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Indien: „Höchstwahrscheinlich unpünktlich“

Meldung vom 01.04.2016

Gerade wurden in Europa die Uhren von Winter- auf Sommerzeit umgestellt. Das indische Zeitgefühl dagegen tickt nicht nach der Uhr. Die Inder richten sich eher nach einem inneren Lebensrhythmus. Termine sind vage – Hektik, um zu einem vereinbarten Treffen zu kommen, gibt es selten. Aber Pünktlichkeit sucht man ebenfalls vergebens. Ein Besuch auf dem Uhren-Basar in Neu Delhi zeigt, dass die Zeit in Indien eher eine untergeordnete Rolle spielt.

Dass in Deutschland immer große Anstrengungen wegen der Zeitumstellung unternommen werden, trifft in Indien auf Unverständnis: Zeit ist relativ, wer eine Verabredung um eine bestimmte Uhrzeit festlegt, meint es nicht wirklich so. Warum ist das so? Die Uhren-Verkäufer im Basar von Delhi geben philosophische Einblicke.

Zwei Kühe stolzieren gemächlich wiederkäuend durch die engen Gassen, alle anderen weichen aus. Selbst die Rikscha-Fahrer, die sonst heftig strampeln, halten an und nehmen einen Umweg in Kauf. Die Zeit vergeht. Es ist halb zwölf an einem ganz normalen Vormittag. Immer noch sind einige Geschäfte auf dem Uhren-Basar in Old Delhi, dem alten Kern der indischen Hauptstadt, geschlossen.

„Wir haben einen sehr toleranten Zeitbegriff“, erklärt Schmuckverkäuferin Lakshmi Rastogi lakonisch. Das bedeutet: Sich aufregen lohnt sich nicht. Wenn alle immer zu spät kommen, ist es wenig sinnvoll, selber pünktlich zu sein. Aber ist Zeit nicht auch in Indien gleichbedeutend mit Geld?

Uhrenmacher Rajinder Kumar hat gerade erst das Rollgitter zu seinem kleinen Laden hochgezogen. Sein Geschäft nennt sich Rajinder Times, Rajinders Zeiten. Es befindet sich in einer der ältesten Uhrenmachergassen von Old Delhi. „Inder glauben nicht an das Konzept der Pünktlichkeit, also sind wir auch nicht pünktlich“, betont Rajinder lachend. In Indien sind alle „höchstwahrscheinlich unpünktlich!“

Und je länger er darüber redet, desto philosophischer wird er: „Die Zeit ändert sich für jeden Menschen, etwa alle vier bis fünf Jahre gibt es einen großen Einschnitt. Es heiratet jemand in der Familie, ein Kind wird geboren, es stirbt jemand“, weiß der grauhaarige Uhrenverkäufer mit Halbglatze, der längst auch chinesische Massenware im Schaufenster liegen hat. „Die Zeit ist auch in Indien wichtig, auch hier kann man nicht nur faul sein“, unterstreicht er. „Aber die Menschen hier sagen sich, dass sie ihre Aufgaben erledigen, wenn die Zeit reif dafür ist.“

Rajinder Kumar erfasst die Zeit wie viele Inder in einem größeren Rahmen. Nicht Sekunden, Minuten oder Stunden seien ausschlaggebend, sondern es drehe sich um den Fluss des Lebens. Die meisten Inder gehören dem Hinduismus an – und Hindus sind von der Wiedergeburt überzeugt. Das Leben hat also keinen Schlusspunkt, sondern es vollzieht sich in Kreisläufen.

Relativiert das die Definition von Zeit? „Vielleicht“, meint Niranjan Shah und wackelt mit dem Kopf, wie es viele Inder tun, wenn sie sich auf Debatten einlassen. Der große, schlanke Niranjan arbeitet daran, die Zeiger und Zifferblätter alter Uhren auszuwechseln. „Warum das mit der Zeit bei uns so ist, kann ich auch nicht abschließend erklären. Aber wir Inder denken eben, dass alles zu seiner eigenen Zeit passiert. Das ist tief in uns verankert und so denken wir von Kindheit an. Unsere Eltern erziehen uns nicht zur Pünktlichkeit – schon die Erziehung spiegelt unser Zeitgefühl wider.“

In einem berühmten Bollywood-Song aus den 70er-Jahren gibt der verliebte Hauptdarsteller das indische Zeitgefühl am besten wieder: „Die Uhr tickt und tickt und tickt, die Momente bilden eine Kette aus gestern, heute und morgen. Immer weiter, und immer weiter.“ Niranjan, der junge Philosoph vom Uhrenbasar in Old Delhi, fasst das in seine eigenen Worte: „Die Zeit ist nicht wichtiger als das Leben selber.“

Er hat gehört, dass gerade die Deutschen durchs Leben hetzen und nur noch auf Zeit und Pünktlichkeit ausgerichtet sind. „Hier in Indien gehen die Menschen so mit der Zeit um, dass das Leben nicht in Stress ausartet. Stress macht dich krank. Ihr Deutschen müsst lernen, loszulassen. Vielleicht nicht ganz, aber ein bisschen loslassen.“

Die Hetze, den Zeitdruck loslassen – vielleicht ist das tatsächlich eine Möglichkeit, um den wahren Wert der Zeit zu ermessen. So wie die Kühe, die sich mitten im chaotischen Verkehr und Fußgängertumult von Old Delhi für ein Mittagsschläfchen aufs Pflaster niedergelassen haben. Sie versperren den Weg und kosten Zeit, aber keiner nimmt daran Anstoß.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de

Schlagwörter: Indien, Zeit, Zeitumstellung, Winterzeit, Sommerzeit, Zeitgefühl, Hektik, Uhren, Uhrenbasar, Neu Delhi, Old Delhi, Uhrenverkäufer, Hinduismus, Wiedergeburt, Lebensrhythmus, Stress, Hetze, Pünktlichkeit, Unpünktlichkeit, Zeitbegriff