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Afghanistan: Die fortschrittliche First Lady

Meldung vom 26.06.2015

Frauen haben in Afghanistan keinen leichten Stand. Aber sind die Frauen in diesem Land deswegen permanent in der Opferrolle? Nein, meint Afghanistans First Lady Rula Ghani.

Wer mit Rula Ghani sprechen will, gelangt in eine Festung und muss durch fünf Sicherheitsschleusen gehen – inklusive einen Sprengstoff-Schnüffelhund passieren. Afghanistans First Lady kredenzt grünen Tee und beginnt das Interview erst einmal mit Gegenfragen.

Vor dem Treffen hatte Rula Ghani gewünscht, ihr die Kernfragen zukommen zu lassen. Sie überlässt bei Interviews nichts dem Zufall. Etwas Unüberlegtes zu sagen, ist zu gefährlich. Sie will ihren Kritikern keine Angriffsfläche bieten. Die eingereichten Fragen bewertet sie als „nicht neutral“. Sie ist nicht einverstanden damit, dass Afghanistan als eins der schwierigsten Länder für Frauen eingestuft wird. Sie hebt in ihren öffentlichen Auftritten die Stärke der afghanischen Frauen hervor, nicht ihre Opferrolle. „Ich habe selber lange im Westen gelebt“, betont die Frau des afghanischen Präsidenten. „Auch dort gibt es viele Frauen, die kein gutes Leben haben.“

Die zierliche Rula Ghani hat eine diskret kämpferische Ausstrahlung. Sie ist Mitte sechzig und noch damit beschäftigt, ihre Rolle als First Lady zu definieren. Wie viele politische Äußerungen stehen ihr zu? Wie sichtbar und wie hörbar darf sie auftreten? Sie kann sich dabei in der konservativen, männerdominierten afghanischen Stammesgesellschaft auf kein Vorbild stützen. Als Hamid Karzai noch Präsident war, trat seine Frau Zeenat so gut wie nie in der Öffentlichkeit auf.

„Ich war immer ein aktiver Mensch. Die ersten zwei Wochen im Präsidentenpalast habe ich mich ruhig verhalten. Aber dann habe ich eingesehen: Das bin ich nicht“, berichtet Rula Ghani. „Du kannst nicht den ganzen Tag nur fernsehgucken und lesen. Ich will Menschen treffen, ich will mit ihnen sprechen. Ich will wissen, was passiert. Ich bin dabei, mich zu finden. Ich frage mich selber, wie ich am besten helfen kann. Ich kann vor allem zuhören und Rat geben. Ich glaube, es tut den Menschen erst einmal gut zu wissen, dass da jemand ist, der ihnen zuhören will.“

Afghanistans First Lady hat ein Studium in Politikwissenschaft und Journalismus absolviert – in Paris, in Beirut und in den USA. Sie spricht mehrere Sprachen: Arabisch, Englisch, Französisch und Dari. Sie ist eine Christin aus dem Libanon, verfügt aber über drei Staatsbürgerschaften. Sie ist Libanesin, Afghanin und US-Amerikanerin. Ihrem Ehemann Ashraf begegnete Rula Ghani in den 70er-Jahren an der amerikanischen Universität in Beirut. Dort verliebten sich die beiden ineinander. Nach der Hochzeit wohnte das Paar für ein paar Jahre in Kabul. Doch den größten Teil der Ehe lebten die beiden in den USA. Hier zogen sie auch die beiden Kinder Mariam und Tarek auf. Rula Ghanis neuer Lebensabschnitt in Afghanistan begann, als ihr Mann nach dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 beschloss, in seine Heimat zurückzukehren.

„Meine libanesische Herkunft hilft mir. Es gibt viele Parallelen. Auch der Libanon hat unter Bürgerkrieg gelitten“, betont die Präsidentengattin und fügt hinzu: „Beide Länder sind bergige Länder. Das ist relevant, denn Menschen aus bergigen Ländern sind zäh und stur. Meine Herkunft hilft mir, das zu verstehen.“

Konservative Religionsgelehrte und politische Gegner ihres Mannes feinden die zierliche Frau an. Sie sei eine Ungläubige, eine Agentin des Auslands, sie gehöre nicht nach Afghanistan. Ihr temperamentvoller Mann gerät darüber in Rage, doch die Angefeindete lässt sich nicht provozieren. „Ich bin Libanesin und ich spreche Arabisch. Ich kann den Koran lesen. Ich finde viele Passagen im Koran für meine Reden, die sehr relevant sind. Ich verstecke meine christliche Herkunft nicht. Ich bin als Tochter einer christlichen Familie auf die Welt gekommen. Wir haben muslimisch geheiratet, aber ich bin nicht konvertiert. Das verlangt der Koran auch nicht.“ Sie respektiere den Islam und sei in ihm bewandert. „Wir beten im Libanon auch in Arabisch. Die religiösen Begriffe sind die gleichen.“

Rula Ghani versteht sich als Anwältin der afghanischen Frauen, doch sie lässt sich nicht zu radikalen Forderungen hinreißen. „Der Wandel in Afghanistan braucht Zeit und Geduld“, meint sie. „Alles, was wir hastig anstoßen, wird nicht von Dauer sein, weil es eine Gegenreaktion auslöst, die die Situation verschlimmern kann. Du musst dich in der Situation bewegen, in der du dich befindest.“

Die First Lady aus Kabul hat die fast 800.000 Binnenflüchtlinge auf dem Herzen, die im eigenen Land überall abgewiesen werden – vertrieben von Gewalt und von lokalen Machthabern, die sich ihres Landes bemächtigt haben. „Das hat ganz viel mit Politik zu tun, diese Menschen können nicht zurück“, erklärt sie. Humanitäre Hilfe sei für diese Menschen nur eine Übergangslösung. „Ich will für eine langfristige Lösung arbeiten. Dafür brauche ich die Regierung, ich warte auf meinen Mann.“ Der muss eine stabile Sicherheitslage herstellen und Land zur Verfügung stellen, wenn das Anliegen seiner Frau umgesetzt werden soll. „Wir müssen kleine Städte erschaffen mit Moscheen, Schulen und Gemeindezentren. Mit Betrieben, in denen Menschen Arbeit finden können. Wir können diese Leute nicht einfach auf einen Flecken Erde setzen und dann sich selbst überlassen.“

An dem Thema Sicherheit entscheidet sich in nächster Zukunft alles in Afghanistan. Rula Ghani hält sich hauptsächlich im Palast auf. Sie kann nur mit Menschen zusammenkommen, wenn sie sie empfängt. Die Berichte all derer, die sich freier bewegen können, sind für sie wie Wasser in der Wüste. Mit ihren Mann, dem Präsidenten, kann sie nur noch Gemeinschaft in kurzen Zeitfenstern pflegen. „Worüber sprechen Sie eigentlich beim Abendessen?“, lautet eine Frage. „Gehen Sie etwa wirklich davon aus, dass wir zusammen zu Abend essen?“, entgegnet sie lachend. Gemeinsame Abendessen sind eine Rarität in umwälzenden und unsicheren afghanischen Zeiten.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de

Schlagwörter: Afghanistan, Rula Ghani, First Lady, Frauen, Gender, Ashraf Ghani, Sicherheitslage, Christin, Präsident, Präsidentengattin, Binnenflüchtlinge, Religion, Religionsgelehrte, Anfeindung, Libanesin, USA, Palast