Haiti: Präsidentschaftswahl am 20. November – wieder einmal

Meldung vom 17.11.2016

Der Karibikstaat Haiti muss seit einem dreiviertel Jahr ohne Staatsoberhaupt auskommen. Damit soll jetzt Schluss sein: Die nächste Wahl steht am 20. November an. Falls diesmal alles glatt läuft – und das ist sehr fraglich – kann sich der neue Präsident auf viele brisante Baustellen einstellen.

An die politische Krise in Haiti hat sich inzwischen fast jeder auf der Insel gewöhnt. Seit Februar 2016 führt kein gewählter Präsident mehr das Land. Doch Haiti ist dringend auf politische Stabilität angewiesen – die Herausforderungen an den neuen Staatschef sind überwältigend.

Aufbauhelfer, Schlichter, Krisenmanager – wer in Haiti an die Spitze der Macht will, muss viele Facetten vereinen. Der Karibikstaat kämpft mit bitterer Armut, politischer Instabilität, Gewalt und Korruption. Erst vor gut einem Monat suchte auch noch der Hurrikan „Matthew“ die Insel heim. Hunderte Menschen starben, Zehntausende haben ihre gesamte existenzielle Basis verloren. Im Katastrophengebiet sind die Menschen von internationaler Hilfe abhängig, die Cholera breitet sich aus.

Die Wahl vom vergangenen Jahr wurde wegen Manipulationsvorwürfen für ungültig erklärt, obwohl Beobachter der Europäischen Union und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sie im Großen und Ganzen als frei und fair eingestuft haben. Sie gehen davon aus, dass die Opposition durch ihre Proteste das für sie ungünstige Resultat abwehren wollte. „Es ist essenziell, nun an dem Zeitplan festzuhalten, das Störfeuer jener zu ignorieren, die sich an den Urnen nicht durchsetzen können, und Haiti einen gewählten Präsidenten zu geben“, meint der Direktor des Haiti Democracy Project, James Morrell.

Die Neuwahl wurde mehrfach abgesagt und lange verzögert, zuletzt wegen des Hurrikans „Matthew“. Seit der frühere Staatschef Michel Martelly im Februar 2016 ohne gewählten Nachfolger aus dem Amt schied, hat Übergangspräsident Jocelerme Privert die Regierungsgeschäfte übernommen. „Wenn das Land politisch blockiert bleibt, werden die dringendsten Bedürfnisse der Menschen weiterhin vernachlässigt“, meint Astrid Hasfura von dem Analyseunternehmen Global Risk Insights. Haiti ist ein sehr armes Land. Drei Viertel der Bevölkerung müssen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.

Insgesamt stellen sich 27 Kandidaten zur Wahl. Sollte in der ersten Runde kein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten, wird im Januar kommenden Jahres eine Stichwahl abgehalten. Gute Chancen werden Jovenel Moise eingeräumt, der schon bei der später annullierten Wahl im vergangenen Jahr mit Abstand vorne lag. Der Wunschkandidat des ehemaligen Staatschefs Martelly ist ein erfolgreicher Agrarunternehmer – bei seinen Fans heißt er der „Bananen-Mann“. Seine Firma Agritrans betreibt seit kurzem Handel mit Europa, einer der Kunden ist das Hamburger Unternehmen Port International GmbH. Moise will als Präsident die Wirtschaft vorwärtsbringen und Arbeitsplätze schaffen.

Direkt hinter Moise lag bei der vorangegangenen Wahl der erfahrene Politiker Jude Celestin von der Partei Lapeh. Er bemühte sich bereits 2010 um das Präsidentenamt, boykottierte aber nach Wahlfälschungsvorwürfen die Stichwahl. Er kann auf die Unterstützung von mindestens vier Parteien bauen. Celestin war schon unter dem früheren Präsidenten Rene Preval in der Politik tätig und will im Falle eines Wahlsiegs die staatlichen Institutionen ausbauen und die Korruption eindämmen.

Einer Umfrage zufolge ist auch Maryse Narcisse mit im Rennen. Sie ist die Kandidatin der Partei Fanmi Lavalas von Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide. Die Ärztin tritt als Vertreterin der Armen auf. Ihr Schwerpunkt ist der Ausbau von Demokratie, Rechtsstaat und sozialer Inklusion (Gleichwertigkeit aller Bürger). Der ehemalige Senator und frühere Bürgermeister Moise Jean Charles möchte, dass Haiti wirtschaftlich auf die Beine kommt und er will eine Bildungsoffensive durchführen.

Wirkliche ideologische Unterschiede zwischen den politischen Gruppen kann man kaum feststellen, es handelt sich eher um Wahlvereine für einzelne Politiker. „Sie repräsentieren eigentlich niemanden außer sich selbst“, beobachtet Haiti-Experte Morrell.


Quelle: „Tiroler Tageszeitung“, www.tt.com