Indien: Wo Witwen sich von ihrem Stigma befreien |
Meldung vom 20.04.2016
Witwen in Indien stehen auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Früher wurden sie mit dem Tod ihres Mannes mit auf den Scheiterhaufen geworfen, heute werden sie zumindest gemieden und schlecht behandelt. Die allein stehenden Frauen leben in erbärmlichen Verhältnissen. Doch seit kurzem richten sich die gedemütigten Frauen auf.
Allein ihr Anblick soll Unglück bringen – nur hinter weißen Schleiern verborgen zeigen sich Witwen in Indien auf der Straße. Meistens müssen sie betteln, um zu überleben. Aus ihren Häusern vertrieben, von ihren Familien verstoßen und von der Gesellschaft stigmatisiert, fristen sie ein erbärmliches Dasein. Ihr Vergehen: Sie sind am Leben, obwohl ihre Ehemänner gestorben sind.
Die meisten der rund 45 Millionen Witwen in Indien leiden unter Isolation und Armut. In früheren Zeiten wurden sie sogar mit ihren verstorbenen Ehemännern eingeäschert. Erst die britischen Kolonialherren verboten 1829 den verbreiteten Ritus der Witwenverbrennung, der indische Begriff dafür lautet „Sati“. Heute werden hinduistische Witwen stattdessen für den Rest ihres Lebens aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
Nach dem Tod ihrer Männer wird ihnen der Kopf geschoren, sie müssen weiße Kleidung anlegen und dürfen nur einfache, vegetarische Kost verzehren. Die Teilnahme an religiösen Festen oder Familienfeiern ist ihnen verwehrt. An weltliche Vergnügungen wie tanzen ist nicht mehr zu denken und Schmuck dürfen sie auch nicht mehr tragen. Eine Wiederheirat ist ausgeschlossen.
Meist landen sie in einem „Ashram“, einem klosterähnlichen Zentrum, wo die Frauen „Buße“ tun für die Sünden, die zum Tod ihres Mannes geführt haben sollen. Einige lassen sich freiwillig auf ein solches Leben ein. Die meisten gezwungenermaßen, weil sie kein Geld haben und ihre Familien ihnen nicht helfen. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und hygienischen Einrichtungen.
Um diese ausweglose Situation ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, entschied sich der indische Soziologe Bindeshwar Pathak für einen gesellschaftlichen Verstoß: Den Traditionen und Verboten zum Trotz, lud er Ende März 2013 Hunderte Witwen in der indischen Stadt Vrindavan zum Holi-Fest ein. Das ist das Fest des Frühlings und der Farben, bei dem sich die Menschen in Indien mit Farbpulver und Blütenblättern bewerfen. Für eine gesellschaftliche Veränderung muss er das Volk und die Medien auf seine Seite bringen, ist sich Pathak sicher. Deshalb organisierte er diese symbolische Aktion, die bis heute jedes Jahr stattfindet.
Der erstmalige Verstoß sorgte 2013 für Schlagzeilen in vielen indischen und einigen ausländischen Zeitungen. Der französische Fotograf Xavier Zimbardo hält die Geschichte nun in dem Bildband „Angels of Ghost Street“ fest. Drei Jahre lang hat er die Witwen, die in der Stadt Vrindavan Obdach fanden, begleitet und ihren Weg von der Verzweiflung zur Hoffnung in faszinierenden und farbintensiven Bildern eingefangen.
