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Afghanistan: Von der Braut zur Rapperin

 
Meldung vom 05.04.2016

Eine junge Frau in Afghanistan wehrt sich mit einem Rapsong gegen die Zwangsheirat. Sonita war 18, als ihre Mutter sie als Braut an einen Mann verkaufen wollte. Doch Sonita ging in den Protest und sorgte mit einem Rapsong auf Youtube für Aufruhr. Sie wurde als Nachwuchstalent entdeckt. Als Star des Films „Sonita“ drang ihre Botschaft schließlich in alle Welt.

„Das bin ich“, sagt Sonita und hält ein Foto von Rihanna in die Höhe. Sie nimmt das Foto der Popgöttin – selbstbewusste Pose auf der Bühne, rote Perückenmähne, knappe Kleidung – und klebt ihr eigenes Gesicht über das ihre. „Ein bisschen klein.“ Aber es passt schon, man muss ja von etwas Größerem träumen, solange man klein ist. Oder klein gehalten wird, so wie Sonita Alizadeh, deren Zimmer alles das aufweist, was auch bei anderen typischen Teenagern zu finden ist: An der Wand hängt ein Justin-­Bieber-Poster, im Notizbuch prangen Starfotos.

Aber Sonita kam 1996 in Afghanistan auf die Welt, während der Wirren des Bürgerkriegs und den Machenschaften der Taliban. Sie fand Unterschlupf in Teheran, Iran, wo sie als illegale Immigrantin lebte, ein Pop-Fan in einem Land, in dem es Frauen offiziell untersagt ist, in der Öffentlichkeit zu singen. Die Mutter befiehlt Sonita, in die Heimat zurückzukehren. Sie möchte sie zwangsverheiraten, um ihrem Sohn mit den 9.000 Dollar Brautgeld eine Frau zu kaufen.

Die überklebte Rihanna wird zu Beginn von „Sonita“ eingeblendet, der Dokumentarfilm über das Leben der jungen Afghanin im Iran. Das Bild wird am Schluss wiederholt, doch nun ist es Sonita, die auf die Bühne tritt. Dann wird ein Traum zur Wirklichkeit. Dann ist ein Mädchen aus der Begrenzung seiner Umstände herausgetreten. Vielleicht ging das alles ein wenig schnell.

Zum Interview in Zürich kommt die mittlerweile 19-Jährige direkt aus San Francisco angeflogen, im Gespräch erscheint sie müde, zerbrechlich und hungrig dazu. Ein fragiles Wesen, man will es gar nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Jeden Satz beginnt Sonita mit einem bedachten „So ...“. „So, it’s a bit strange.“ „Ein bisschen seltsam“, so ist ihr neues Leben in den USA nämlich, wo sie heute dank eines Stipendiums die progressive Wasatch Academy in Utah besuchen darf.

Von dort erhielt sie eine Einladung, nachdem Sonita ein Musikvideo auf Youtube hochgeladen hatte. In „Daughters for Sale“ (Töchter zum Verkauf) prangert sie den afghanischen Brauch der Zwangsheirat an. Es ist der atemlose autobiografische Rap eines Mädchens, das sich endlich Gehör verschaffen will und darum kämpft, als Mensch anerkannt zu werden. Ein Stakkato-Lied als Befreiungsschlag, im persischen Dialekt Afghanistans.

Im Clip wurde Sonita ein Strichcode auf die Stirn gemalt, ihr zerschundenes Gesicht ist von einem Brautschleier umrahmt. Ein bisschen melodramatisch, ja, aber nur Andeutungen muss man sich erst einmal leisten können. Sonita konnte diesen Luxus nicht aufbringen. Die Zwangsehe in Afghanistan sei das wahre Schicksal für viele Mädchen aus armen Familien, sagt sie. „Sie erzählen alle dieselbe Geschichte wie ich.“

