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Afghanistan: Der Friedhof als Treffpunkt für Liebende

Meldung vom 05.08.2016

In Afghanistans Hauptstadt Kabul gibt es kaum einen sicheren Ort. Überall besteht die Gefahr von neuen Anschlägen. Doch einen Ort haben die Taliban noch nicht attackiert: den Friedhof. Grund genug, aus dem Ort der ewigen Ruhe einen Treffpunkt für Liebende und Erholung Suchende zu machen. Flanierende Pärchen, spielende Kinder, kleine Menschenansammlungen in angeregtem Gespräch vertieft: Am Wochenende sind die Friedhöfe in Afghanistan hoch frequentiert. Für sie stellen die Grabstätten Orte der Ruhe und der Entspannung dar.

Doch ein Ort der ewigen Ruhe wird gemieden: Der Friedhof der Selbstmörder am Rande Kabuls. Der Wind reißt an den kahlen Bäumen und treibt eine Staubwolke nach der anderen vor sich her. Hier kann man sich beim besten Willen kein Paradies mehr vorstellen. Hier, auf den kahlen Berghängen am äußerten, südöstlichen Stadtrand von Kabul, verscharrt die afghanische Hauptstadt ihre Selbstmordattentäter – oder deren zerstückelte Reste.

„Die Mitarbeiter der Stadt sind gute Leute, die kommen oft her, um Leichen zu begraben“, berichtet der zwölfjährige Kamal, der in einer Siedlung in der Nachbarschaft wohnt. Der erste Selbstmordanschlag in Afghanistan ereignete sich am 9. September 2001 – genau zwei Tage vor den Terrorangriffen auf New York und Washington. Die Attentäter rissen Ahmad Shah Massoud in den Tod, der damals den Kampf gegen die Taliban vorantrieb.

Heute vergeht in Afghanistan kaum eine Woche ohne neue Gewalt und Attentate. Dutzende schmucklose Steine im Geröll weisen auf die anonymen Gräber hin. In den namenlosen Erdgruben liegen Obdachlose, Flüchtlinge oder Verstoßene, die unbekannt verstorben sind. Und hier befinden sich die Gebeine derer, die sich in menschliche Bomben verwandelt haben.

„Die sind böse. Die töten, weil sie ganz Afghanistan erobern wollen“, ereifert sich Kamal. Der schmächtige Junge mit den kurz geschorenen Haaren weist auf ein karges, frisches Grab, auf dem eine einfache Bahre liegt. Einer der städtischen Mitarbeiter scheint sie zurückgelassen zu haben.

Einen halben Kilometer bergab beginnt ein Familienfriedhof. Hier müht sich Hidayatullah mit anderen Männern aus seiner Familie an einer prächtigen Grabstätte ab. „Das hier ist das Grab meines Vaters, das ist meine Verantwortung. Die anderen Gräber da hinten, für die ist die Regierung verantwortlich. Wenn ich mich um sie kümmern würde, würde ich mich sofort verdächtig machen“, sagt er etwas schroff. Der große bärtige Mann ist kein Sympathisant der afghanischen Regierung, das wird überdeutlich.

„Das menschliche Leben hat keinen Wert in Afghanistan. Ein Auto hat hier einen Wert. Ein Handy hat auch einen Wert. Aber nicht der Mensch, weil hier niemand in den Wert des Menschen investiert“, kritisiert Hidayatullah gestikulierend und fügt hinzu: „Die Afghanen sind mit zwei Drogen zugedröhnt: mit fehlender Bildung und mit politischer Gier.“

Die meisten afghanischen Attentäter werden unter jungen Männern rekrutiert. Sie glauben, einen heldenhaften Märtyrertod im sogenannten Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen und Besatzer zu sterben, um ins Paradies eintreten zu können. Viele sind in den großen afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan groß geworden und haben dort Koranschulen durchlaufen. „Wer den wahren Wert seines Lebens kennt, sprengt sich nicht in die Luft“, meint Hibayatullah und fragt: „Oder würdest du mir deine Augen verkaufen, wenn ich dir viel Geld anbiete?“ Dann wendet er sich ab, um weiter an der Grabstätte seines Vaters zu werkeln. Das Gespräch ist beendet.

„Komm, mach ein Foto mit uns. Wir wollen ein Foto mit dir. Wir wollen dir zeigen, dass nicht alle Afghanen Terroristen sind“, bittet Nargis aufmunternd auf einem Friedhof am anderen Ende der Stadt. Die resolute Lehrerin hat sich mit ihrer Familie beim Picknick auf eine Decke gesetzt. „Ausländer denken schlecht über Afghanen, wegen der vielen Terroranschläge. Aber wir sind keine Terroristen“, betont Nargis energisch. An den Wochenenden entflieht sie mit ihrer Familie regelmäßig dem Alltag, indem sie den Kart-e-Sakhi Friedhof besucht, zu dem auch ein prächtiger Schrein gehört. Der Friedhof befindet sich im Westen Kabuls und zählt zu den größten der Stadt. Für Nargis ist er ein Rückzugsraum des Friedens und der Ruhe. Ein Ort, an dem sie sich als Frau draußen an der frischen Luft aufhalten kann, ohne Angst vor Gewalt haben zu müssen, wie sie sagt. „Die Attentäter wollen Angst und Schrecken verbreiten und unser Leben zerstören. Sie sind die Werkzeuge anderer. Das sind ungebildete Menschen. Die empfinden keine Schuld“, kritisiert Nargis verächtlich.

Die fünf lachenden Wasserkinder haben sich hier ihre eigene Welt erschaffen. Weit weg sind das Sirenengeheul, der Aufruhr, die Unsicherheit. Für sie wurde der riesige Friedhof zum Spielplatz und Arbeitsplatz zugleich. Die Kinder schleppen Wasser aus dem Schrein, füllen es in kleine Gefäße ab und verkaufen es an die Besucher, damit diese die Grabsteine reinigen können. An guten Tagen nehmen sie damit bis zu fünf Euro ein.

Und wenn die Wasserkinder kein Wasser loswerden, bleiben der Spaß und die Freiheit, zwischen den Toten auf dem Friedhof zu spielen – in einer Stadt, die kaum Grünanlagen vorweisen kann und in der Beerdigungen nach fast 40 Jahren Krieg in jeder Familie zum Alltag gehören. Hier, in Kart-e-Sakhi, sind viele Opfer begraben, die bei den Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt umgekommen sind. Soldaten, Polizisten, aber vor allem Zivilisten. Auf ihren Grabsteinen kann man lesen, dass sie Märtyrer sind.

Zwischen den Gräbern spazieren auffällig viele junge Menschen. Der Friedhof ist auch einer der wenigen Plätze, an dem sich heimlich Verliebte im Schutz der Toten begegnen und miteinander sprechen können. „Wenn man hierherkommt, hat man seine Ruhe. Hier kann man atmen. Wer beten will betet, aber Touristen sind auch hier. Der Blick ist so toll. Das ist ein offener, freier Ort“, erklärt ein junger Mann mit Smartphone, der mit ein paar Freunden auf dem Friedhof zusammenkommt, als sei es der angesagteste Treffpunkt von Kabul.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Deutschlandfunk“, dradio.de

Schlagwörter: Afghanistan, Friedhof, Terror, Selbstmordattentate, Taliban, Liebende, Treffpunkt, Spielplatz, Kinder, Märtyrer, Paradies, ewige Ruhe, Selbstmordattentate, Kabul, Gewalt, Tote, Friedhof der Selbstmörder