„Am Anfang sahen die Frauen so verloren und depressiv aus. Sie waren allein und hatten keine Freude in ihrem Leben“, meint Zimbardo. Die Bilder fangen Frauen ein, die ihr Essen aus Schüsseln auf dem nackten Boden verzehren, auf einen Stock gestützt barfuß und bettelnd durch die Straßen gehen und auf Holzbänken schlafen. Ihr Blick spricht Bände: Die Augen sind verunsichert, traurig, hoffnungslos. Hilfsorganisationen definieren das Leben der Frauen als eine Art „lebendes Sati“. Früher wurde von einer Witwe in Indien oft verlangt, ihrem Mann als „ideale Gattin“ in den Tod zu folgen. Sie wurde bei lebendigem Leib mit seiner Leiche zusammen auf dem Scheiterhaufen eingeäschert. „Man geht davon aus, dass Witwenverbrennungen in Indien seit mehr als zweitausend Jahren vorgekommen sind. Zuverlässig schriftlich überliefert sind sie erst seit dem Alexanderzug im 4. Jahrhundert vor Christus“, erklärt der Schweizer Historiker Jörg Fisch von der Universität Zürich.
Umstritten ist, ob die Frauen sich diesem Ritus immer freiwillig unterwarfen. „Es besteht kein Zweifel, dass beides vorgekommen ist – Akte eines ungeheuren Heroismus, auch wenn dieser fehlgeleitet gewesen sein mag, und vielfältiger Zwang und Brutalität“, nimmt der Geschichtsprofessor an. Witwenverbrennungen sind nach indischem Gesetz zwar heute offiziell untersagt und werden strafrechtlich geahndet, in Wirklichkeit aber nicht nur weitgehend akzeptiert, sondern von breiten Schichten als heroische Tradition wertgeschätzt, erklärt Fisch. „Es handelt sich um tiefverwurzelte Traditionen, die nicht einfach mit dem Hinweis auf Menschenrechte aus der Welt geschafft werden können“, sagt Fisch. „Noch heute wird eine Witwe, die sich verbrennt, in breiten Schichten als Göttin verehrt.“
Inzwischen setzen sich aber Hilfsorganisationen für ein besseres Leben dieser Frauen ein. Die Organisation Sulabh International, bei der 50.000 Freiwillige mitarbeiten, hat beispielsweise erreicht, dass die Witwen nach ihrem Tod gemäß ihrer Religion bestattet werden. Früher erwartete die Frauen kein würdiges Ende: „Ihre Leichen wurden einfach in Stücke gehackt, in Jutesäcke gepackt und in den Fluss Yamuna geworfen, weil die Mittel für eine ordnungsgemäße Verbrennung fehlten“, kritisiert Pathak.
Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de
Allein ihr Anblick soll Unglück bringen – nur hinter weißen Schleiern verborgen zeigen sich Witwen in Indien auf der Straße. Meistens müssen sie betteln, um zu überleben. Aus ihren Häusern vertrieben, von ihren Familien verstoßen und von der Gesellschaft stigmatisiert, fristen sie ein erbärmliches Dasein. Ihr Vergehen: Sie sind am Leben, obwohl ihre Ehemänner gestorben sind.
Die meisten der rund 45 Millionen Witwen in Indien leiden unter Isolation und Armut. In früheren Zeiten wurden sie sogar mit ihren verstorbenen Ehemännern eingeäschert. Erst die britischen Kolonialherren verboten 1829 den verbreiteten Ritus der Witwenverbrennung, der indische Begriff dafür lautet „Sati“. Heute werden hinduistische Witwen stattdessen für den Rest ihres Lebens aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
Nach dem Tod ihrer Männer wird ihnen der Kopf geschoren, sie müssen weiße Kleidung anlegen und dürfen nur einfache, vegetarische Kost verzehren. Die Teilnahme an religiösen Festen oder Familienfeiern ist ihnen verwehrt. An weltliche Vergnügungen wie tanzen ist nicht mehr zu denken und Schmuck dürfen sie auch nicht mehr tragen. Eine Wiederheirat ist ausgeschlossen.
Meist landen sie in einem „Ashram“, einem klosterähnlichen Zentrum, wo die Frauen „Buße“ tun für die Sünden, die zum Tod ihres Mannes geführt haben sollen. Einige lassen sich freiwillig auf ein solches Leben ein. Die meisten gezwungenermaßen, weil sie kein Geld haben und ihre Familien ihnen nicht helfen. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und hygienischen Einrichtungen.
