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Indien: Die „Umsonst-Apotheke“ für Arme

Meldung vom 21.08.2015

In Indien gibt es immer noch kein funktionierendes Gesundheitssystem. Arme können das Geld für Medikamente nicht aufbringen, Kliniken behandeln Schwerverletzte nur oberflächlich und schicken sie wieder nach Hause. Die staatliche Krankenfürsorge ist schockierend schlecht. Wenn der Staat nicht dazu in der Lage ist, müssen Bürgerinitiativen aushelfen. Ein 79-Jähriger hatte eine zündende Idee, wie Arme medizinisch versorgt werden können.

Omkarnath Sharma hat nicht nur das stolze Alter von 79 Jahren erreicht. Der Inder ist auch schwer gehbehindert, seit ihn als 12-Jähriger ein Auto erfasst hatte. Der pensionierte Blutbank-Techniker könnte sich also ruhigen Gewissens zurücklehnen. Doch zum Stillsitzen ist Sharma nicht geschaffen: Fünf bis sieben Kilometer legt er tagein, tagaus in seinen weich gefütterten Pantoffeln zurück, richtige Schuhe kann er nicht tragen. Sein Weg führt ihn durch die besseren Viertel Neu-Delhis.

In einem selbst entworfenen, orangefarbenem Aufzug ruft er dort lautstark sein Anliegen heraus. „Der Medicine Baba ist hier! Gebt mir Eure alten Medikamente! Schmeißt sie nicht weg, sie können das Leben eines Armen retten!“

Sharma bettelt, und es macht ihm nichts aus: Denn mit den Arzneien, die ihm die Hausfrauen der indischen Hauptstadt aushändigen, bestückt er eine „Umsonst-Apotheke“. In der garagengroßen Hütte im Arme-Leute-Viertel Mangla Puri sind die Regale voll. Medikamentenschachteln in allen Farben, angebrochene Tabletten-Röhrchen und halbvolle Arzneimittelflaschen sind nach Alphabet eingeordnet. Sharma sucht ein wenig, dann hat er gefunden, was der draußen wartende Ram Prakash benötigt: Ein Breitband-Antibiotikum und eine entzündungshemmende Salbe.

Prakash arbeitet als lokaler Klempner und ist vor ein paar Tagen von einem Dach gestürzt. Dabei hat sich der 23-Jährige eine große Schürfwunde an der linken Gesichtshälfte zugezogen, die sich jetzt entzündet hat. Mangla Puri ist ein Ort, an dem eine Wunde schnell tödlich enden kann. Das Viertel hat sich wie viele in Delhi schneller vergrößert als seine Infrastruktur. Stromkabel ragen wie Spaghetti-Bündel aus unverputzten Häusern, in den Gassen muss man durch lehmige Pfützen aus Kloake und Regenwasser waten. Von der offenen Müllkippe, wo sich – nur ein paar Meter von Sharmas Apotheke entfernt – wild lebende Schweine tummeln, weht ein unerträglicher Gestank herüber. Armut und mangelnde Hygiene treten in Indien oft gemeinsam auf, entsprechend häufig kommen Infektionen vor.

Für das Antibiotikum, das Prakash fünf Tage lang einnehmen muss, hätte man in einer echten Apotheke 63 Rupien, knapp einen Euro, bezahlen müssen. „Das hätte ich mir nicht leisten können“, gibt der junge Mann zu. Offiziell heißt es, dass es in Indien ein staatliches Gesundheitssystem gibt, innerhalb dessen die Armen unentgeltlich behandelt werden. In die Praxis ist das System völlig überlastet, überall herrscht Geldmangel. Dieser großen Not in der medizinischen Versorgung wollen Aktivisten wie Omkarnath Sharma begegnen.

„Ich war 2008 zufällig Augenzeuge des Unglücks an der Laxmi Nagar Metro-Station“, schildert Sharma. Bei dem Einsturz einer im Bau befindlichen Brücke kamen damals zwei Arbeiter ums Leben, 16 erlitten Verletzungen. Sharma und andere Freiwillige transportierten sie in Krankenhäuser und wurden Zeugen, wie die überforderten Kliniken die teils Schwerverletzten einer kurzen Erste-Hilfe-Behandlung unterzogen und dann wieder nach Hause schickten.

„Ich war schockiert und dachte: Wenn der Staat seinen Bürgern nicht helfen kann, müssen die Bürger sich gegenseitig helfen“, meint Sharma. „Jeder Inder soll Zugang zu der Therapie und den Medikamenten haben, die er braucht. Und wenn er nicht zahlen kann, muss das alles umsonst sein.“ Also begann er, abgelaufene Arzneien zu sammeln und an Bedürftige zu verteilen.

Sharma symbolisiert ein gesellschaftliches Phänomen Indiens – in dem harten Alltag gibt es Nischen der Barmherzigkeit. Wo der Staat scheitert, packen viele Inder die Sache selbst an. Ob Medizin, Medien, Landwirtschaft, Bildung, Justiz: Es gibt kaum einen Missstand in Indien, dem nicht Bürger abhelfen, die sich ehrenamtlich betätigen.

Und Sharma hat keine Unterstützung von großen Firmen beispielsweise. Zwar spenden Wohltäter ab und an mal ein Pflegebett oder eine Sauerstoff-Flasche. Doch generell speist sich seine Apotheke aus dem, was er von seinen täglichen Bettelgängen mitbringt. Es sei bemerkenswert, welche Reichtümer sich in den Badezimmerschränken von Delhi versteckten, sagt der alte Mann. „Ich sammle und verteile Medikamente im Wert von vier bis sechs Lakh Rupien im Monat“, erklärt er. Das sind 5.500 bis 8.300 Euro – so hoch war noch nicht mal sein Jahresgehalt als Laborant.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Indien, Gesundheitssystem, Krankenkasse, Krankheit, Armut, Hygiene, Medikamente, medizinische Behandlung, umsonst, Krankenhäuser, überlastet, Bürgerinitiativen, Ehrenamt, Medizin