskriminierung, Gewalt, Wahl, Aam Aadmi Partei, Arvind Kejriwal, Religionsfreiheit, Verfassung, Bharatiya Janata Partei, Neu Delhi, Konvertiten