Um diese ausweglose Situation ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, entschied sich der indische Soziologe Bindeshwar Pathak für einen gesellschaftlichen Verstoß: Den Traditionen und Verboten zum Trotz, lud er Ende März 2013 Hunderte Witwen in der indischen Stadt Vrindavan zum Holi-Fest ein. Das ist das Fest des Frühlings und der Farben, bei dem sich die Menschen in Indien mit Farbpulver und Blütenblättern bewerfen. Für eine gesellschaftliche Veränderung muss er das Volk und die Medien auf seine Seite bringen, ist sich Pathak sicher. Deshalb organisierte er diese symbolische Aktion, die bis heute jedes Jahr stattfindet.
Der erstmalige Verstoß sorgte 2013 für Schlagzeilen in vielen indischen und einigen ausländischen Zeitungen. Der französische Fotograf Xavier Zimbardo hält die Geschichte nun in dem Bildband „Angels of Ghost Street“ fest. Drei Jahre lang hat er die Witwen, die in der Stadt Vrindavan Obdach fanden, begleitet und ihren Weg von der Verzweiflung zur Hoffnung in faszinierenden und farbintensiven Bildern eingefangen.
„Am Anfang sahen die Frauen so verloren und depressiv aus. Sie waren allein und hatten keine Freude in ihrem Leben“, meint Zimbardo. Die Bilder fangen Frauen ein, die ihr Essen aus Schüsseln auf dem nackten Boden verzehren, auf einen Stock gestützt barfuß und bettelnd durch die Straßen gehen und auf Holzbänken schlafen. Ihr Blick spricht Bände: Die Augen sind verunsichert, traurig, hoffnungslos. Hilfsorganisationen definieren das Leben der Frauen als eine Art „lebendes Sati“. Früher wurde von einer Witwe in Indien oft verlangt, ihrem Mann als „ideale Gattin“ in den Tod zu folgen. Sie wurde bei lebendigem Leib mit seiner Leiche zusammen auf dem Scheiterhaufen eingeäschert. „Man geht davon aus, dass Witwenverbrennungen in Indien seit mehr als zweitausend Jahren vorgekommen sind. Zuverlässig schriftlich überliefert sind sie erst seit dem Alexanderzug im 4. Jahrhundert vor Christus“, erklärt der Schweizer Historiker Jörg Fisch von der Universität Zürich.
Umstritten ist, ob die Frauen sich diesem Ritus immer freiwillig unterwarfen. „Es besteht kein Zweifel, dass beides vorgekommen ist – Akte eines ungeheuren Heroismus, auch wenn dieser fehlgeleitet gewesen sein mag, und vielfältiger Zwang und Brutalität“, nimmt der Geschichtsprofessor an. Witwenverbrennungen sind nach indischem Gesetz zwar heute offiziell untersagt und werden strafrechtlich geahndet, in Wirklichkeit aber nicht nur weitgehend akzeptiert, sondern von breiten Schichten als heroische Tradition wertgeschätzt, erklärt Fisch. „Es handelt sich um tiefverwurzelte Traditionen, die nicht einfach mit dem Hinweis auf Menschenrechte aus der Welt geschafft werden können“, sagt Fisch. „Noch heute wird eine Witwe, die sich verbrennt, in breiten Schichten als Göttin verehrt.“
Inzwischen setzen sich aber Hilfsorganisationen für ein besseres Leben dieser Frauen ein. Die Organisation Sulabh International, bei der 50.000 Freiwillige mitarbeiten, hat beispielsweise erreicht, dass die Witwen nach ihrem Tod gemäß ihrer Religion bestattet werden. Früher erwartete die Frauen kein würdiges Ende: „Ihre Leichen wurden einfach in Stücke gehackt, in Jutesäcke gepackt und in den Fluss Yamuna geworfen, weil die Mittel für eine ordnungsgemäße Verbrennung fehlten“, kritisiert Pathak.
Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de