Sonita aber hat die Geschichte in eine Rap-Form gebracht. Die iranische Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami gab ihr für den Clip ihre Kamera. Zuerst wollte sie den Alltag von Straßenkindern in Teheran dokumentieren, begegnete dann aber dem rappenden Mädchen aus Afghanistan. Maghami filmte Sonita. Als die alte Mutter nach Teheran anreist, um Sonita mitzunehmen und zu verheiraten, wird es dramatisch wie im Film – und die Regisseurin kommt zu dem Schluss, dass es wenig bringt, ein trauriges Schicksal zu filmen, wenn man es in der Hand hat, dieses Leben zu ändern. Sie zahlt der Mutter 2.000 Dollar, dafür erhält Sonita ein paar Monate Aufschub. In dieser Zeit entsteht ihr Video. Und nun wird aus Film Wirklichkeit: Sonitas Geschichte ist ein Hindernislauf mit Happy End, die Geschichte einer gewonnenen Selbstbestimmung.

„Ich wusste, dass ich eines Tages ein Mensch sein werde.“ Nur dass sich das so schnell entwickeln würde, ahnte sie nicht. „Ich wollte halt über Dinge rappen, die in der Welt geschehen.“ Auch träumte sie davon, in eine richtige Schule zu gehen, weil das vielen afghanischen Mädchen nicht erlaubt ist. Jetzt, als Schülerin in den USA, steht sie gegen Kinderehen auf und lässt sich von Afghanistan inspirieren, worüber sie rappen soll. Da unterwirft sie ihre Kunst allmählich auch dem moralischen Auftrag: „Weil der Film mein Leben verändert hat, kann ich nun das Leben anderer Mädchen verändern.“

Den Rap nutzt sie als Medium für ihre Botschaften und schafft nun eine Art von sozialkritischem „conscious rap“ – nach dem Vorbild des amerikanischen Hip-Hop, der sich im Westen längst eingebürgert hat. Doch in Afghanistan ist das alles ganz neu und wird zur Globalsprache für die Sprachlosen. „In den USA schreiben Rapper Lieder über ihre Girlfriends, und viele hören nur diese frohen Songs. Ich will niemanden traurig stimmen, ich will nur mitteilen, was in anderen Ländern geschieht.“ Rap sei ein Mittel, um die Wahrheit auszusprechen. In Afghanistan sei man noch der Tradition verhaftet, die Jugend aber höre dort auch Rap, und wenn man einen Song laut stellen würde, würde unweigerlich auch die Familie damit konfrontiert.

Ihre eigene Familie habe den Film noch nicht gesehen, aber sie sei der rappenden Tochter inzwischen nicht mehr böse. „Anfangs sagte meine Familie, es sei nicht gut, ein Mädchen aus Afghanistan solle Ruhe geben und Ja sagen. Dann hat sie mein Video gesehen. Meine Mutter war nicht überglücklich, aber sie sagte nicht, dass ich etwas Schreckliches getan habe.“ Unterdessen hat Sonita einen Song über eine Frau geschrieben, die in Kabul ermordet wurde. Und ihre Familie musste sich damit abfinden, dass auch die Tochter inzwischen „Macht“ hat.

Das Notizbuch, dem sie ihre Träume anvertraut, hat sie noch immer. Sie nennt es ihr „dreamsbook“ (Traumbuch), es habe sich noch weiter gefüllt. Dieses Jahr will sie eine Organisation ins Leben rufen, um mit Eltern und Religionsführern in Afghanistan einen Dialog zu eröffnen. Ihr neuester Wunsch ist jetzt, Anwältin für Frauenrechte werden. Und andere Mädchen zu unterstützen, einen eigenen Lebensentwurf zu entwickeln – damit aus dem Abziehbild ein Original wird.






Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Tagesanzeiger“, tagesanzeiger.ch

Schlagwörter: Afghanistan, Sonita, Rap, Rapsong, Zwangsheirat, Braut, Musik, Teenager, Dokumentarfilm, Frauenrechte, Gender, Menschenrechte, verkaufte Töchter, Frauen, Mädchen, Brautgeld, Musikvideo, Clip, Rokhsareh Ghaem Maghami, Kino, Teheran, USA, Rihanna