Unser Service für Sie


 [ » Newsletter ]

[ » zum Kontakt-Formular ]

[ » Material bestellen ]

[ » Geschenke bestellen ]



Videos aus unseren Projekten finden Sie auf unserem Youtube-Kanal.
[ » Gebende Hände – Youtube-Kanal ]


Indien: Wanderarbeiter – Ein Leben ohne Träume

Meldung vom 19.05.2016

In Indien herrscht ein enormer Arbeitsplatzmangel. Viele junge Männer sind arbeitslos. Hier trifft man auf das Phänomen der Wanderarbeiter. Mit 20 anderen Wanderarbeitern müssen sie sich ein Zimmer teilen und für einen Hungerlohn harte Arbeiten übernehmen. Trotz elendiger Verhältnisse zieht es noch immer, 25 Jahre nach dem Wirtschaftsaufschwung, Wanderarbeiter in die großen Städte Indiens.

Die Uhr zeigt bereits 9 Uhr morgens. Auf dem Markt der Wanderarbeiter am „Bara Tooti Chowk“ in Old Delhi, dem alten Teil der indischen Hauptstadt, harren noch immer Hunderte schmächtige Männer auf einen Tagesjob. „Ich habe nichts gelernt. Ich nehme jede Arbeit an“, erklärt Bhagirath und wartet weiter. Mal reißt er mit einem Schlaghammer Häuserwände auf einer Baustelle ein. Mal schultert er schwere Lasten durch die engen Gassen der Altstadt.

Bhagirath kommt aus einem kleinen Dorf im Osten Indiens, das bis heute nicht über Toiletten verfügt. Ans Stromnetz angeschlossen wurde das Dorf erst vor einem Jahr, doch es gibt oft Stromausfälle. „Hier in der Stadt ist alles so schnell. Das war am Anfang schlimm für mich. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. So viele Menschen und Häuser, so viel Lärm und Dreck, so viele Sachen zu kaufen. Ich hatte Angst, dass mich ein Auto überfährt“, berichtet er. Er sehnte sich stark nach Hause. Seine Mutter bat ihn inständig durchzuhalten.

„Wir hatten Schulden, weil wir uns viel Geld beim Geldverleiher leihen mussten. Mein Vater war sehr krank und brauchte viel Medizin. Ich musste die Schule früh verlassen“, fasst Bhagirath zusammen. Sein Vater starb an Tuberkulose und vermachte der Familie rund 700 Euro Schulden. Der durchschnittliche Monatsverdienst eines männlichen Wanderarbeiters in Delhi beträgt etwa 80 Euro. Davon müssen die Wanderarbeiter in der Großstadt zurechtkommen, wo die Preise um ein Vielfaches höher sind als auf dem Land. Das, was übrig bleibt, sendet Bhagirath ins Dorf zu seiner Mutter, zu den drei jüngeren Brüdern und zu seiner Schwester. In seinem besten Monat bisher hat er einmal 130 Euro Lohn erhalten. Damals ist er sofort nach Hause gefahren, um Gemeinschaft mit seiner Familie zu haben.

„Ich habe immer nur gearbeitet seit ich hier bin“, gesteht Bhagirath leise und fügt hinzu: „Mein Leben ist ruiniert, aber meine Geschwister haben vielleicht eine Chance.“ Vielleicht. Indiens Milliarden-Bevölkerung vergrößert sich schnell. Fast jeder zweite Inder ist heute noch nicht 25 Jahre alt. Die Jobs reichen nicht für alle. Der Konkurrenzkampf ist gnadenlos, die Anziehungskraft der Städte riesig.

Das früher sozialistisch orientierte Indien wandte sich im Sommer 1991 langsam der Weltwirtschaft zu. Das Ballungsgebiet um Neu-Delhi beherbergte damals knapp über neun Millionen Einwohner. Heute ist die Einwohnerzahl auf fast 22 Millionen angewachsen, wenn man die neuen Satellitenstädte mitzählt. Die Slums greifen um sich, das Wasser wird rar. Die sozialen Spannungen vermehren sich. Die Politik bietet keine Lösungen.

Jetzt ist Mittagszeit auf dem Markt der Tagelöhner in Old Delhi. Bhagirath wird endlich angeheuert. Er manövriert mit einer schwer beladenen Holzkarre Güter durch die engen, verstopften Pfade eines chaotischen Großmarkts für Haushaltswaren. Sein Erwerb beträgt weniger als zwei Euro. „Viele unserer Auftraggeber betrügen uns. Einige wollen am Ende eines Tages gar nichts zahlen, andere geben uns weniger als ausgemacht war“, sagt Karu, dem noch immer keiner eine Arbeit übertragen hat und der weiter wartet. „Wir sind ungelernt und können keine Forderungen stellen. Wir können nur bitten“, meint er traurig. Wer krank wird oder sich eine Verletzung zuträgt, muss den Schaden selbst tragen.

Karu kam vor 25 Jahren auf die Welt. Im Jahr der wirtschaftlichen Öffnung. Aber man kann nicht sagen, dass er davon profitiert hätte. Er hat nie eine Schule besucht. „Ich will hier genug Geld verdienen, um mir zu Hause ein ordentliches Haus aus Steinen zu bauen – wenigstens das.“ Karus Heim auf dem Land ist eine Lehmhütte mit zwei Zimmern, in der seine Eltern mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern leben.

Karu
war 15, als er seinem Dorf den Rücken zukehrte, um in der großen Stadt Arbeit anzunehmen. In Delhi schläft er mit 20 anderen Wanderarbeitern auf dem Boden eines einzigen Zimmers. Jeder entrichtet dem Vermieter umgerechnet etwas mehr als sechs Euro im Monat. Der Alkoholkonsum ist groß. Der Raum ist möbellos. Ein Bad und eine Toilette sind ebenfalls nicht vorhanden. Die Männer strecken sich auf dem Boden aus. Wer abends nicht rechtzeitig eintrifft, muss im Sitzen oder draußen auf der Straße schlafen. Schlägereien sind an der Tagesordnung. Die Arbeiter nähen ihr Geld und ihre Papiere in die Kleidung ein.

„Ich träume von einem großen, schönen Haus so wie es sie hier in Delhi gibt. Ich würde mich zu Hause auch gerne selbstständig machen. Wenn ich könnte, würde ich Maschinen kaufen, mit denen ich Reis putzen und Weizen dreschen kann“, berichtet Karu. An den meisten Tagen untersagt er sich Träume: „Wie soll mein Traum jemals wahr werden, wenn ich hier rund um die Uhr schufte und trotzdem arm bleibe?“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „ARD-Nachrichten online“, ard.de

Schlagwörter: Indien, Wanderarbeiter, Arbeitslosigkeit, Zeitarbeit, Arbeitsplatzmangel, Wirtschaftswachstum, Demographie, junge Männer, Bara Tooti Chowk, Markt der Wanderarbeiter, Slums, Wasser, soziale Konflikte, Tagelöhner, Lohn, Gehalt, Armut, Ausbeutung, Menschenrechte, Großstadt, Metropole, Jobs, Neu Delhi